Göttergabe und Teufelszeug

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Göttergabe und Teufelszeug

Priester nahmen sie, Ärzte, Künstler, Soldaten und Partygänger: Drogen wurden zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftsschichten konsumiert, weckten Hoffnungen und Begierden – und führten so manchen geradewegs in die Sucht.

Wissenschaftliche Betreuung: Dr. Stefan Gutwinski

Veröffentlicht: 27.05.2015

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Der Gebrauch von Drogen ist schon im Tierreich bekannt und hat die Geschichte der Menschen von Beginn an begleitet.
  • Während Drogen die längste Zeit eine spirituelle Funktion hatten, fanden sie seit der Kolonialzeit in Europa auch das Interesse von Ärzten, Psychiatern Chemikern und Künstlern.
  • Die Suche nach einer Sprache, um die Rauscherfahrungen zu beschreiben bereicherte die Romantik.
  •  Das Militär war schon früh an Substanzen interessiert, die die Kampfkraft der Soldaten erhöhen könnten.
  • Heute wird vor allem über die Legalisierung von Cannabis diskutiert. 

Es gibt nicht viele Dinge, die allen menschlichen Kulturen gemeinsam sind. Der Konsum von Drogen aber gehört dazu. Er begleitet die Menschheitsgeschichte seit ihren Anfängen. In den Argentinischen Anden fanden Archäologen 4000 Jahre alte Pfeifen aus ausgehöhlten Pumaknochen. Und darin Reste der Samen des Busches Anadenanthera. Diese enthalten Dimethyltryptamin (DMT), eines der stärksten natürlich vorkommenden Halluzinogene überhaupt. Der Biologe und Sachbuchautor Josef Reichholf vertritt gar die These, die Menschen hätten den Ackerbau nur deshalb auf sich genommen, um Bier brauen zu können. Provokant auch die Idee des Journalisten und Drogen-​Aktivisten Mathias Bröckers, der selbst die Geschichte von Adam und Eva und dem verbotenen Baum der Erkenntnis als Rauscherfahrung interpretiert. Ähnlich scheinen es auch manche Exegeten im Mittelalter empfunden zu haben: So findet sich in einer der Kapelle in Plaincourault in Frankreich eine Darstellung des Sündenfalls aus dem 12. Jahrhundert, auf dem sich die Schlange um einen Fliegenpilz windet.

Erfunden hat der Mensch den Drogenkonsum allerdings nicht. Zahlreiche Tierarten nutzen das reiche Angebot der Natur an berauschenden Stoffen. Rentiere fressen Fliegenpilze, Paviane kauen Tabak, Kängurus räubern in Mohnfeldern, in Indien sollen Elefanten bisweilen Schnapsbrennereien plündern und Delfine vergiften sich mit Kugelfischen, indem sie diese beißen und das Gift aufnehmen, das die Fische dabei absondern. Laborstudien zeigen zudem, dass Ratten dem Alkohol gern zusprechen und ein ganz ähnliches Suchtverhalten an den Tag legen wie Menschen.

Bis heute werden rund um den Globus zahlreiche Substanzen konsumiert, die Auswirkungen auf das Bewusstsein haben: Von eher milde wirkenden legalen Substanzen wie Kaffee, Kakao oder Tee bis hin zu stark abhängig machenden neuesten Designerdrogen, den sogenannten Legal Highs, die, kaum entwickelt, als „Kräutermischungen“ oder „Badesalz“ angeboten werden.

Dem aktuellen Bericht des Bundeskriminalamts zufolge gibt es rund 1500 solcher neuer Drogen. Hinzu kommen die bereits bekannten, nicht minder gefährlichen Varianten wie Ecstasy, Amphetamine, Kokain oder Heroin. Im vergangenen Jahr starben in Deutschland dem BKA zufolge 1032 Menschen am Konsum illegaler Drogen. Bei den „erstauffälligen Konsumenten“ verzeichnete die Polizei bei Ecstasy und Chrystal Meth Anstiege von 42 beziehungsweise 14 Prozent. Ungeschlagen in den Drogenstatistiken Deutschlands ist allerdings nach wie vor der Alkohol: Dem „Jahrbuch Sucht 2014“ zufolge trinken etwa Etwa 1,61 Millionen Deutsche zu viel, etwa 1,77 Millionen gelten als abhängig. Jährlich sterben 74.000 Deutsche an direkten und indirekten Auswirkungen des Alkohols.

Berauschende Gabe der Götter

Es sind die traurigen Folgen einer Entwicklung, die einst als spirituelle Erfahrung begann. Rauschmittel galten lange als ‚Gabe der Götter’, die dem Berauschten Dinge sichtbar oder erfahrbar machen, die ihm im nüchternen Zustand verborgen blieben. Die Phythia, die im Orakel von Delphi weissagte, saß über einer Erdspalte, aus der berauschende Dämpfe aufstiegen. Im Südpazifik gilt der Genuss von Kawa, einem berauschenden Getränk, als Begleiter in die Welt der Ahnen. Viele in Stein gemeißelte absonderliche Gestalten an den Tempeln der Inkas werden auf Visionen im Drogenrausch zurückgeführt. Berauscht, da scheinen sich die Kulturen einig, ist der Mensch den Göttern näher.

Seit der Antike waren im Abendland bewusstseinsverändernde Pflanzen wie Bilsenkraut, Mohn, Tollkirsche, Stechapfel, Alraune, Eisenhut und Schierling bekannt, seit dem 16. Jahrhundert nannte man sie „Narcotica“. Erst mit dem weltweiten Reisen und Handeln kamen Tee und Kaffee, Cannabis und Coca, Tabak und Opium auf den Kontinent. Keiner dieser Stoffe erreichte als Rauschmittel die Bedeutung des Alkohols. Dennoch interessierten sich die Mediziner und Apotheker brennend für die neuen Substanzen und testeten sie in Tier– und Selbstversuchen. So entwickelte der berühmte Arzt Paracelsus im 16. Jahrhundert das Laudanum, eine in Alkohol gelöste Opiumtinktur, die er als Allheilmittel pries. Den Apothekern gelang es nach und nach mit immer ausgefeilteren Verfahren und Rezepturen, aus den pflanzlichen Drogen standardisierte marktfähige Produkte mit gleichbleibendem Wirkstoffgehalt zu machen. Laudanum etwa war bis in die 1930er Jahre in Apotheken erhältlich.

Hinzu kamen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr synthetische, also im Labor hergestellte Drogen, wie das 1799 erstmals erzeugte Lachgas. Hundert Jahre später konnten die Chemiker eigenständige Subtanzen gewinnen: Morphin aus Opium, Nikotin aus Tabak, Kokain aus dem Kokablatt, Kodein aus der Mohnkapsel. Zunächst galten all diese Stoffe als Heilmittel. Doch mit zunehmender Verbreitung wuchs das Bewusstsein für ihre Gefahren. Internationale Abkommen sollten ihre Verbreitung eindämmen – und beförderten zugleich die Suche nach Ersatzstoffen, die bisweilen schlimmer waren als die Vorgänger. So ersetzte der Chemiekonzern Bayer das Morphin 1898 durch Heroin, 1927 synthetisierte ein britischer Chemiker das erste Amphetamin.

Morphin

Morphin/-/morphine

Morphin ist je nach Dosis ein potentes Schmerzmittel oder eine bewusstseinsverändernde Droge. Synthetisiert aus dem Samen der Mohnblume und benannt nach dem griechischen Gott des Traumes bindet Morphin an die Opioidrezeptoren des Gehirns.

Inspirationsquelle für Künstler und Psychiater

Doch nicht nur Ärzte und Apotheker, auch Künstler experimentierten mit den neuen Drogen. Überall in Europa entstanden Zirkel wie der berühmte, von Théophile Gaultier so eindrücklich beschriebene Pariser „Klub der Haschischesser“. Hier trafen sich Künstler wie Delacroix, Daumier, Baudelaire, Balzac und Dumas zu Experimenten mit „dieser grünen Paste“, einer Mischung aus Haschisch, Trockenfrüchten und Zucker. Dumas machte mit „Der Graf von Monte Christo“ dem breiten Publikum den Haschischrausch bekannt, in England schlugen die „Bekenntnisse eines Opiumessers“ von Thomas de Quincey Wellen. Die Künstler rangen nicht nur mit ihren Rauscherlebnissen, sondern auch mit der Herausforderung, eine Sprache zu finden, um ihre innere Welt zu beschreiben – und bereicherten damit die Romantik.

Psychiater interessierten sich ebenfalls früh für die neuen Rauschmittel. Zum einen als mögliche Medikamente zur Behandlung von Schwermut. Beruhigungsmittel gab es genug, doch es fehlte an Stoffen, die Patienten aufmuntern konnten. Zum anderen als Mittel, das es ihnen ermöglichen würden, besser zu verstehen, was in einem von Wahnvorstellungen geplagten Patienten vor sich ginge. Der Pariser Psychiater Jacques-​Joseph Moreau war einer der ersten, die Cannabis, das „Wundermittel“ der indischen Medizin, von dem die Ärzte aus den Kolonien berichteten, an sich selbst und seinen Patienten testete. „Geisteskranke, Patienten und Haschischesser äußern sich vergleichbar, wenn sie ihre Erfahrungen mitteilen wollen; es scheint daher, dass beide Gruppen unter den gleichen Einflüssen standen“, schrieb er 1845. Diese Experimente stärkten zugleich ein naturalistisches Weltbild, zeigten sie doch, dass „alle geistigen Erfahrungen in der Tiefe unseres Gehirns entstehen, ganz so, wie die, die von Haschisch ausgelöst werden“. Hier nahm mit der Einsicht in die organische Bedingtheit des Seelenlebens die Psychopharmakologie ihren Anfang, konstatiert Alfred Springer vom Ludwig-​Boltzmann-​Institut für Suchtforschung in Wien. Selbst Siegmund Freud unternahm Selbstversuche mit Kokain, dem er attestierte, die geistige Leistungsfähigkeit zu erhöhen, ohne bei abklingender Wirkung Depressionen hervorzurufen.

Depression

Depression/-/depression

Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.

Soldaten unter Drogen

Und auch das Militär war von Beginn an dabei, wenn es um Stoffe ging, die die Leistungsfähigkeit der Soldaten steigern und ihr Schlafbedürfnis reduzieren konnten. Das heute als Crystal Meth bekannte Methamphetamin wurde unter dem Namen Pervitin, auch Panzerschokolade, Hermann Göring-​Pille oder Stuka-​Tablette genannt, in den Schlachten des Zweiten Weltkriegs millionenfach Soldaten verabreicht. Es dämpft Angst und erhöht Konzentrations– und Leistungsfähigkeit.

Die Bundeswehr soll es bis in die 1970er Jahre „für den Ernstfall“ vorgehalten haben, die Nationale Volksarmee der DDR bis 1988. Dass Piloten der US-​Armee zwischen „go pills“ und „stop pills“ wechseln, ist ein offenes Geheimnis. Bei ersteren handelt es sich um Dextroamphetamine, auch Speed genannt, die die bis zu 24 Stunden dauernden Einsätze im Irak oder in Afghanistan erst möglich machen. Letztere sind Beruhigungsmittel, die die Soldaten nach dem Einsatz schlafen lassen.

Cannabis und die Jugendkultur

Nach wie vor sind Drogen auch bei Jugendlichen und jungen Partygängern sehr beliebt – als Mutprobe, als Mittel, sich gehen zu lassen oder besonders ausdauernd zu tanzen. In den unterschiedlichen Jugendkulturen ist Cannabis bis heute die am weitesten verbreitete illegale Droge. „Unter den Jugendlichen gibt es eine Art Dreiteilung“, berichtet Bernd Werse vom Centre for Drug Research der Goethe-​Universität Frankfurt am Main: „Cannabis hat die niedrigste Hemmschwelle, viele probieren es aus, bei unserer letzten Befragung unter Frankfurter Schülern waren es 42 Prozent. Dann auf einer zweiten Stufe sind Speed, Ecstasy, Kokain, alles außer den echten Junkiedrogen. Und eine noch höhere Hemmschwelle gibt es zu Heroin, Crack und Meth, da gibt es nur sehr wenige Jugendliche, die das ausprobieren.“ Insgesamt, so berichtet Werse, waren es zuletzt acht Prozent, die jemals eine andere Droge als Cannabis ausprobiert hatten.

Soll Cannabis legalisiert werden?

Aktuell wird diskutiert, ob der Konsum von Cannabis, das als vergleichsweise ungefährlich gilt, legalisiert werden soll. Die Debatte ist komplex. Einiges spricht dafür, die Droge zuzulassen und so zu entkriminalisieren. Aktuelle Studien weisen jedoch darauf hin, dass auch Cannabis ein Suchtpotenzial hat und Veränderungen im Gehirn auslösen kann. So haben Forscher um Marta di Forti vom Department for Psychosis Studies des King’s College in London in einer aktuellen Studie herausgefunden, dass Konsumenten von potentem Cannabis mit einem besonders hohen Wirkstoffgehalt ein dreifach erhöhtes Risiko haben, an einer Psychose zu erkranken. Andere Studien fanden Veränderungen im Gehirnstoffwechsel und beeinträchtigte Aufmerksamkeits– und Gedächtnisleistungen bei Cannabis-​Konsumenten, und zwar umso stärker, je jünger die Konsumenten sind. Etwa neun Prozent mache der Konsum zudem süchtig, so das Ergebnis einer Gruppe um Nora Volkow vom US-​amerikanischen National Institute on Drug Abuse.

„Wenn man Cannabis legalisieren würde, dann sicher nicht so wie heute das Rauchen oder den Alkohol, billig und überall zu bekommen“, sagt Werse. Er hält die Berichte von hochpotentem Cannabis allerdings für übertrieben: „Das ist ein Prozess, der schon mit der Hippiebewegung angefangen hat, da haben Leute angefangen, Cannabissorten auf ihren Wirkstoffgehalt hin zu kreuzen. Das Marihuana ist heute etwa eineinhalb Mal so stark wie das Haschisch, das in den 1970er Jahren den Markt dominierte.“ Die zum Teil extrem auseinander klaffenden Zahlen, die in US-​amerikanischen Studien zitiert werden, erklärt Werse mit unterschiedlichen Messmethoden: Seinerzeit seien die ganzen Pflanzen von relativ schlechtem Haschisch auf ihren Gehalt des Wirkstoffs THC untersucht worden, was einen THC-​Gehalt zwischen 0,5 und 2 Prozent ergab. Heute würden hingegen die wirkstoffreichen Blüten von deutlich potenterem Haschisch analysiert, mit Ergebnissen zwischen 10 und über 20 Prozent THC. „Daher kommen die überzogenen Darstellungen von 10 bis 40 mal stärkerem Stoff’“, so Werse.

Werse hält Verbote und das Strafrecht für die falsche Art, dem Cannabiskonsum zu begegnen: „Die Aufgabe der Prävention muss sein, zu verhindern, dass Jugendliche zu früh anfangen oder täglich oder gar mehrmals täglich konsumieren. Natürlich ist es am sichersten, die Finger davonzulassen, aber wenn man Cannabis ab und zu mal konsumiert, ist das gesundheitlich unbedenklich.“

„Drogen sind eine Abkürzung, sei es zu tiefer Entspannung oder zu Höchstleistungen“, fasst Klaus Farin, Gründer des Archivs der Jugendkulturen, zusammen. Und wie die meisten Abkürzungen hätten sie einen Nachteil: „Man lernt nichts dabei, bedarf also zukünftig immer wieder der Stimulation von außen. So gesehen sind Drogen stets auch ein Zeichen von Schwäche und Bequemlichkeit.“

Zum Weiterlesen:

  • Alternativer Drogenbericht
  • Mike Jay: High Society. Eine Kulturgeschichte der Drogen, Darmstadt 2011
  • Jodi M. Gilman et al (2014): Cannabis Use is Quantitatively Associated with Nucleus Acumbens and Amygdala Abnormalities in Young Adult Recreational Users. The Journal of Neuroscience, April 16, 2014, 34(16):5529 –5538
    DOI: DOI:10.1523/JNEUROSCI.4745 – 13.2014
  • Marta Di Forti et al (2015) : Proportion of patients in south London with fi rst-​episode psychosis attributable to use of high potency cannabis: a case-​control study. The Lancet psychiatry 2: 233 – 38
    doi​.org/​1​0​.​1​0​1​6​/​S​2​2​1​5​-​0​3​6​6​(​1​4​)​00117 – 5
  • Nora Volkow et al (2014): Adverse health Effects of Marijuana Use. The New England Journal of Medicine 4, 370, 2219 – 27.
    DOI: 10.1056/NE/Mra1402309

Nucleus

Nucleus/Nucleus/nucleus

Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

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