Kleines Lexikon „esoterischer“ Praktiken

Copyright: Meike Ufer
Lexikon der esoterischen Praktiken
Autor: Arvid Leyh

Yoga, Meditation, Entspannungstechniken – das klingt in vielen Ohren immer noch nach esoterischem Mumpitz. Doch spätestens seit die Hirnforscher sich mit diesen Themen beschäftigen, zeigt sich, wie sehr sich die Grenzen verschoben haben.

Veröffentlicht: 15.04.2014

Niveau: mittel

2005 sprach der Dalai Lama auf der weltgrößten Konferenz der Hirnforscher, der SfN Neuroscience in Washington. Wer? Ja, tatsächlich: Der Dalai Lama, der höchste spirituelle Würdenträger des tibetischen Buddhismus. Das kam unerwartet, nicht nur für chinesische Neurowissenschaftler (die dann erwartungsgemäß lautstark protestierten). Vielen ihrer Kollegen war der Buddhismus mit seinen diversen Bewusstseinstechniken eher dem Bereich der Esoterik zugehörig. Das hat sich in den letzten Jahren von Grund auf geändert: galten Yoga und Meditation noch vor 20 Jahren als esoterischer Mumpitz, werden sie heute breit beforscht. Und noch breiter als wirksam akzeptiert. Die Grenze zwischen Voodoo und verlässlicher Technik muss also an einigen Stellen neu gezogen werden.

Hier eine Einordnung:

Atmen

Es gibt wenig Alltäglicheres als die eigene Atmung. So alltäglich ist sie, dass wir sie selten überhaupt wahrnehmen. Doch eine Weisheit der indianischen Naturvölker lautet: „Breath is the horse, mind is the rider“ („Der Atem ist das Pferd, der Geist ist der Reiter“). Kann sich die Atmung womöglich tatsächlich auf unseren Bewusstseinszustand auswirken? Die Antwort ist ja, und das gleich mehrfach:

Während die Einatmung den Sympathicus, den anregenden Teil des autonomen Nervensystems aktiviert, sorgt in der Ausatmung sein Gegenspieler, der Parasympathicus, für Entspannung. Seufzen Sie kurz, aber hingebungsvoll – sie spüren den Effekt wohl sofort. Für die Kardiologen ist dieser Wechsel zwischen Erregung und Entspannung in der Herzfrequenz-​Variabilität sichtbar, und sagt viel über Gesundheit und sogar Überlebenschancen nach einem Herzinfarkt.

So hoch wollen wir das Thema hier nicht hängen, doch eine ruhige und langsame Atmung mit Betonung auf die verlängerte Ausatmung ist die Basis aller Entspannung und rundweg zu empfehlen.

Autonomes Nervensystem

Autonomes Nervensystem/-/autonomous nervous system

Der Teil des Nervensystems, der die Vitalfunktionen – wie Atmung, Herzschlag, Blutdruck – steuert. Unterteilt wird das autonome Nervensystem in einen sympathischen, anregenden, und einen parasympathischen, entspannenden Bereich.

Außerkörperliche Erfahrung

In der Esoterikabteilung der Buchhandlung gibt es diverse Werke mit Techniken, über die der Geist des interessierten Lesers den Körper verlassen und beispielsweise durch die nächtliche Stadt fliegen kann. Auch Nahtoderfahrungen sollen ihn von seinem körperlichen Ballast befreien.

Solche Nahtoderfahrungen wurden von britischen Medizinern dergestalt überprüft, dass sie Gegenstände auf die Oberseiten von Lampen legten, die für den Patienten von unten auf der Liege nicht sichtbar waren. Doch keiner, der sich am Rande des Todes und außerhalb seines Körpers befunden hatte, sah je diese Gegenstände. Obwohl er doch – subjektiv – über allem geschwebt ist.

Detlef Linke (1945−2005), bekannter deutscher Hirnforscher, erklärte das außerkörperliche Erleben mit einer Gedächtnisfunktion. Er riet, sich im Selbstversuch an das letzte Schwimmen im Wasser zu erinnern: Sieht man sich im Rückblick eher von außen im Becken, oder geht der Blick direkt an der Wasseroberfläche entlang? Bei den meisten Menschen ist ersteres der Fall. Sie nehmen damit schon bei gewöhnlichen Erinnerungen eine Perspektive ein, die sie in der ursprünglichen Erfahrung gar nicht innehatten.

Auch die Bücher mit den speziellen Techniken zum Erzeugen von außerkörperlichen Erfahrungen zeigen im normalen Leben wenig Erfolg: Wer auch immer auf diese Weise seinen Körper zu verlassen trachtet, sein Erleben hat mit der Realität nicht viel zu tun. Entsprechend hat man auch von all den militärischen Versuchen, wie sie zum Beispiel in dem Film „Männer, die auf Ziegen starren“ berichtet werden – der auf Tatsachen beruht – nicht mehr viel gehört.

Der Begriff „Außerkörperliche Erfahrung“ selbst allerdings hat überlebt und wird heute von Bewusstseinsforschern wie Olaf Blanke und Henrik Ehrsson verwendet. Denn der Geist kann seinen Körper tatsächlich verlassen.

Buddha-​Natur

„Wer ist der Meister, der das Gras grün macht?“ – das ist eine dieser verflixten Paradoxien des Zen-​Buddhismus, über die nicht nur der Geist von leidvollen Gedanken abgehalten wird, sondern sogar Erleuchtung erlangt werden soll. Da sitzt man dann und denkt und windet seinen Geist um jeden kleinsten Aspekt der Frage. Um dann, in der Theorie, irgendwann in einem wirklichen Geistesblitz Erkenntnis zu erlangen.

Ob sich das weitere Leben in der Erleuchtung tatsächlich anders gestaltet – und ob sie sich in der heutigen Zeit überhaupt noch erlangen lässt –, wurde dem Schreiber dieser Zeilen noch nicht offenbar. Doch es steckt viel Weisheit in dieser kleinen Geschichte:

Fragt der Schüler den Meister: „Was ist Erleuchtung?“
Fragt der Meister zurück: „Hast Du heute schon gegessen?“
„Ja“, antwortet der Schüler.
„Dann geh raus und wasch Deine Schale.“

Channeln

Kann eine tiefe Versenkung zu einem derart höheren Bewusstseinszustand führen, dass die Botschaften weiserer, spiritueller Wesenheiten durch so genanntes „Channeln“ empfangen werden können? Von Engeln, von Wesenheiten aus dem Sternbild der Plejaden, womöglich sogar von einem Gott? Dummerweise ist wissenschaftlich weder die Frage zu beantworten, noch die Existenz dieser Wesenheiten zu beweisen. Daher heißt es ja „Glaube“. Und so kann die Antwort auf die Frage hier auch nur lauten: Bestimmt!

Allerdings werden die meisten Wissenschaftler als objektiven Grund am Ende eher Autosuggestion oder Halluzination vermuten. Wer also die Weisheiten dieser höheren Wesenheiten „channelt“, muss nicht voller Absicht ein Scharlatan sein. Für ihn wirken die Botschaften aus einer höheren Sphäre im eigenen Erleben vielleicht ungemein überzeugend. Und scheinen damit wahr zu sein. Für sein Publikum muss das nicht gelten.

Entspannung/​Techniken

Stress hat viele Gründe. Einer davon besteht in zu vielen, zu schlechten Gedanken. „Rumination“ oder Grübelei heißt das dann, und wird von Psychologen auch mit Depression oder posttraumatischem Stress in Verbindung gebracht. Jeder, der je im Stau festgesessen und sich von einem ärgerlichen Gedanken zum nächsten gehangelt hat, kennt diesen Effekt.

Eine gute Methode, um den Geist sinnvoller zu beschäftigen, besteht in Entspannungsübungen: Über die Konzentration auf die Atmung oder den eigenen Körper, wie sie im autogenen Training und der progressiven Muskelentspannung nach Edmund Jacobson betrieben wird, kehrt wieder Ruhe und Frieden ein. Sie sollte daher möglichst täglich betrieben werden. Empfiehlt auch Ihre Krankenkasse.

Depression

Depression/-/depression

Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.

Esoterik

bedeutet wörtlich „geheimes Wissen“. Ein Wissen, das entweder nur eingeweihten, ausgewählten oder zahlungskräftigen Personen zur Verfügung steht. Oder Zeitungslesern im täglichen Horoskop. Letztere sind eine Kunst für sich – Formulierungen wie „Sie sind schüchtern, können sich aber durchaus durchsetzen“, wollen erst einmal ersonnen werden. Dann aber schaffen sie einen Topf, der so groß ist, dass sich jeder irgendwo wiederfindet.

Viel interessanter sind elitäre und monetäre Aspekte. Denn Verknappung – in diesem Fall von Wissen – ist immer eine hervorragende Verkaufsstrategie und bedient zudem gleich mehrere psychologische Verzerrungen. Zum Beispiel wissen wir aus der Verhaltensökonomie, dass teure Medikamente besser wirken, als günstige.

Ganz wichtig ist natürlich der Vorsprung durch das geheime Wissen, denn bekanntlich ist Wissen Macht. So lernen beispielsweise Scientologen, vor einer Rede mental alle Ecken des Vortragsraumes zu besetzen, um so das Publikum quasi einzukreisen – und damit erfolgreicher zu reden. Wie immer in solchen Fällen lässt sich wissenschaftlich nicht überprüfen, ob plötzlich zusätzlich vier Emanationen von Tom Cruise herrisch blickend den Raum unter Kontrolle halten, aber klar ist auch: Glaubt Cruise an sie, fühlt er sich sicherer und trägt entsprechend überzeugender vor. Entscheidend ist ja, was hinten rauskommt.

Flow

Flow ist ein Konzept des amerikanischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi, und entsteht oft daraus, bei einer Tätigkeit knapp unter der eigenen Leistungsgrenze gefordert zu sein. Mehr würde den Druck erhöhen, weniger Anspruch zu Langeweile führen. So aber besteht die Chance, diesen Zustand namens Flow zu erreichen, in dem man völlig in der aktuellen Tätigkeit versinkt und sich selbst, die Umgebung, die Zeit komplett vergisst.

Sportler kennen diesen tranceartigen Zustand, ebenso Kreative aller Art, aber er lässt sich im Grunde bei jeder Tätigkeit erreichen. Ihn als „Meditation in Aktion“ zu bezeichnen, ist nicht ganz falsch.

Geistheilung

So sich der Geist über die Materie erhebt, ist er angeblich in einigen Fällen fähig, diese Materie, sofern krank, zu heilen. Geistheilung nennt sich das, und funktioniert aus der Ferne, mit Handauflegen, mit blutigen Operationen ohne sichtbare Narbe … was auch immer der Geistheiler für den Patienten überzeugend darstellen kann.

Obwohl viele Heiler von den eigenen Fähigkeiten höchst überzeugt sind, würden nach aktuellem Erkenntnisstand die meisten Wissenschaftler eher einen Placebo-​Effekt vermuten. Statt Zuckerpillen ohne Wirkstoff liefert hier eben ein Mensch dem Patienten diesen überzeugenden Grund, der es ihm ermöglicht, mithilfe seiner Überzeugung und seines Glaubens die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Nicht jeder findet das gut. Aber wir wollen hier keine subjektiven Wunder verbieten. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Geistheilung die Chirurgie je wird ersetzen können.

Meditation

Es gibt eine Unzahl an Meditationstechniken. Manche zielen auf visionäres Erleben, wenn beispielsweise Hindus in höheren Ebenen mit göttlichen Wesenheiten verkehren. Andere schulen die Achtsamkeit, indem man auf eine Kerze meditiert, einen Satz oder auch nur eine bestimmte Silbe – ein so genanntes Mantra. Ein solches gibt es übrigens in den Kreisen der transzendentalen Meditation zu Preisen jenseits der 1.000 Euro zu kaufen, und diese sollen ganz besonders effektiv sein. Wer sich jedoch ein wenig mit der Maharishi-​Bewegung beschäftigt, wird sich schnell eine andere Methode suchen.

Doch die meisten Meditationstechniken sind unbedenklich und in Grundzügen an jeder Volkshochschule zu lernen. Und nicht einmal die braucht es: Die simpelste, aber wohl mit die schwierigste Methode besteht darin, sich einzig auf die eigene Atmung zu konzentrieren einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Und nur darauf. Welcher Gedanke auch immer hochkommt – und es kommen immer irgendwelche Gedanken – wird wieder losgelassen und die Aufmerksamkeit sanft zurück auf den Atem gelenkt.

Wer es gern wissenschaftlich fundiert versuchen möchte: Die Mindfulness-​Based-​Stress-​Reduction (MBSR) ist die am besten erforschte und eine erwiesenermaßen effektive Methode.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Sensorische Deprivation

Eine ganz eigene Erfahrung ist die sensorische Deprivation, der Ausschluss möglichst aller Reize der Außenwelt. Wer das erleben muss – in Einzelhaft zum Beispiel – ist einem ernsthaften psychischen Risiko ausgesetzt. Jenseits von Terrorgefängnissen kann man über die sensorische Deprivation allerdings einen sehr tiefen Entspannungszustand erleben. Ausgesprochen gut funktioniert das über das „Floating“. Dazu begebe man sich in einen so genannten Isolationstank, eine Erfindung des Amerikaners John C. Lilly, der neben so manchem Anderen auch renommierter Gehirnforscher war.

In diesem Isolationstank ist es völlig still, und dunkel dazu. Gefüllt ist der Tank mit Salzlösung, die den Körper trägt. Da Wasser und Luft körperwarm sind, kommen keine sensorischen Informationen von Außen, und so verschwimmen die Grenzen des Körpers und es kann ein Gefühl der Schwerelosigkeit entstehen.

Ein Gehirn ohne sensorischen Input hat die Tendenz, sich seine Information selbst zu generieren. Das können intensive Tagträume sein oder plötzliche Ideen. Oft entsteht auch ein sehr tiefer Entspannungszustand.

Voodoo

Dem Voodoo verdankt Hollywood einen seiner wichtigsten Geldbringer überhaupt: den Zombie, den Untoten. Der entstammt einer ursprünglich afrikanischen Religion und ein böser Zauberer kann so ziemlich jeden mittels schwarzer Magie in einen Zombie verwandeln.

Voodoo liefert einen interessanten Einblick in die schwarze Magie: Nadeln in kleinen Puppen sorgen bei realen Menschen für gesundheitliche Probleme, abgeschnittene Hühnerfüße auf dem Kopfkissen verkünden den baldigen Tod. Dass so mancher dieser Zauber tatsächlich funktioniert, hat mit der Erwartung des Opfers zu tun – ein Nocebo (der „böse“ Bruder des Placebos) dunkelster Art, der eben auch die Existenz von Zombies erklären kann. Denn deren Körper sind mitnichten leblos, sondern werden nur von jemandem bewohnt, der denkt, er sei tot und werde ferngesteuert.

Im Fachwortfundus dieses kleinen Lexikons steht Voodoo stellvertretend für Scharlatanerie.

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One comment

Gabriella .. 20.01.2017
Außerkörperliche Erfahrungen:

Jemand der in so einen zustand befindet, wird nicht achten darauf was auf die Lampe befindet, wenn diese Gegenstand nicht sehr auffallend ist. Genauso, wie Er/Sie nicht darauf achtet wo der Mistkübel, oder sonst welche Gegenstände befinden. Ich glaube auch, das nicht egal ist ob Jemand in künstlich oder wirklich in Nachtoterfahrung befindet.

Nicht Alle, sehen sich von Oben, die außer Körperlicher Erfahrungen machen.

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