Konrad Lorenz: Verhaltensforscher und Gänsevater

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Konrad Lorenz: Verhaltensforscher

Konrad Lorenz gilt als einer der Mitbegründer der Verhaltensforschung. Für seine Forschung bekam er den Nobelpreis. Er unterstützte die Ideologie der Nazis.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Ute Deichmann

Veröffentlicht: 21.08.2014

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Der Österreicher Konrad Lorenz gilt als „Gänsevater“ und Mitbegründer der Vergleichenden Verhaltensforschung, der so genannten Ethologie.
  • 1973 bekommt Konrad Lorenz zusammen mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin „für ihre Entdeckungen betreffend den Aufbau und die Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern“.
  • Konrad Lorenz hat diverse Schriften mit nationalsozialistischer Terminologie verfasst und hatte beantragt, in die NSDAP aufgenommen zu werden. Ob er wirklich der nationalsozialistischen Ideologie anhing oder ob er ein naiver oder berechnender Mitläufer war, ist nicht eindeutig geklärt.
  • Die Theorien von Konrad Lorenz zum angeborenen Instinktverhalten und zur Prägung gelten heute als überholt. Mittlerweile erklärt man das Verhalten von Tieren eher mit Hilfe der Soziobiologie, der Verhaltensökonomie und der Neurobiologie.

Die Graugans Martina

1935 schlüpfte die Graugans Martina aus ihrem Ei und wurde auf Konrad Lorenz geprägt. Ein Jahr später wurden sie und der Ganter Martin ein Gänsepaar. Ein weiteres Jahr später zogen die beiden Gänse davon und wurden nie wieder gesehen. Konrad Lorenz berichtet aber zeitlebens immer wieder über Martina, auch wenn er in all den Jahren seiner Forschung hunderte Graugänse beobachtet hat. Dabei wandelten sich die Anekdoten; das hat die Wissenschaftshistorikerin Tania Munz analysiert: In den Schriften von Konrad Lorenz hatte Martina „ein üppiges und wandelbares Leben geführt“. So schrieb Konrad Lorenz in den 1930er Jahren zunächst nur von „einer Gans“, um stereotypes Verhalten für die gesamte Gänseart darzustellen. Während der Nazi-Zeit wurden Martina und der Gänserich Martin als Beispiel für ein erfolgreiches Paar dargestellt und als Kontrast zu den domestizierten Gänsen, die angeblich gefährlich wären und einen stärkeren Sexualtrieb hätten. Später rückte dann Konrad Lorenz in seinen Schriften Martina als Individuum in den Vordergrund und stellte sich selbst als ihr Chronist dar. Und noch später stellte Lorenz in seinen Texten Martina als abnormal dar, mitsamt so einigen stressbedingten Verhaltensauffälligkeiten.

Vita Konrad Lorenz
  • 7. November 1903: Konrad Zacharias Lorenz wird in Wien geboren.
  • 1922 – 1928: Medizinstudium an der Columbia University in New York und an der Universität Wien, inklusive Promotion.
  • 1927 Hochzeit mit Margarethe Gebhardt, der Freundin aus Kindheitstagen. Das Ehepaar bekommt drei Kinder.
  • 1928 – 1936: Zoologie-Studium an der Universität Wien, zweite Promotion, anschließend Habilitation. Parallel Stelle als Assistent am Anatomischen Institut.
  • 1940 – 1941: Professur für Psychologie an der Universität Königsberg.
  • 1941 – 1948: Wehrmachtssoldat und Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion.
  • 1949: Veröffentlichung seines bis heute populärsten Buchs „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen.“
  • 1950 – 1955: Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung der Max-Planck-Gesellschaft in Buldern, Westfalen.
  • 1955 – 1973: Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie am Eßsee in Bayern.
  • 1973: Medizin-Nobelpreis zusammen mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen.
  • 1985: Er ist der Namensgeber der Konrad-Lorenz-Volksabstimmung gegen ein Wasserkraftwerk. Zuvor wurde er Galionsfigur einer erfolgreichen Volksabstimmung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf in Österreich.
  • 27. Februar 1989: Konrad Lorenz stirbt in Wien nach akutem Nierenversagen.

Der 14 Jahre alte Nils ist faul und macht ständig Streiche. Zur Strafe wird er in einen Wichtel verwandelt und reist auf dem Rücken eines Gänserichs durch Schweden, bis hinauf nach Lappland. „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ heißt diese Geschichte, geschrieben von Selma Lagerlöf Anfang des 20. Jahrhunderts. Und eigentlich gedacht für den Landeskunde-​Unterricht an schwedischen Schulen. Aber auch in Österreich, in Altenberg bei Wien, bekam ein kleiner Junge diese Geschichte vorgelesen.

Der Junge war erst fünf Jahre alt, doch diese Geschichte ließ ihn nicht mehr los: „Seitdem sehnte ich mich danach, eine Wildgans zu werden; und als mir klar wurde, dass das unmöglich war, wollte ich verzweifelt eine haben; und als sich herausstellte, dass auch das unmöglich war, gab ich mich damit zufrieden, domestizierte Enten zu haben.“ So erinnert er sich fast sieben Jahrzehnte später, als er den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhält, Ende 1973 und mittlerweile ein alter Mann mit stattlichem weißen Bart: Konrad Zacharias Lorenz.

Der Wissenschaftler Lorenz wurde als „Gänsevater“ berühmt. Und ging, viel wichtiger, als Mitbegründer der vergleichenden Verhaltensforschung, der sogenannten Ethologie, in die Wissenschaftsgeschichte ein. Doch der Mensch Lorenz war komplex und hinterlässt heute in seiner zeitweiligen Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie ein eher beklemmendes Gefühl.

Frühe Faszination für Gänse

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wäre Konrad Lorenz kein Nachzügler gewesen, geboren 1903 und damit 18 Jahre nach seinem Bruder Albert. Wäre er älter gewesen – das 1906 erschienene Buch über Nils und die Gänse hätte ihn wahrscheinlich nicht so fasziniert. Vielleicht wäre sein Leben auch anders verlaufen, wenn die Mutter Emma nicht dem Nachbarn zwei Entenküken abgekauft hätte; eines für den kleinen Konrad, seine Stockente, eines für Konrads Spielkameradin Margarethe Gebhardt. Den ganzen Sommer über spielten die beiden „Enteneltern“. Und schon da bemerkte Konrad: Seine eigene Ente folgte ihm ständig – die andere aber watschelte weder ihm noch Margarete hinterher. Mit der Zeit verwandelte der angehende Forscher das Anwesen der Familie Lorenz in einen kleinen Zoo: mit Dohlen auf dem Dachboden und Enten im Gartenteich.

Jahre später studierte Lorenz Medizin an der Columbia University in New York und an der Universität Wien – wenn auch eher widerwillig und nur dem Vater zuliebe. Er promovierte, studierte zusätzlich Zoologie, promovierte ein zweites Mal und habilitierte sich schließlich. Er heiratete seine Freundin Margarethe; sie bekamen zwei Töchter und einen Sohn. Und er zog Martina auf, die wohl berühmteste Graugans der Welt.

Das Prinzip der Prägung

Das Erste, was Martina als frisch geschlüpftes Küken sah, war Konrad Lorenz: Sie soll ihr Köpfchen gehoben und Lorenz angepiept haben. Nach einer Weile wollte der das Küken unter den Bauch der Muttergans schieben, doch es folgte nur ihm – so wie einst seine erste Stockente. Jeden Abend kletterte Martina mit Lorenz die Treppe zum Schlafzimmer hinauf und flog am nächsten Morgen durchs Fenster hinaus. Der Forscher war überzeugt: Martina sei durch ihn geprägt und deshalb auf ihn fixiert. Dass Küken jemandem nachlaufen, sei angeboren und er bezeichnete dieses Verhalten deshalb als Instinktbewegung. Normalerweise laufen sie ihrer Mutter nach. Aber wer das ist, das müssen die frisch geschlüpften Küken erst lernen.

Die Mutter, das ist ein großes, bewegliches Etwas, das Laute von sich gibt und ganz nah bei einem ist – denn die Mutter würde niemanden sonst in die Nähe ihres Nestes lassen. Aber in diesem Fall war da Konrad Lorenz und das Tier lernte, ihn für seine Mama zu halten. So wurde der Mensch und nicht die Gans zum Schlüsselreiz – jenem Reiz, der das Nachfolgeverhalten auslöste. Die Verbindung zwischen instinktivem Verhalten und erlerntem Reiz nannte Konrad Lorenz „angeborenen Auslösemechanismus“. Alles zusammen ergab für ihn das Konzept der Prägung und seine Instinkttheorie, die er 1937 in der Abhandlung „Über den Begriff der Instinkthandlung“ darstellte.

Vergleichende Verhaltensforschung

„Tierpsychologie“ nannte Konrad Lorenz selbst sein Forschungsgebiet und wurde damit einer der Gründerväter der Ethologie – der vergleichenden Verhaltensforschung. Sie stand im Gegensatz zum klassischen Behaviorismus, der in dieser Zeit die Psychologie dominierte, und jegliches Verhalten über unbedingte und erlernte Reflexe erklären wollte.

Das allerdings widersprach Lorenz´ Beobachtungen von Instinktverhalten – wenn zum Beispiel Vögel wissen, wie sie Futterkörner picken, ohne dass es ihnen jemand gezeigt hätte. Oder Rotkehlchen einen männlichen Eindringling in ihrem Revier nur an der roten Farbe erkennen – und ein simples Büschel roter Federn als Schlüsselreiz ausreicht, um Verteidigungsverhalten auszulösen.

Der Weg nach Nazi-​Deutschland

Die Ethologie ging in ihren Grundannahmen auf Darwin zurück: Verhalten müsse sich ähnlich wie die Anatomie gemäß zufälliger Variabilität und entsprechender Selektionsvorteile entwickelt haben. Das erwies sich als Problem, denn Darwin war im Österreich der 1930er Jahre nicht wohlgelitten – das Land war stark katholisch geprägt. Lorenz wurden seine ethologischen Forschungen untersagt, er verließ die Wiener Universität und arbeitete fortan unbezahlt zu Hause in Altenberg. 1937 beantragte er Geld im nationalsozialistischen Deutschland, bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, einem Vorläufer der heutigen Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der Antrag wurde abgelehnt, weil „vor allem die politische Gesinnung und die Abstammung von Herrn Dr. Konrad Lorenz in Frage gestellt“ wurden.

Ein paar Monate später beantragte Konrad Lorenz erneut eine Projektförderung. Empfehlungsschreiben von Kollegen bezeugten nun, dass er arischer Abstammung sei, die „politische Gesinnung von Herrn Dr. Lorenz in jeder Hinsicht einwandfrei ist“, er „aus seiner Zustimmung zum Nationalsozialismus niemals einen Hehl gemacht“ habe und dass seine biologische Forschung den Ansichten im Deutschen Reich gelegen käme. Lorenz bekam das Geld und erforschte daraufhin, wie sich das Instinktverhalten von Wildgänsen ändert, wenn sie zu Haustieren gezüchtet oder mit Hausgänsen gekreuzt werden.

Im März 1938 marschierten die Deutschen in Österreich ein. Im Juni 1938 stellte Konrad Lorenz einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. Zwei Jahre später wurde er Professor auf jenem Lehrstuhl für Psychologie in Königsberg, den einst Immanuel Kant innehatte. 1941 zog ihn die Wehrmacht ein, in der er unter anderem als Psychiater und Neurologe in einem Lazarett im polnischen Posen arbeitete. Später wurde er an die Front geschickt und geriet alsbald in russische Kriegsgefangenschaft. 1948 kam Lorenz zurück in die Heimat, nach Altenberg bei Wien.

„Rassenhygienische Abwehr“

In einem Interview anlässlich seines 85. Geburtstages erklärte Lorenz: „Und ich habe mich ja auch vor aller Politik gedrückt, weil ich mit meinen Problemen beschäftigt war. Auch vor einer Auseinandersetzung mit den Nazis habe ich mich in sehr verächtlicher Weise gedrückt, ich hatte einfach keine Zeit dazu.“ Das war 1988, kurz vor seinem Tod, als Lorenz gefeiertes Mitglied der österreichischen Umweltschutzbewegung ist, vor Atomkraftwerken, Technisierung und ökologischen Katastrophen warnt.

Seine Aussagen passen so gar nicht zu seinen Aktivitäten als Heerespsychologe, der in Posen nicht nur im Reservelazarett tätig war, sondern auch Untersuchungen an „deutsch-​polnischen Mischlingen“ vornahm. Dabei kam er zu dem Schluss, dass die polnische Erbsubstanz zum Beispiel von „Lebensangst, triebhafter Dynamik und vitaler Wurzelarmut“ charakterisiert sei. In der Folge fürchtete er, dass „körperliche und moralische Verfallserscheinungen, die das Absinken von Kulturvölkern nach Erreichung des Zivilisationsstadiums bewirken, mit den Domestikationserscheinungen der Haustiere wesensgleich sind“ und forderte daher eine „bewusste, wissenschaftlich unterbaute Rassenpolitik“. Ziel war die „Aufartung und Verbesserung von Volk und Rasse“. Er spricht von „vollwertigen“ und „minderwertigen“ Individuen, befürwortet nahezu Maßnahmen zur „Ausmerzung Minderwertiger“.

Zu seiner eigenen Forschung erklärte er: „Wir wagen getrost die Vorhersage, dass diese Untersuchungen sowohl für theoretische wie für praktische rassenpolitische Belange fruchtbar sein werden.“

All diese Aussagen stammen vom Konrad Lorenz des Dritten Reiches. 1981 erklärte er dagegen in einem Fernsehinterview: „Dass die Leute Mord meinten, wenn sie ‘Ausmerzen’ oder wenn sie ‘Selektion’ sagten, das habe ich damals wirklich nicht geglaubt. So naiv, so blöd, so gutgläubig – nennen Sie es, wie Sie es wollen – war ich damals.“

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Nobelpreis

Es ist ein dunkles, braunes Kapitel in Konrad Lorenz‘ Biographie. Hing er wirklich der nationalsozialistischen Ideologie an oder hatte er sich in der Homologie zwischen Gans und Mensch verlaufen und war eher aus Versehen zum naiven Mitläufer geworden? Auch das Nobelpreis-​Komitee soll darüber diskutiert haben. Schließlich bekam Konrad Lorenz 1973 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin tatsächlich – zusammen mit seinem Kollegen Nikolaas Tinbergen und dem Zoologen Karl von Frisch, der vor allem die Sinneswahrnehmung von Honigbienen untersucht hatte. Die Forscher erhielten den Preis „für ihre Entdeckungen zur Organisation und Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern“.

Überholte Theorien

Lorenz waren Experimente zuwider: Allein durch Beobachten wollte er das Verhalten von Tieren untersuchen. Und auch wenn Begriffe wie Prägung, Instinkt und Angeborener Auslösemechanismus noch in so manchem Schulbuch stehen: Lorenz‘ Theorien gelten mittlerweile als überholt. Wie das Verhalten von Tieren – und Menschen – beeinflusst wird, das versucht man heutzutage eher soziobiologisch, verhaltensökologisch oder neurobiologisch zu erklären.

Am 27. Februar 1989 starb Konrad Lorenz im Alter von 85 Jahren nach akutem Nierenversagen. Kurz zuvor hatte er seiner Sekretärin diktiert: „Der Leumund meiner Zeitgenossen, vor allem der wissenschaftlichen, behauptet, dass ich ein großer Mann bin, und sie müssen es wohl besser wissen als ich. Wenn ich zurückblicke und dasjenige hervorzuheben trachte, worauf ich stolz bin, so ist das Resultat bescheiden – ehrlich!“ So viel Understatement war ungewöhnlich für Lorenz. Immerhin hat er einen Nobelpreis bekommen.

zum Weiterlesen:

  • Filme, Tondokumente und Fachaufsätze von, mit und über Konrad Lorenz: www​.klha​.at
  • Munz, T: “My goose child Martina“: the multiple uses of geese in the writings of Konrad Lorenz. In: Historical Studies in the Natural Sciences, Vol. 41 (4), S. 405 – 446, 2011. Abstract
  • Föger, B und Taschwer, K: Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus. Czernin Verlag, 2001
  • Deichman, U: Biologen unter Hitler: Porträt einer Wissenschaft im NS-​Staat. Fischer Taschenbuch, 1995

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