Wenn schreckliche Erinnerungen bleiben - Ein Leitfaden für Patienten

PTSD - Leitfaden für Patienten

Grauenhafte Erlebnisse können zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen, doch Sie stehen nicht alleine da. Lassen Sie sich begleiten und lernen Sie, das Trauma als einen Teil Ihrer Lebensgeschichte zu akzeptieren.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Frodl Thomas

Veröffentlicht: 21.01.2017

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Manche Erlebnisse sind so schrecklich, dass sie den Betroffenen auch noch nach langer Zeit schwer belasten können. Beenden Sie diese Quälerei: Die Heilungschancen für Posttraumatische Belastungsstörungen stehen gut.
  • Für den Erfolg der Therapie sind Ihr Sicherheitsgefühl sowie ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und dem Therapeuten enorm wichtig.
  • Ziel der Therapie: Stabilisieren Sie sich, konfrontieren Sie sich mit dem Trauma und integrieren Sie das Erlebte in Ihre Lebensgeschichte. Ist die Konfrontation aufgrund Ihrer Verfassung nicht möglich, kann darauf verzichtet werden.
  • Manche Personengruppen sind besonders gefährdet, eine PTBS zu entwickeln. Dazu gehören Menschen die Vergewaltigungen, Misshandlungen und sexuellem Missbrauch in der Kindheit oder Kriegshandlungen erlebt haben .
  • Ihnen stehen bundesweit zahlreiche Hilfsangebote zur Verfügung. Erkundigen Sie sich zum Beispiel beim Deutschen Institut für Psychotraumatologie oder der deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie.

Viele Menschen erleben in ihrem Leben Schreckliches: Krieg und Terror, Gewalt und Misshandlung, ein schwerer Unfall oder eine Naturkatastrophe. Möglicherweise waren auch Sie schon in solch einer Situation, wo man eigentlich fliehen oder kämpfen möchte, aber ohnmächtig und hilflos war und Todesangst empfunden hat.

Typisch für traumatische Erfahrungen ist, dass sie unsere Verarbeitungsfähigkeit bei weitem übersteigen. Besonders gefährdet für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind Menschen die Vergewaltigungen, Misshandlungen und sexuellem Missbrauch in der Kindheit oder Kriegshandlungen erlebt haben. Aber auch im Falle eines Traumas, das als weniger schlimm empfunden wurde, kann sich das Vollbild einer PTBS herausbilden.

Oft löst das Trauma eine Stressrektion aus. Körper und Geist sind in Alarmbereitschaft, was dem Überleben dient. Diese anfangs entstehende akute Belastungsreaktion ist völlig normal. Es können sich aber Traumafolgestörungen entwickeln. So können die Gefühle von Hilflosigkeit und Todesangst immer wieder hochkommen. Noch Wochen, Monate oder sogar Jahre sind die Eindrücke so präsent, dass sie Angst und Schrecken auslösen. Wenn Sie das bei sich beobachten, ist das kein Zeichen von Schwäche, und Sie sind auch kein Feigling. Womöglich leiden auch Sie an einer PTBS. Haben Sie keine Angst vor der Angst, denn mit einer adäquaten Therapie stehen Chancen gut, Ihre Verletzungen zu überwinden und in ein weitgehend normales Leben zurück zu finden.

Diagnostik mit Selbsteinschätzung

Ausschlaggebend bei der Diagnose einer PTBS ist die subjektive Bedeutung, die das traumatische Ereignis für Sie hat. In einem ausführlichen Gespräch in vertraulicher Atmosphäre mit einem Psychiater oder einem Psychologen arbeiten Sie heraus, seit wann Sie unter den Symptomen leiden und wie stark die verschiedenen Lebensbereiche davon eingeschränkt sind. Die Diagnostik kann zusätzlich auf strukturierten und standardisierten Interviews basieren. Hinzu kommen Fragebögen, in denen Sie unter anderem den Grad Ihrer Beeinträchtigung sowie Häufigkeit und Intensität der Symptome selbst beurteilen. Bei einer PTBS kommen häufig Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Suizidalität vor. Diese müssen bei Ihnen ausgeschlossen oder definiert werden, um sie gegebenenfalls gleich mit zu behandeln.

Eine Therapie beginnen

Wählen Sie Ihren Therapeuten sorgfältig aus. Das Deutsche Institut für Psychotraumatologie stellt auf seiner Internetseite eine nach Postleitzahlen sortierte Liste von Therapeuten mit einer Zusatzqualifikation in Psychotraumatologie zur Verfügung. Weitere Informationen erhalten Sie online über die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie, wo die Suche unter anderem je nach Patientengruppe (Erwachsene, Kinder oder Jugendliche), Therapieverfahren oder Begleiterkrankung verfeinert werden kann.

Haben Sie einen Therapeuten gefunden, geht es zu Beginn der Therapie darum, sich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Dabei sollte sich bei Ihnen ein Gefühl von Sicherheit einstellen. Den Therapieverlauf planen Sie gemeinsam mit Ihrem Therapeuten. Die Kosten für die Behandlung werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen, wobei hier häufig auch juristische Aspekte wie Opferentschädigung und Schadensersatz beachtet werden müssen. Genauso können Berufsgenossenschaft und Unfallversicherung greifen, wenn sich die PTBS aus einem Arbeitsunfall entwickelt hat. Die Behandlung kann als Einzel- oder Gruppentherapie, ambulant oder stationär erfolgen. Letzteres wird vor allem dann vorgezogen, wenn Begleiterkrankungen bestehen.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Therapie zu gestalten, meist ist dies ambulant möglich. In erster Linie besteht die Behandlung aus einer, auf das Trauma fokussierten Psychotherapie, die den Betroffenen helfen soll, die Kontrolle über ihre Gefühle wiederzugewinnen. Als besonders wirksam gelten eine kognitive Verhaltenstherapie, die hilft, falsche Lernprozesse zu erkennen und zu korrigieren. Ebenso wirksam ist die EMDR-Therapie. Das Kürzel steht für ruckartige horizontale Augenbewegungen, die Patienten unter Anleitung durchführen, während sie an die traumatische Erfahrung zurückdenken, ohne allerdings darüber zu sprechen.

Begleitende Medikamente können ebenfalls nötig und hilfreich sein, vor allem moderne Antidepressiva (SSRI) und - in der Regel nur kurzzeitig – angstlösende und beruhigende Wirkstoffe.

Wichtig für die Therapie ist auch, in wie weit Sie von Ihrem sozialen Umfeld unterstützt werden. Zum Zeitpunkt der Behandlung sollten Sie möglichst in einer Umgebung leben, in der Sie vor einem erneuten Trauma sicher sind. Trifft das nicht zu, könnte das bereits ein Thema Ihrer ersten Sitzung sein. Warum bleiben Sie in dieser bedrohlichen Situation und welche Auswege gibt es?

Drei Schritte vorwärts

Die Therapie umfasst drei Teile: Stabilisierung, Konfrontation und Integration. Wie lange jede Phase andauert und wie oft zwischen den einzelnen Phasen hin und hergewechselt wird, bestimmen Sie selbst, wobei der Therapeut ihnen hier beratend zur Seite steht. Im ersten Schritt geht es darum, Ihre körperlichen wie psychischen Ressourcen wieder aufzubauen und zu reaktivieren. Sind Sie ausreichend gestärkt, versuchen Sie sich, dem Trauma in Teilen oder in seiner Gesamtheit zu stellen.

Dies kann in Ihrer Vorstellung, während einer Nacherzählung oder in traumaassoziierten Situationen passieren. Ihr Therapeut begleitet Sie dabei und gibt Ihnen das notwendige Sicherheitsgefühl. Manche Patienten haben das Trauma oder sogar den gesamten betroffenen Lebensabschnitt in einer Kiste tief in Ihrem Unterbewusstsein vergraben. Sie haben keine Erinnerungen mehr daran, merken jedoch, dass Sie auf bestimmte Reize mit Angst und Panik reagieren. Auch in diesem Fall begleitet Sie der Therapeut behutsam durch die Therapie. Ob Sie letztendlich mit dem Trauma in all seinen Einzelheiten konfrontiert werden, entscheiden Sie selbst.

Als hilfreich haben sich auch Entspannungstechniken wie Yoga, Autogenes Training oder Biofeedback erwiesen mit denen Patienten lernen können, ihre Symptome besser zu steuern. Weiterhin können Sie Ihre Behandlung um Musik-, Kunst- oder Bewegungstherapie erweitern. Ziel des letzten Schrittes ist es dann, das Trauma in Ihre Biographie zu integrieren und es damit zu akzeptieren.

Nachsorge

Im Laufe der Therapie werden Sie merken, dass Sie die ungewollt auftretenden Erinnerungen an das traumatische Ereignis wieder unter Ihre Kontrolle bringen, Begleiterscheinungen wie Schlaf- oder Konzentrationsprobleme nehmen ab und Erinnerungslücken schließen sich. Sie haben Strategien gelernt, um auf bedrohliche Situationen zu reagieren und sind so gegen eventuelle Rückfälle gewappnet. Bei Bedarf erhalten Sie im Anschluss Unterstützung bei Ihrer beruflichen oder sozialen Neuorientierung sowie bei Problemen in Ihrer Partnerschaft, die in Folge des Traumas entstanden sind.

Vor der Therapie war klar, dass Sie das Erlebte niemals rückgängig machen können. Doch nach der Therapie haben Sie das Trauma womöglich nicht nur bewältigt, sondern sind auch im Zuge der so genannten posttraumatischen Reifung daran gewachsen.

Soldaten der Bundeswehr

Gehören Sie einer Berufsgruppe an, die für die Sicherheit oder Gesundheit anderer Menschen zuständig ist, haben Sie ein erhöhtes Risiko an einer PTBS zu erkranken. Als Soldat zum Beispiel werden Sie immer wieder mit Leid, Elend und Tod konfrontiert. Daher bietet die Bundeswehr ein psychosoziales Netzwerk an, bestehend aus Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und Seelsorgern, die selbstverständlich alle der Schweigepflicht unterliegen (PTBS-Hilfe). Bis zu sechs Monate nach einem Einsatz steht Ihnen eine Präventivkur zu, mit der eine PTBS verhindert werden soll. Sofortige Beratung sowie umfassende Informationen zu Krankheit und Hilfsangeboten erhalten Sie unter der Sofort-Hilfe Hotline (0800 588 7957). Auf der Internetseite des Bundeswehr-Support können Sie auch nach Hilfsangeboten in Ihrer Nähe suchen. Hinzu kommen Bundeswehrkrankenhäuser, in denen eine stationäre Behandlung möglich ist, und ambulante Sanitätszentren. Ergotherapie sowie künstlerische Arbeiten mit Holz, Metall oder Malerei sorgen für Entspannung und schaffen einen geregelten Tagesablauf während der Therapie.

Geflüchtet und traumatisiert

Eine weitere Risikogruppe sind Menschen, die durch Krieg oder Terror traumatisiert wurden und flüchten mussten. Leider ist die Versorgung hier aufgrund der sprachlichen Barrieren noch unzureichend. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert qualifizierte Gutachter in den Sozialämtern sowie psychotherapeutische Privatpraxen für Flüchtlinge und die Finanzierung von Dolmetscherleistungen. In verschiedenen Städten gibt es so genannte Migrantenambulanzen. Hier erhalten Sie Diagnostik und Therapie in verschiedenen Sprachen. Als anerkannter Flüchtling stehen Ihnen außerdem alle anderen Hilfsangebote zur Verfügung, die von Ihrer Krankenkasse übernommen werden. Als noch nicht anerkannter Flüchtling wenden Sie sich am besten zunächst an Ihre Flüchtlingsberatungsstellen oder den örtlichen Wohlfahrtsverband.

Ein Angriff auf Ihre Seele bedarf der gleichen Fürsorge wie eine körperliche Verletzung. Verhindern Sie, dass Narben entstehen: Haben Sie Vertrauen zu anderen und zu sich selbst!

zum Weiterlesen:

  • Neurologen und Psychiater im Netz: PTBS; http://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/erkrankungen/posttraumatische-belastungsstoerung-ptbs (Stand 25.11.2016); zur Webseite
  • Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie; URL: http://www.degpt.de/ (Stand: 22.11.2016); zur Webseite
  • Deutsches Institut für Psychotraumatologie; URL: http://psychotraumatologie.de/ (Stand: 22.11.2016); zur Webseite
  • PTBS-Hilfe für Soldaten der Bundeswehr; URL: https://ptbs-hilfe.de/startseite.html (Stand: 22.11.2016); zur Webseite

 

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