Wie schmeckt das Essen? Frag dein Gehirn!

© MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl
Essen macht Spaß – aber wann ist es genug? Eine Studie zeigt nun, dass das Hormon Ghrelin und spezialisierte Neuronen die Nahrungsaufnahme und das damit verbundene Belohnungsgefühl regulieren.

Zu wissen, wann es Zeit für eine Mahlzeit ist – und wann man wieder aufhören sollte zu essen – ist wichtig für die Gesundheit und das Überleben von Menschen und Tieren. Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz fanden nun heraus, dass das "Hunger-Hormon" Ghrelin spezialisierte Nervenzellen in der Amygdala von Mäusen aktiviert. In dieser Gehirnregion, die auch für die Regulierung von Emotionen zuständig ist, fördert das Zusammenspiel zwischen Ghrelin und den Nervenzellen die Nahrungsaufnahme und vermittelt sowohl Hunger als auch die mit dem Essen verbundenen Belohnungsgefühle.

Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz

Veröffentlicht: 24.05.2023

Hunger ist ein starkes Gefühl mit einer wichtigen biologischen Funktion. Es signalisiert dem Körper, dass er nach Nahrung suchen sollte, um das eigene Überleben zu sichern. Wenn wir hungrig sind, sehnen wir uns nach Nahrung und wenn wir essen, belohnt uns unser Körper mit angenehmen Gefühlen und einem allgemeinen Glückszustand. 

Netzwerke aus biologischen Schaltkreisen und Signalwegen im Gehirn steuern das Essverhalten von Menschen und Tieren und lösen die damit verbundenen Empfindungen aus. Einer der zentralen Akteure in diesem Netzwerk ist das Hormon Ghrelin. Es wird von Magenzellen freigesetzt, wenn Menschen und Tiere hungrig sind oder fasten, und fördert das Fressverhalten. 

Die Abteilung von Rüdiger Klein am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz untersucht die Gehirnnetzwerke, die dem Fressverhalten von Mäusen zugrunde liegen. Zu diesem Zweck haben die Forscherinnen und Forscher eine gründliche Analyse der Zelltypen in einer Gehirnregion durchgeführt, die als zentrale Amygdala bekannt ist. “Bisher wurde die Amygdala vor allem im Zusammenhang mit Gefühlen wie Angst und Belohnungsempfinden untersucht. Es wurde angenommen, dass die Regulation des Fressverhaltens in anderen Gehirnbereichen stattfindet, etwa im Hypothalamus”, sagt Christian Peters, Postdoktorand in der Abteilung. 

Peters und seine Kolleg*innen analysierten einzelne Nervenzellen in der zentralen Amygdala und untersuchten ihre Boten-RNA-Moleküle, also die Arbeitskopien der Gene, die auch als mRNAs bekannt sind. Die Analyse ergab, dass die Zellen in neun verschiedenen Zellclustern organisiert sind. Einige dieser Cluster fördern den Appetit, während andere ihn hemmen. Zudem passen die Zellen ihre Produktion von mRNAs an, wenn die Mäuse gefüttert werden oder fasten. 

“Wir haben jetzt ein besseres Verständnis über die vielfältigen Zelltypen und die physiologischen Prozesse, die in der zentralen Amygdala die Nahrungsaufnahme fördern”, sagt Rüdiger Klein. “Unsere Forschung zeigt zum ersten Mal, dass das Hunger-Hormon Ghrelin auch auf Zellen in der zentralen Amygdala wirkt.” Dort aktiviert es eine kleine Untergruppe von Zellclustern, die gemeinsam durch die Anwesenheit des Proteins Htr2a gekennzeichnet sind, um die Nahrungsaufnahme zu steigern. 

Das Team fand heraus, dass die Htr2a-Neurone nach mehrstündigem Fasten oder bei Anregung durch das Hormon Ghrelin aktiv wurden. Die Zellen reagierten auch, wenn die Forschenden den Mäusen Nahrung vorsetzten. “Wir denken, dass Ghrelin mehrere Funktionen erfüllt”, erklärt Christian Peters. “Wenn Mäuse hungrig sind, aktiviert Ghrelin die appetitanregenden Hirnregionen, um die Tiere zum Fressen zu animieren. Außerdem steigert das Hormon die Aktivität in Gehirnarealen wie der Amygdala, die Belohnungsgefühle vermitteln. Das ist wahrscheinlich ein Anreiz, noch mehr zu fressen.” Auf diese Weise erhöht Ghrelin die Schmackhaftigkeit der Nahrung in Abhängigkeit davon, wie gesättigt die Mäuse gerade sind. 

Wenn die Tiere nach einer Fastendiät hungrig waren, war die Aktivität der Htr2a-Neuronen allerdings nicht erforderlich, damit die Mäuse mit dem Fressen begannen – die Forschenden vermuten, dass der Geschmack der Nahrung unter diesen Bedingungen eher nebensächlich ist. “In diesem Fall übernehmen andere Schaltkreise im Gehirn die Kontrolle, um den Stoffwechsel des Körpers zu regulieren. Unter anderem der Hypothalamus signalisiert den Mäusen dann, dass es wichtig ist zu fressen, um zu überleben”, sagt Christian Peters. 

Hunger und Sättigungsgefühle haben große Auswirkungen auf das körperliche, aber auch auf das emotionale Wohlbefinden. Das hat wohl jede*r von uns beim Verzehr leckerer Speisen und den damit verbundenen Glücksgefühlen schon einmal erlebt. “Die neuronalen Netzwerke, die diese Gefühle vermitteln, sind offensichtlich eng mit denen verbunden, die die Nahrungsaufnahme kontrollieren. Wie genau sie sich gegenseitig beeinflussen, ist noch nicht vollständig geklärt”, sagt Rüdiger Klein. “Wenn wir diese Zusammenhänge entschlüsseln, werden wir auch die neuronalen Prozesse besser verstehen, die an pathologischem Essverhalten beteiligt sind”, fügt Christian Peters hinzu. “Zahlreiche biologische Faktoren tragen zu einem solch komplexen Verhalten bei und wir müssen uns die physiologischen Prozesse ansehen, um diese Faktoren zu verstehen." 

In der Zukunft könnte dieses Wissen zu neuen therapeutischen Ansätzen zur Linderung von Essstörungen führen. Vorerst legt die Studie den Grundstein für weitere Untersuchungen der speziellen Nervenzellverbände und neuronalen Schaltkreise, die die Nahrungsaufnahme steuern. Die Forschung fügt zudem ein weiteres wichtiges Puzzleteil zu unserem Verständnis hinzu, wie das Gehirn das Verhalten steuert.
 

Hormon

Hormon/-/hormone

Hormone sind chemische Botenstoffe im Körper. Sie dienen der meist langsamen Übermittlung von Informationen, in der Regel zwischen dem Gehirn und dem Körper, z.B. der Regulation des Blutzuckerspiegels. Viele Hormone werden in Drüsenzellen gebildet und in das Blut abgegeben. Am Zielort, z.B einem Organ, docken sie an Bindestellen an und lösen Prozesse im Inneren der Zelle aus. Hormone haben eine breitere Wirkung als Neurotransmitter, sie können verschiedene Funktionen in vielen Zellen des Körpers beeinflussen.

Intelligenz

Intelligenz/-/intelligence

Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen. Dem britischen Psychologen Charles Spearman zufolge sind kognitive Leistungen, die Menschen auf unterschiedlichen Gebieten erbringen, mit einem Generalfaktor (g-​Faktor) der Intelligenz korreliert. Demnach lasse sich die Intelligenz durch einen einzigen Wert ausdrücken. Hierzu hat u.a. der US-​Amerikaner Howard Gardner ein Gegenkonzept entwickelt, die „Theorie der multiplen Intelligenzen“. Dieser Theorie zufolge entfaltet sich die Intelligenz unabhängig voneinander auf folgenden acht Gebieten: sprachlich-​linguistisch, logisch-​mathematisch, musikalisch-​rhythmisch, bildlich-​räumlich, körperlich-​kinästhetisch, naturalistisch, intrapersonal und interpersonal.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Geschmack

Geschmack/-/flavor

Der Sinneseindruck, den wir als „Geschmack“ bezeichnen, ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen Geruchs– und Geschmackssinn. Sinnesphysiologisch ist „Geschmack“ jedoch auf den Eindruck begrenzt, den uns die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge und in den umgebenden Schleimhäuten zuführen. Aktuell geht man davon aus, dass es fünf verschiedene Sorten von Geschmacksrezeptoren gibt, die auf die Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami spezialisiert sind. 2005 haben Wissenschaftler zudem einen möglichen Geschmacksrezeptor für Fett identifiziert.

Hypothalamus

Hypothalamus/-/hypothalamus

Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.

Originalpublikation

Christian Peters, Songwei He, Federica Fermani, Hansol Lim, Wenyu Ding, Christian Mayer, Rüdiger Klein; Transcriptomics reveals amygdala neuron regulation by fasting and ghrelin thereby promoting feeding; Sciene Advances, online am 24. Mai 2023

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