Wenn der Gehirnscan unsere Wahrnehmung verzerrt

(c) Axel Lindner / HIH
Symbolbild: Zur rechten Seite gelenkte räumliche Aufmerksamkeit. Die roten Punkte stellen visuelle Reize dar, die Person nimmt sie vermehrt in der rechten Seite wahr.

Die Untersuchung im Kernspintomographen stört die Raumwahrnehmung gesunder Personen, berichten Tübinger Hirnforschende.

Quelle: Hertie Institute für klinische Hirnforschung

Veröffentlicht: 13.10.2021

Die Kernspintomographie – auch Magnetresonanztomographie (MRT) genannt – setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerne zur Untersuchung unseres Gehirns und seiner Funktionen ein. Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Dr. Hans-Otto Karnath vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen berichtet nun, dass die Untersuchung selbst unsere Gehirnleistungen beeinflusst. Das starke Magnetfeld des MRT-Scanners stimuliere ungewollt das Gleichgewichtsorgan und verzerre dadurch die Raumwahrnehmung bei gesunden Versuchspersonen. Werden sie wieder aus der Röhre geholt, normalisiert sich ihre Wahrnehmung. Die Erkenntnis ist bedeutsam für künftige Studien in den Neurowissenschaften. Diese müssen unbedingt die verfälschte räumliche Aufmerksamkeit im MRT-Scanner berücksichtigen, fordern die beiden Wissenschaftler. Die Studie ist in der Fachzeitschrift eLife erschienen.

Das MRT ist in der medizinischen Diagnostik und Forschung weit verbreitet. Das Verfahren nutzt die magnetischen Eigenschaften der Atome in unserem Körper, um Organe und ihre Funktion bildlich darzustellen. Dazu ist allerdings ein starkes Magnetfeld erforderlich. „Untersuchungen im Magnetfeld sind harmlos und schaden nicht der Gesundheit. Manche Personen bemerken die Auswirkung des Feldes, indem ihnen im Scanner leicht schwindelig wird“, berichtet Neurobiologe und Erstautor Dr. Axel Lindner. „Dass das Magnetfeld nun auch grundlegend Einfluss auf die Wahrnehmung und damit bestimmte Studienergebnisse hat, ist neu und ein wichtiger Befund.“

Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen beobachtete er, dass sich gesunde Versuchspersonen im MRT plötzlich anders verhielten: Ihre räumliche Aufmerksamkeit driftete zur rechten Seite ab und das Gefühl für die Orientierung des eigenen Körpers im Raum war gestört. „Diese Beobachtungen erinnerten uns stark an Wahrnehmungsstörungen, wie sie nach Schlaganfällen auftreten können. Patientinnen und Patienten mit sogenanntem räumlichem Neglect vernachlässigen Reize in einer Seite des Raums. Sie lesen zum Beispiel nur die rechte Hälfte einer Zeitung oder laufen gegen die linke Seite des Türrahmens, weil sie ihn dort übersehen“, erklärt Neurologe Karnath.

In der Hirnforschung wird das MRT gerne eingesetzt, um dem Gehirn quasi beim Denken zuzuschauen. Mit ihm kann man untersuchen, wie es Reize wahrnimmt und verarbeitet. Dass Probandinnen und Probanden im Scanner ihre räumliche Wahrnehmung und Verhalten ändern, sollten künftige neurowissenschaftliche Studien unbedingt berücksichtigen, so die beiden Wissenschaftler. „Die Hirntätigkeit ist unter dem Magnetfeld auf jeden Fall verändert“, betont Lindner.

Möglicherweise kann das beobachtete Phänomen dazu genutzt werden, um Schlaganfallpatientinnen und -patienten mit Neglect zu therapieren. In weiteren Schritten wollen die Forschenden untersuchen, ob der Effekt bei längeren und mehrfachen MRT-Sitzungen doch über längere Zeit anhält und ob er bei Erkrankten die Symptome abschwächen kann.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Vestibularapparat

Vestibularapparat/Organon vestibulare/vestibular organ

Das Gleichgewichtsorgan ist Teil des Innenohres. Es hat seine Sensoren in den Bogengängen. Als Teil des Gleichgewichtssystems spürt er kreisförmige Umdrehungen (Rotationen), Beschleunigung und Schwerkraft (Gravitation) auf.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Schlaganfall

Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke

Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.

Neglect

Neglekt/-/neglect

Ein Neglect ist eine Wahrnehmungsstörung, bei der aufgrund einer Gehirnläsion Körperteile oder Reize nicht beachtet werden. Die Störung betrifft die der Hirnläsion gegenüberliegenden Seiten. Sie tritt meist nach Läsionen im rechten Parietallappen auf. Dementsprechend werden visuelle, auditorische und somatosensorische Stimuli der linken Seite nicht beachtet.

Originalpublikation

Lindner et al. (2021): Lying in a 3T MRI scanner induces neglect-like spatial attention bias. Elife;10:e71076.
doi: 10.7554/eLife.71076

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