Der Schaltkreis der Angst

Der Schaltkreis der Angst
Author: Hanna Drimalla

Der Anblick einer Spinne oder huschender Schatten im Dunklen lassen blitzschnell die sensible Alarmanlage des Gehirns schrillen – Schweißausbrüche und nackte Angst sind die Folge. Oft ist es ein Fehlalarm. Doch das Gehirn korrigiert schnell.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Alfons Hamm

Veröffentlicht: 18.07.2018

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Die Amygdala schätzt Gefahren ein und steuert die Kaskade der Angstreaktionen.
  • Direkt vom Thalamus erhält die Amygdala eine grobe Skizze der Situation, um schnell die Gefahr einzuschätzen.
  • Eine genaue Analyse liefert etwas später der langsamere Weg vom Thalamus über den Neocortex und den Hippocampus.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Das limbische System

„Ist Emotion ein magisches Produkt“, fragte 1937 der Neuroanatom James Papez (1883 - 1958) „oder ist es ein physiologischer Prozess, der von einem anatomischen Mechanismus abhängt?“ Papez entschied sich für die zweite Antwort. Er glaubte, dass Emotion ein Produkt des limbischen Systems wäre, das der Mediziner Paul Broca (1824 - 1880) schon 1878 als „grand lobe limbique“ beschrieben hatte. Dieses stammesgeschichtlich uralte Areal besteht aus mehreren verbundenen Strukturen, unter anderem der Amygdala, dem Hippocampus und dem Septum. Über die Frage, welche Strukturen genau zum limbischen System zählen, und ob man überhaupt von einem „System“ sprechen könne, streiten sich die Anatomen jedoch noch heute. Denn einige der Bestandteile des limbischen Lappens spielen zwar eine Rolle bei Gefühlen und sexuellem Verhalten, andere sind jedoch für das Gedächtnis oder die Motivation und Navigation zuständig.

Der Mythos von der emotionalen und rationalen Gehirnhälfte

Die Annahme, dass Emotion und Rationalität im Gehirn räumlich getrennt liegen, ist unter Laien weit verbreitet. In der rechten Hemisphäre, glauben viele, sitzen die Emotionen, in der linken die Vernunft. Tatsächlich scheint die rechte Hirnhälfte für die Emotionsverarbeitung besonders wichtig zu sein. Nach rechtsseitigen Gehirnverletzungen fällt es Patienten schwer, Gefühle im Gesicht des anderen zu deuten. Doch auch linkshemisphärische Verletzungen wirken sich auf die Gefühlswelt aus: Häufig leiden Patienten unter einer so genannten Katastrophenreaktion mit tiefer Depression. Dies legt nahe, dass die linke Hemisphäre unsere Gefühlslage aufhellt, indem sie die rechte Hemisphäre hemmt. Studien mit Neugeborenen sprechen ebenfalls dafür, dass die linke Hemisphäre stärker bei positiven, die rechte bei negativen Gefühlen aktiv ist.

Neurowissenschaftler warnen davor, komplexe Phänomene wie Emotionen einer einzigen Hirnhälfte zuzuordnen. Denn an nahezu allen Funktionen sind grundsätzlich beide Hemisphären beteiligt – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Bei Split-Brain-Patienten, deren neuronale Verbindung zwischen ihren beiden Hemisphären gekappt ist, lassen sich die relativen Stärken der beiden Hirnhälften gut beobachten: Die linke Hemisphäre ist demnach besser darin, nach Ursachen und Erklärungen zu suchen. Dagegen besitzt die rechte Hemisphäre ein besonderes Talent für räumlich-visuelle Aufgaben.

Depression

Depression/-/depression

Psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind. In den gegenwärtigen Klassifikationssystemen werden verschiedene Arten der Depression unterschieden.

Wenn Angst körperlich wird

Die hormonellen und vegetativen Reaktionen auf das Gefühl der Angst und die automatisch ablaufenden Verhaltensprogramme in Folge dienen dazu, das Überleben zu sichern. Indem die Hypophyse Stresshormone ausschüttet, ermöglicht sie dem Bedrohten, schneller und effizienter zu handeln. Das basale Vorderhirn steigert zusätzlich die Aufmerksamkeit und Erregung. Über den Hirnstamm wird das autonome System aktiviert: Der Blutdruck und die Frequenz des Atems und Herzschlags steigen, die Muskeln ziehen sich zusammen – der Geängstigte ist bereit für die Flucht oder den Kampf. Damit Verletzungen den Mensch oder das Tier nicht ablenken, senkt der Hirnstamm auch die Schmerzwahrnehmung. Schließlich sorgt der Hirnstamm auch noch für automatisierte Verhaltensprogramme, wie den Gesichtsausdruck der Angst oder Angstschreie, um Artgenossen zu Hilfe zu rufen.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Reizen bzw. Informationen konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

„Es war kurz vor Mitternacht“, berichtet die 48-jährige Martha Kristensen, „mein Mann und ich standen vor unserem Hotel in Neapel. Auf einmal tritt mir von hinten jemand in die Kniekehle, schmeißt mich auf den Boden und reißt an mir und meinem Rucksack. Ich hatte totale Angst, dass sie mich entführen, in ein Auto reinziehen. Mein Herz raste, ich war wie starr vor Schreck. Es ging so schnell, dass ich gar nicht um Hilfe schreien konnte.“

Quelle der Emotionen

Angst: ein Gefühl, das jeder kennt, selbst wenn ihm schreckliche Erlebnisse wie das der Architektin Martha Kristensen (Name von der Redaktion geändert) erspart bleiben. Wir fürchten uns vor Höhen, Flugzeugabstürzen, Hunden, dem Chef. Ist das Gefühl da, spüren wir es von den Zehen bis in die Haarspitzen. Das Herz schlägt schneller, die Hände zittern, wir schwitzen, der Bauch rumort.

Welche Strukturen im Gehirn uns vor Angst oder Furcht erstarren lassen, beschäftigt die Wissenschaftler schon lange. Zahlreiche Studien an Tier und Mensch wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte durchgeführt, um diese Frage zu klären. Und so wundert es nicht, dass die Mechanismen der Angst inzwischen zu den am besten erforschten Schaltkreisen unseres emotionalen Apparates zählen.

Als erwiesen gilt heute, dass vor allem eine Struktur hierbei eine große Rolle spielt: die Amygdala (Mandelkern). Sie ist Teil des limbischen Systems, dem eine wichtige Funktion bei der Emotionsverarbeitung zugesprochen wird (siehe Info-Box). Auch an der Aggression ist die Amygdala zentral beteiligt. Sie besteht aus zwei mandelförmigen Ansammlungen von Nervenzellkörpern, die im Zentrum des menschlichen Gehirns sitzen, und zwar einer im linken und einer im rechten Schläfenlappen jeweils direkt vor dem Hippocampus.

Kleinste Verletzungen der Strukturen der Mandelkerne reichen aus, um das Verhalten eines Tieres vollkommen zu verändern: „Wildgefangene Vögel“, berichtete der Biologe Richard Phillips vom Virginia Polytechnic Institute, „die normalerweise panisch versuchen zu entfliehen, werden plötzlich seelenruhig.“ Laborratten mit einer Läsion der Amygdala erkunden neugierig sedierte Katzen. Umgekehrt genügt die elektrische Stimulation kleiner Zellverbände im Mandelkern, und Katzen ducken sich ängstlich vor Mäusen weg oder reagieren wütend mit aufgestelltem Fell, Buckel und geweiteten Pupillen – je nachdem welcher Bereich der Amygdala erregt wurde.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Angeborene und erlernte Ängste

Die Amygdala dient Tier und Mensch also als Alarmanlage. Innerhalb von wenigen Millisekunden bewertet sie Situationen und schätzt Gefahren ein. Einige Anblicke, Geräusche oder Gerüche lösen schon von Geburt oder nach einmaliger Begegnung Angst aus. So fürchten sich auch Laborratten, die nie in Freiheit gelebt haben, wenn sie den Schrei einer Eule hören oder den Geruch eines Raubtiers in die Nase bekommen.

Manche Ängste sind zwar nicht angeboren, aber sehr leicht zu erwerben. Affen etwa fürchten sich vor Schlangen, sobald sie eine entsprechende Emotion als Reaktion auf ein Reptil bei einem anderen Affen beobachten konnten. Ähnlich sensitiv reagieren die Amygdala von Primaten auf negative Gesichtsausdrücke anderer. Evolutionär sind solche angeborenen Ängste oder Angstneigungen für das einzelne Lebewesen von großem Vorteil: Ergreift zum Beispiel eine Ratte beim Schrei einer Eule schnell die Flucht, rettet sie womöglich ihr Leben.

Doch auch Reize, die lange Zeit neutral oder positiv wahrgenommen wurden, können durch Lernprozesse irgendwann mit Gefahr assoziiert werden und später selbst Angst auslösen. Wenn ein neutraler Reiz gleichzeitig oder kurz nach einem unangenehmen Reiz wie etwa Schmerz auftritt, färbt die Angst, die der unangenehme Reiz auslöst, auf den neutralen Reiz ab. Die Geräusche, die etwa Martha Kristensen hörte, unmittelbar bevor sie der Tritt in die Kniekehle traf, hat ihre Amygdala als bedrohlich gespeichert. „Wenn ich heute Schritte hinter mir höre“, sagt sie, „vor allem nachts, dann habe ich immer noch Angst. Ich drehe mich dann um oder gehe schneller.“

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Schaltkreis der Angst

Doch woher weiß das Gehirn eigentlich, ob eine Lage gefährlich ist? Der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux von der New York University hat die zugrundeliegenden Mechanismen als einen Schaltkreis der Angst beschrieben, der über zwei Wege Informationen an die Amygdala sendet: einmal schnell, grob und fehleranfällig, und einmal langsam, aber durch genaue Analyse überprüft.

Ausgangspunkt ist stets der Thalamus. Dieser Teil des Zwischenhirns bildet das Tor zum Bewusstsein und ist eine wichtige zentrale Schaltstelle für Nachrichten von den Sinnesorganen. Erhält er einen emotionalen Reiz wie zum Beispiel ein lautes Geräusch, leitet er eine grobe Skizze des Sinneseindrucks direkt weiter an einen kleinen Zellverbund („Furcht-an“ Neurone) in der lateralen Amygdala.

Werden diese Zellverbände aktiviert, fließt die Information weiter zum zentralen Kern der Amygdala. Hier werden die defensiven Verhaltensprogramme aktiviert. So werden körperliche Angstreaktionen ausgelöst, wie sie auch Martha Kristensen beschreibt: „Alles ging wahnsinnig schnell, ich hatte Angst, mein Herz raste, ich war starr vor Schreck. Die vielen blauen Flecken hab ich erst hinterher gespürt.“ Dank dieser thalamo-amygdalären Verbindung können Tier und Mensch blitzschnell auf eine Gefahr reagieren (siehe Info-Box).

Auch der Hirnstamm und die Großhirnrinde werden informiert. Der Hirnstamm löst automatische Verhaltensreaktionen aus, die von einem Erstarren über Flucht bis zum Angriff reichen können. Die Großhirnrinde ist verantwortlich für das emotionale Erleben der Angst.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Fehlalarme und ihre Korrektur

Doch dieser empfindliche, schnelle Weg des Angst-Schaltkreises löst hin und wieder auch falschen Alarm aus: Etwa wenn wir vor unserem eigenen Schatten, dem Krach einer Trillerpfeife oder dem Anblick eines schlangenförmigen Stockes erschrecken. Zusätzlich zu der von LeDoux als „quick and dirty“, also als schnell und schmutzig beschriebenen Abkürzung führt daher vom Thalamus zur Amygdala auch die so genannte „high road“ der kognitiven Verarbeitung.

Auf dieser bewussten Route gelangt die Sinnesinformation vom Thalamus zuerst in den Cortex und den Hippocampus. Dort werden die Eindrücke genauer analysiert, bevor sie die Amygdala erreichen. Die sensorischen Areale des Neocortex ermöglichen uns, die Angstreize differenzierter wahrzunehmen und beispielsweise die Trippelschritte einer Frau von schweren Männerschritten zu unterscheiden. Dafür aber braucht das Gehirn auch seine Zeit: Bis die Informationen über den Cortex zur Amygdala gelangen, dauert es doppelt so lange wie auf dem direkten Weg vom Thalamus.

Zudem bringt der Hippocampus über die langsame Route auch bewusste Erinnerungen an unangenehme oder angstauslösende Situationen mit ins Spiel. Wenn Martha Kristensen etwa Schritte dicht hinter sich hört, hat sie die Bilder des Überfalls in Neapel wieder vor Augen. LeDoux beschreibt es so: „Der Hippocampus ist entscheidend dafür, dass Sie ein Gesicht als das Ihrer Cousine erkennen. Es ist der Mandelkern, der dann hinzufügt, dass Sie sie eigentlich nicht mögen.“

Genau wie der Neocortex ist auch der Hippocampus mit der Amygdala verbunden. Er kann die Furcht eindämmen, indem er die Merkmale feiner analysiert und einen Reiz als ungefährlich bewertet. So kommt es, dass wir bisweilen vor unserem eigenen Schatten erschrecken – und nur Sekundenbruchteile später erleichtert und amüsiert aufatmen, weil wir merken, dass wir einem Fehlalarm aufgesessen sind.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Veröffentlichung am 15.08.2011
Aktualisierung am 18.07.2018

No votes have been submitted yet.

Themen

Author

Wissenschaftliche Betreuung

Lizenzbestimmungen

Dieser Inhalt ist unter folgenden Nutzungsbedingungen verfügbar.

BY-NC: Namensnennung, nicht kommerziell

Zugehörige Pressemeldungen