Von Stäbchen und Zapfen
Lichtenergie in Nervenzellimpulse verwandeln – schon hinter der wichtigsten Aufgabe der Stäbchen und Zapfen steckt ein raffinierter molekularer Mechanismus. Doch die beiden Arten von Lichtsinneszellen können noch viel mehr.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Jan Kremers
Veröffentlicht: 19.12.2017
Niveau: schwer
- Weil bei schwachem Licht nur die Stäbchen in der Netzhaut aktiv sind, sehen wir nachts alles grau.
- Bei starkem Lichteinfall sorgen drei Zapfentypen für Farbsicht.
- Die Umwandlung von Lichtenergie in elektrische Signale erfolgt beim Stäbchen dank des Rhodopsins, einem Fotopigment. Den entsprechenden Vorgang nennt man Fototransduktion.
- Die Zapfen-Typen haben unterschiedliche Opsine, die jeweils auf eine andere Licht-Wellenlänge ansprechen.
- Die unterschiedliche Verschaltung von Stäbchen und Zapfen mit Bipolarzellen verstärkt den jeweiligen Seheffekt.
Bipolarzellen
Bipolarzelle/-/bipolar cell
Die Bipolarzelle ist ein bipolares Neuron, also ein Neuron mit einem Axon und einem Dendriten das in der mittleren Schicht der Netzhaut liegt. Es übermittelt die sensorische Information von den Photorezeptoren zu den Ganglienzellen.
Ob knallbunte Lichtorgeln beim Konzert, zuckende Laserblitze in der Disko oder blinkende Lichtreklame in der Stadt – der Mensch versteht es mittlerweile ganz gut, sich die Nacht hell und farbig zu gestalten. Doch wen bei einem Spaziergang in der unbeleuchteten Natur einmal die Abenddämmerung überrascht hat, der wird bemerkt haben, dass sich das eben noch satte Grün der Wiesen und Bäume allmählich in einem faden Grau auflöst. Das liegt natürlich nicht an den Bäumen, die sind nach Einbruch der Dunkelheit genauso farbig wie mittags. Es ist die Art und Weise, wie unser Sehsinn arbeitet, die nachts nicht nur Katzen, sondern alles grau erscheinen lässt.
Fotorezeptoren als Übersetzer
Doch immerhin können wir auch bei wenig Licht unsere Umwelt erkennen und irren nicht vollkommen blind umher. Verantwortlich dafür sind auf diese Verhältnisse spezialisierte Lichtsinneszellen in der Netzhaut, die so genannten Stäbchen. Sie gingen im Laufe der Evolution aus dem zweiten Typ von Fotorezeptoren – den Zapfen – hervor. Denn um den damals auf der Erde herrschenden Reptilien zu entkommen, suchten die ersten Säugetiere den Schutz der Nacht. An die Gegebenheiten der Dunkelheit passten sich die frühen Säuger an und entwickelten neben den kurzen kegelförmigen Zapfen lang gezogene zylinderförmige Stäbchen.
Sowohl Stäbchen als auch Zapfen wandeln Lichtenergie in elektrische Signale um, übersetzen also den Sehreiz in die Sprache der Nervenzellen. Um diesen als Fototransduktion bezeichneten Prozess, der unserem Sehvermögen zu Grunde liegt, in Gang zu setzen, reichen den Stäbchen wesentlich geringere Lichtmengen als den Zapfen. Dies liegt an einem extrem sensiblen Molekül – dem Rhodopsin. Die Vorsilbe "rhod" geht auf das griechische Wort „rhodon" – Rose zurück und bezieht sich auf die pink-violette Färbung der Fotorezeptoren. Deshalb wird der Stoff manchmal auch Sehpurpur genannt. Fotopigmente sind Substanzen, deren Eigenschaften sich unter dem Einfluss von Licht verändern – und Rhodopsin ist das Fotopigment der Stäbchen. Untergebracht ist es in den Disks, scheibchenförmigen Membranen im Außensegment der Fotorezeptorzellen.
Licht lässt Zellen von der Leine
Das Rhodopsin-Molekül besteht aus zwei Teilen: Retinal, ein Abkömmling von Vitamin A, und Opsin, ein Protein. Retinal kann auf ein Photon reagieren, denn die Energie der kleinsten Lichteinheit reicht schon aus, um es von der so genannten „11-cis“- in die „all-trans“-Form zu verwandeln. Diese Konformationsänderung bewirkt eine Trennung der beiden Bestandteile und eine Aktivierung des Opsins. Da das Fotopigment dabei farblos wird, heißt dieser Vorgang auch Bleichung. Und dadurch wird wie in einem Dominospiel eine Kaskade angestoßen, die am Ende einen Nervenimpuls auslöst.
Denn das aktivierte Opsin regt das Transducin an. Über ein Effektorenzym signalisiert dieses bestimmten Schleusen-Proteinen in der Zellmembran des Stäbchens, dass die Durchlässigkeit der Zellmembran für positiv geladene Natrium-Ionen reduziert werden muss. Damit ändert sich die Verteilung der Ladungen an der Zellmembran, das so genannte Membranpotenzial. Schon im Dunkeln befinden sich mehr positive Ionen außerhalb als innerhalb der Zelle, sodass man von einem negativen Membranpotenzial spricht. Licht verschließt Natrium-Kanäle in der Zellmembran und unterbindet so den Einstrom dieser positiven Ionen. Dadurch wird das Membranpotenzial noch negativer, die Zelle hyperpolarisiert. Dies verringert die Menge des von den Lichtsinneszellen ausgeschütteten Botenstoffs Glutamat.
Es ist eine Besonderheit, dass das Absinken der Neurotransmitterfreisetzung von den nachgeschalteten Bipolarzellen als Befehl interpretiert wird, über Zwischenschritte einen Reiz an den Sehnerv zu übermitteln. Im Dunkeln werden die Bipolarzellen durch die kontinuierliche Glutamatproduktion der Stäbchen permanent gehemmt. Die Bipolarzelle legt sie wie einen Hund an die Kette, erst das Licht lässt sie frei. Und es gibt noch eine weitere Besonderheit: Während andere Nervenzellen einen Reiz nach dem Alles-Oder-Nichts-Prinzip weiterleiten, verändert die Bipolarzelle ihr Membranpotenzial graduell und übermittelt so ihrerseits die Information - wiederum mittels Ausschüttung von Neurotransmittern (Botensstoffe) und abhängig davon, wie viel oder besser wie wenig Glutamat-Hemmstoff sie erreicht. Konkret: Je mehr Licht auf das Stäbchen fällt, desto stärker ist das Signal der Bipolarzelle.
Bipolarzellen
Bipolarzelle/-/bipolar cell
Die Bipolarzelle ist ein bipolares Neuron, also ein Neuron mit einem Axon und einem Dendriten das in der mittleren Schicht der Netzhaut liegt. Es übermittelt die sensorische Information von den Photorezeptoren zu den Ganglienzellen.
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Spezialisten mit Stärken und Schwächen
Man kann sich durchaus fragen, warum die Natur eine derart komplexe biochemische Kaskade mit so vielen Zwischenschritten ersonnen hat, um Lichtenergie in Nervenzellimpulse zu verwandeln. Die Antwort ist, weil das Signal so verstärkt werden kann. Jedes Fotopigment-Molekül aktiviert mehrere Transducin-Proteine. Das dadurch freigesetzte Effektorenzym blockiert hunderte Natrium-Kanäle und somit den Einstrom von Millionen Natrium-Ionen. Durch diesen Verstärkungsmechanismus können die Stäbchen sogar ein einzelnes Photon, die kleinste Lichteinheit, detektieren.
Der Prozess der Fototransduktion läuft auch in den Zapfen ab. Während alle Stäbchen aber einheitlich maximal auf Licht mit einer Wellenlänge um 500 Nanometer reagieren, gibt es in der menschlichen Netzhaut drei Arten von Zapfen, die jeweils ein anderes Opsin enthalten. Das führt dazu, dass sie auf bestimmte Wellenlängen des Lichts unterschiedlich ansprechen. Oder, wie man im Fachjargon sagt: Jeder der drei Zapfentypen hat seine spektrale Empfindlichkeit. Der erste wird von blauem Licht optimal angeregt, der zweite von grünem, der dritte von rotem. Diese Spezialisierung ermöglicht uns, Farben zu sehen. Allerdings brauchen die Fotopigmente in den Zapfen deutlich mehr Energie, um gebleicht zu werden, als das Rhodopsin in den Stäbchen. Deshalb funktionieren sie nur am Tage. Und das ist auch bitter nötig, denn ab einer gewissen Lichtintensität stellen die Stäbchen ihre Arbeit ein. Sie sind dann so erregt, dass zusätzliches Licht keine weitere Hyperpolarisation bewirkt – ihre Lichtreaktion ist gesättigt. Ein Grund dafür ist die enorme Menge an Fotopigment in ihrem Inneren. Ein einziges Stäbchen enthält bis zu ungefähr zehn Millionen Rhodopsin-Moleküle – ein Vielfaches des Opsingehalts der Zapfen. Das macht sie bis zu 1000-mal Das macht sie bis zu 1000-mal lichtempfindlicher als ihre farbfähigen Fotorezeptor-Kollegen.
Schaltplan mit Verstärkerfunktion
Schon allein ihr Aufbau prädestiniert die Stäbchen also für schlechte Lichtverhältnisse. Dass wir selbst im spärlichen Mondlicht unsere Umwelt noch relativ gut erkennen können, liegt aber auch an einem weiteren Mechanismus, der sich ebenfalls im Laufe der Säugetierevolution entwickelt hat. So ist eine einzelne Bipolarzelle mit mehreren Stäbchen verschaltet. Genau wie ein Dutzend Solarzellen mehr Lichtenergie sammeln kann als eine einzelne, erhöht sich auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit, dass selbst in dunkler Nacht noch die Lichtmenge eingefangen werden kann, die notwendig ist, um einen Nervenimpuls auszulösen.
Zapfen hingegen sind oft nur mit einer Bipolarzelle verknüpft. Dies ist optimal für deren Domäne – das Scharfsehen, weil das Bild so in möglichst viele Bildpunkte aufgelöst werden kann. Diese Präzision geht aber auf Kosten der Lichtempfindlichkeit, denn eine Zapfenzelle muss ganz allein die Lichtenergie sammeln, um eine Bipolarzelle zu erregen. Das fällt den zusammengeschalteten Stäbchenzellen, die das Licht quasi im Team einfangen, leichter. Doch der Preis ist eine schlechtere Bildauflösung, weil ein auf die Netzhaut fallender Lichtreiz nicht exakt einem Stäbchen, sondern nur einer Gruppe von Stäbchen zugeordnet werden kann. Deshalb sind die Katzen nachts nicht nur grau, sondern auch ein Stück weit unschärfer als am Tage.
Veröffentlichung: am 03.11.2010
Aktualisierung: am 19.12.2017

