Kampf der steten Schwärze

Therapieresistente Depression
Therapieresistente Depression
Autor: Janosch Deeg

Etwa ein Drittel der Menschen mit Depression sprechen nicht auf den ersten Therapieversuch mit gängigen Antidepressiva an. Viele davon leiden dauerhaft unter der Erkrankung, weshalb Forscher nach neuen Behandlungsmethoden suchen: Mit bestimmten psychogenen Substanzen erzielen sie bereits vielversprechende Effekte, und auch die direkte Stimulation des Belohnungssystems im Gehirn zeigt bei bislang therapieresistenten Betroffenen Wirkung.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Michael Deuschle

Veröffentlicht: 10.12.2019

Niveau: leicht

Das Wichtigste in Kürze
  • Die herkömmlichen Antidepressiva wirken bei rund einem Drittel der Menschen mit einer Depression nicht. 15 bis 25 Prozent der Betroffenen leiden an einer anhaltenden depressiven Störung, die mindestens zwei Jahre anhält.
  • Bei den Wirkstoffen der herkömmlichen Antidepressiva gibt es seit einigen Jahrzehnten kaum Neues zu vermelden. Neuerdings testen Forscher bestimmte psychogene Substanzen.
  • Der als Partydroge bekannte Wirkstoff Ketamin ist seit Frühjahr 2019 in den USA als Esketamin-Nasenspray gegen behandlungsresistente Depression zugelassen; in Europa ist die Zulassung beantragt. Die Wirkung gegen die depressiven Symptome setzt meist bereits innerhalb weniger Stunden ein.
  • Erfolge bei der Behandlung der Depression vermelden Forscher auch mit der so genannten tiefen Hirnstimulation. Mittels in das Gehirn eingebrachter Elektroden stimulieren sie dort das Belohnungszentrum. Weitere Studien müssen aber noch die Wirksamkeit beweisen, bevor die Therapiemethode zugelassen werden kann. 

“I look inside myself and see my heart is black (…) maybe then I’ll fade away and not have to face the facts / it’s not easy facing up when your whole world is black”.  In “Paint it, black” singen die Rolling Stones von Gefühlen, die viele Menschen mit Depression kennen. Glücklicherweise geht für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen dieser Zustand wieder vorüber. Das liegt in der Regel an einer erfolgreichen Therapie.

Doch nicht immer ist das so: Grob die Hälfte aller Patienten spricht nicht oder nur unzureichend auf die erste Behandlung mit einem Antidepressivum an. Bei ihnen wird der behandelnde Arzt in der Regel ein anderes Präparat verordnen. Laut Definition gelten Patienten als therapieresistent, wenn bei ihnen die Standarddosen von zwei unterschiedlichen Antidepressiva nach einer Behandlungsdauer von sechs bis acht Wochen nicht wirken. Etwa auf ein Drittel aller Betroffenen trifft das zu, und oftmals hilft bei ihnen dann keines der herkömmlichen Antidepressiva. Bei der Definition der „Therapieresistenz“ ist jedoch die Psychotherapie nicht mit einbezogen, die neben den Medikamenten die wichtigste Säule der Behandlung darstellt. Sie kann maßgeblich zur Genesung beitragen. Dennoch bleibt bei 10 bis 25 Prozent der Betroffenen die Welt dauerhaft „schwarz“. Hält dieser Zustand mindestens zwei Jahre an, sprechen Experten von einer anhaltenden depressiven Störung, umgangssprachlich auch chronische Depression genannt. Bezüglich der Schwere der Symptomatik kann sich dieser Zustand jedoch individuell stark unterscheiden. 

Endlich alternative Wirkstoffe?

Jahrzehntelang gab es bezüglich potenzieller Wirkstoffe gegen Depressionen kaum Neues zu verkünden. Fast alle etablierten Präparate beeinflussen auf die eine oder andere Art den Stoffwechsel der Botenstoffe Serotonin oder Noradrenalin im Gehirn. Blieb eine Wirkung aus, gab es wenig bis keine medikamentösen Alternativen. 

Im Frühjahr 2019 wurden jedoch Nasentropfen mit der als Partydroge bekannten psychoaktiven Substanz Ketamin in den USA unter strengen Auflagen als Medikament gegen behandlungsresistente Depression zugelassen. Das Nasenspray beinhaltet dabei nur eine der zwei Molekülvarianten von Ketamin, das so genannte Esketamin. Die andere, Arketamin, ist nämlich kaum pharmakologisch wirksam. Zahlreiche Studien mit Ketamin, beziehungsweise reinem Esketamin, hatten zuvor eine rasche Verbesserung der Depressionssymptome ergeben – teilweise schon 40 Minuten nach der ersten Gabe. Das schnelle Einsetzen der Wirkung ist ein Alleinstellungsmerkmal des Präparats. Auch in Europa ist die Zulassung beantragt.

Erstaunlich ist, dass die Wirkung in vielen Fällen Tage oder gar Wochen anhält, obwohl sich der Stoff normalerweise schon nach einigen Stunden nicht mehr im Körper befindet. Malek Bajbouj, Leiter der Abteilung Affektive Neurowissenschaften an der Berliner Charité erklärt gegenüber der Deutschen Apotheker Zeitung jedoch: „Ein großer Nachteil der Ketamintherapie ist gegenwärtig, dass man einen Teil der Patienten zwar schnell aus der Depression herausbekommt, aber gleichzeitig eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit hat.“ Auch er führt Studien mit dem Mittel durch. Gemäß seinen Erfahrungen wirkt das Mittel bei etwa einem Drittel der Probanden. Er hole damit die Patienten aus der Depression heraus und versuche dann den guten Zustand auf anderem Wege aufrechtzuerhalten. 

In einer 16-wöchigen Studie des Herstellers erbrachte allerdings auch die regelmäßige Gabe – alle ein bis zwei Wochen – erfreuliche Resultate: Von insgesamt 455 Patienten mit therapieresistenter Depression zeigten 297 entweder eine stabile Remission oder immerhin eine Minderung der Symptome um etwa die Hälfte. Bei ihnen konnte zwar die weitere Einnahme des Medikaments im Anschluss das Wiederauftreten der Erkrankung nicht immer verhindern, allerdings mindert es die Wahrscheinlichkeit dafür.   

Weshalb der Stoff bei Depressionen wirkt, ist noch Gegenstand der Forschung. Ketamin hemmt in erster Linie die Andockstelle für den Nervenbotenstoff Glutamat im Gehirn, was Bewusstsein und Schmerzempfinden beeinflusst. Daher wurde es bisher vorwiegend als Anästhetikum eingesetzt. In Versuchen mit Mäusen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Ketamin die Bildung bestimmter Vorwölbungen auf Nervenzellen anregt, den Dornenfortsätzen. Diese beeinflussen die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Da vorangehende Arbeiten eine Abnahme der Komplexität und Dichte der Fortsätze bei depressiven Patienten gezeigt hatten, könnte es sich dabei um einen möglichen Wirkmechanismus handeln. Zusätzlich werden aber auch einige andere Erklärungsansätze diskutiert.

Neben Ketamin könnten weitere psychoaktive Substanzen bei der Therapie von Depressionen zum Einsatz kommen: das gilt insbesondere für Psilocybin, der Wirkstoff von halluzinogenen Pilzen. Den Stoff untersuchen Mediziner bereits in fortgeschrittenen Studien an Patienten mit Depressionen. Laut ersten Erkenntnissen kann etwa Psilocybin dazu beitragen, Einstellungen und Überzeugungen zu verändern, und sich so positiv auf die Erkrankung auswirken.

Guter Draht

Als Alternative zu Medikamenten setzen einige Forscher auf die so genannte tiefe Hirnstimulation. In einer Operation werden dabei den Betroffenen hauchdünne Elektroden in das Gehirn eingepflanzt, wo sie über mehrere Wochen oder Monate Teile des Belohnungssystems stimulieren. Helen Mayberg, Professorin an der Mount Sinai Icahn School of Medicine in den USA, ist eine Pionierin auf diesem Gebiet. Im Jahr 2003 war die Neurologin die erste, die einer schwer depressiven Patientin eine Elektrode in den Kopf setzte. Mittlerweile sind viele weitere Betroffene hinzugekommen. „Wenn wir die richtige Stelle im Gehirn stimulieren, fühlen sich die Patienten sofort besser, wieder mit der Welt verbunden. Sie sagen ‚Ich bin wieder ich‘, noch während sie auf dem Operationstisch liegen“, beschrieb Mayberg ihre Erfahrungen mit der Therapie. Rund 60 Prozent der Patienten gehe es auch noch Jahren nach der Therapie deutlich besser als vorher, manche seien sogar beschwerdefrei, sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk. 

Erst in diesem Jahr berichteten Forscher des Universitätsklinikums Freiburg und des Universitätsklinikums Bonn im Fachmagazin Neuropsychopharmacology über ihre Erfolge mit der tiefen Hirnstimulation: Bei allen 16 Teilnehmern der einjährigen Studie beobachteten die beteiligten Ärzte bereits in der ersten Woche einen deutlichen Rückgang der Symptome. Im Durchschnitt hatte sich die Schwere der Depression nach einem Jahr halbiert; bei der Hälfte der Probanden waren die Symptome sogar dermaßen zurückgegangen, dass man ihre Erkrankung gemäß den Leitlinien nicht mehr als „behandlungsbedürftig“ einstufen würde. 

Für den Studienleiter Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg [], ist daher die tiefe Hirnstimulation eine ernsthafte Option für Patienten mit schwerster Depression. Damit das auch tatsächlich rasch verwirklicht werden kann, haben er und seine Kollegen bereits im Jahr 2018 mit einer weiteren, größeren Studie mit 50 Probanden begonnen – und Schläpfer ist optimistisch: „Wenn diese Studie genauso erfolgreich ist wie die vorangehende, besteht große Hoffnung auf eine europäische Zulassung des Verfahrens.“

Allerdings gibt es auch Rückschläge: Auf Grund der Erfolge Maybergs sollte im Jahr 2012 eine großangelegte Studie mit 200 Teilnehmern die Wirksamkeit der Methode nachweisen – und den Weg für eine Zulassung frei machen. Es kam anders: Von den ersten 60 Patienten, die einen aktivem Hirnstimulator eingesetzt bekamen, ging es nach sechs Monaten nur 20 Prozent besser. Der Sponsor brach die Studie ab. Möglicherweise war jedoch der Untersuchungszeitraum zu knapp bemessen: Die große Mehrheit der Teilnehmer entschied sich, den Hirnstimulator auch nach Ablauf der sechs Monate zu behalten. Anderthalb Jahre später ging es der Hälfte davon deutlich besser, ein Viertel hatte angeblich sogar gar keine Beschwerden mehr. 

Derzeit versuchen Forscher, die Methode weiter zu optimieren. So arbeiten sie beispielsweise an Verfahren, die selbstständig erkennen, wann genau das Gehirn eine Stimulation nötig hat, um noch deutlich gezielter gegen die Depression vorzugehen. Daneben experimentieren sie mit weiteren Ansätzen der neuronalen Anregung – etwa mittels Magnetfeldern, der so genannten transkraniellen Magnetstimulation. Für diejenigen, deren Welt dauerhaft schwarz ist, besteht also durchaus noch Hoffnung auf künftige, neuartige Therapiemethoden.

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