Heureka – Lernen durch Einsicht

Grafikerin: Meike Ufer
Heureka

Ob wir schwierige Rätselnüsse knacken, uns eine Umgebung einprägen oder abstrakte Begriffe lernen: es sind alles Fälle von kognitivem Lernen. Mentale Abbilder der Welt helfen uns dabei.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Boris Suchan

Veröffentlicht: 12.01.2024

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Menschen, aber auch manche Tierarten lernen nicht nur allmählich durch Versuch und Irrtum. Beim Lösen von Problemen kommen sie zu plötzlichen Einsichten.
  • Diese können sie verallgemeinern und auf andere Probleme übertragen.
  • Das so genannte kognitive Lernen basiert auf innerer Informationsverarbeitung. Menschen und manche Tiere können ihre Umwelt mental abbilden und dann mit diesen inneren Vorstellungen arbeiten.
  • Ein Beispiel für mentale Repräsentationen sind kognitive Karten, die man im Geist von seiner Umgebung anfertigt.
  • Das neuronale Korrelat dieser mentalen Karten ist unter anderem die Aktivität von Platzzellen im Hippocampus.
  • Das Gedächtnis spielt beim kognitiven Lernen eine wichtige Rolle. Vorwissen und Überzeugungen bestimmen das Gelernte mit.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Sultan ist ausgesprochen hungrig. Eine Banane wäre da genau das Richtige. Das Problem für den Schimpansen ist nur: Die ersehnte Frucht liegt jenseits seines Käfigs außerhalb seiner Reichweite. Auch die beiden Stöckchen, die der Psychologe Wolfgang Köhler dem Affen gegeben hat, scheinen ihm wenig zu helfen. Schließlich fallen sie ziemlich kurz aus. Was also tun? Könnten Menschen und auch Tiere nur über Konditionierung lernen, wäre an dieser Stelle die Geschichte zu Ende und Sultan wäre hungrig geblieben. Doch es kam anders. Tatsächlich mühte sich Sultan lange Zeit vergeblich mit den beiden kurzen Stöcken ab. Frustriert und schmollend hockte er in seinem Käfig. Doch dann hatte Sultan die rettende Idee. Er wandte sich den Stöcken zu und steckte sie ineinander. Mit der nun längeren Stange konnte er die begehrte Frucht ergattern.

Im Rahmen seiner Versuche in den 1920ern interpretierte Wolfgang Köhler (1887−1967) Sultans Vorgehen als einen Fall von einsichtigem Lernen. So löste der Affe das Problem plötzlich und nicht erst allmählich durch Versuch und Irrtum. Hatte er die Nuss einmal geknackt, konnte er das Problem außerdem immer wieder lösen. Zudem waren Köhlers Schimpansen in der Lage, ihre Einsichten zu verallgemeinern und auch auf neue Probleme zu übertragen. Sultan stapelte nicht nur herumliegende Kisten, um an weit oben hängende Bananen zu kommen. In einem weiteren Fall nutzte er diese Idee, um mit anderen Hilfsmitteln das gleiche Ziel zu erreichen. Dabei war er nicht immer wählerisch. Einmal musste gar Wolfgang Köhler selbst herhalten und ihm als Podest dienen.

Assoziatives versus kognitives Lernen

Vieles, was Menschen oder Tiere lernen, lässt sich nicht durch Versuch und Irrtum und Konditionierung erklären. Etwa wenn wir abstrakte Begriffe erwerben, komplexe Schlüsse ziehen oder aus einem Artikel wie diesem etwas mit nach Hause nehmen. Wie sich etwa rein assoziatives Lernen durch Konditionierung von kognitivem unterscheidet, lässt sich an einem Beispiel erklären. Bringt man etwa Jagdhunden bei, bei einem bestimmten Klang einer Hundepfeife zum Jäger zurückzukehren, handelt es sich um klassische Konditionierung. Ein neutraler Reiz wandelt sich durch das Training in einen konditionierten. Nun lassen die Hunde allerdings in der Regel andere Pfeiftöné, die für andere Hunde bestimmt sind, kalt. Das veränderte Verhalten bezieht sich nur auf den erworbenen konditionierten Reiz. Ganz anders ist die Lage beim kognitiven Lernen.

Auch hier ist ein Versuch erhellend, den Wolfgang Köhler 1918 in seiner Versuchsstation auf Teneriffa durchgeführt hat. Er ließ Haushühner unterschiedlich hohe und tiefe Töné unterscheiden, wobei der hellere Ton der Zielreiz war, den zu erkennen Köhler belohnte. Gespannt beobachtete der Psychologe, was passierte, wenn er den Hühnern einen noch helleren Ton präsentierte. Den zuvor erlernten Zielreiz zu wählen, wäre nichts anderes als Lernen durch Assoziation. Tatsächlich entschieden sich die Tiere aber für den neuen Reiz. Sie hatten offensichtlich die Beziehung zwischen den Reizen als entscheidendes Kriterium erkannt und das vorangegangene Lernergebnis auf die neue Situation übertragen.

Mentale Repräsentationen der Umwelt

Das Besondere an kognitivem Lernen ist, dass es auf innerer Informationsverarbeitung basiert. Die Idee hinter dem so genannten kognitiven Ansatz in der Psychologie ist: Menschen und Tiere können – in unterschiedlichem Grade natürlich – ihre Umwelt mental abbilden und dann mit diesen inneren Vorstellungen arbeiten, statt sich unmittelbar mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Im Falle von Sultan kann der kognitive Ansatz einiges an Erklärungspotenzial liefern. Das Tier bildet das Problem offensichtlich mental ab und simuliert innerlich einzelne Bestandteile dieser Repräsentation so lange, bis es auf eine Lösung stößt, die es dann in der realen Welt anwendet. Die einmal gewonnene Lösung ist dann auch weiterhin verfügbar, weil die mentale Repräsentation beständig ist. Übertragen konnte Sultan die Lösung auf ähnliche Probleme, weil die Repräsentation möglicherweise abstrakt genug ist, um nicht nur die ursprüngliche Situation abzubilden.

Kognitives Lernen lässt sich in vielen Fällen offensichtlich in zwei Schritte unterteilen. In einem ersten wird die Lösung eines Problems in Angriff genommen. In einem zweiten Schritt wird die Problemlösung im Gedächtnis abgelegt. Schließlich kann sie in ähnlichen Situationen noch einmal von Nutzen sein. Das Gedächtnis spielt beim kognitiven Lernen eine wichtige Rolle.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Mentale Landkarten

Ein früher Anhänger des kognitiven Ansatzes des Lernens war der amerikanische Psychologe Edward Tolman. Ihn trieb in den 1930ern und 1940ern das Problem um, wie Ratten einen Weg durch ein kompliziertes Labyrinth erlernen. Tolmans Idee: Ratten machen sich eine kognitive Karte des Labyrinths, dessen Anordnung sie mental abbilden. Studien verschiedener Forscherteams scheinen diese Annahme zu bestätigen. In einem typischen Versuchsaufbau stoßen Ratten am Ende einer jeden Verzweigung eines Labyrinths auf Futter. Ihre Aufgabe besteht darin, jede dieser Verzweigungen aufzusuchen, ohne eine zweimal zu betreten. Wie die Experimente zeigen, lernen die kleinen Nager ziemlich schnell — selbst dann, wenn man den Geruch von Futter in noch nicht besuchten Verzweigungen mit Rasierwasser überdeckt. Die Ratten gehen übrigens auch nicht systematisch vor, sondern suchen die Verzweigungen in zufälliger Reihenfolge auf. Von daher lernen sie offensichtlich nicht einfach eine starre Abfolge von Reaktionen. Wahrscheinlicher ist es, dass sie tatsächlich eine Art mentaler Karte des Labyrinths entwickeln, in der auch markiert ist, in welcher Verzweigung sie schon gewesen sind.

Mittlerweile haben Forscher auch potenzielle neuronale Korrelate kognitiver Karten ausfindig gemacht. Unter anderem spielen so genannte Platzzellen im Hippocampus eine große Rolle, der für das Langzeitgedächtnis und räumliche Orientierung wichtig ist. Einzelne Platzzellen repräsentieren dabei unterschiedliche Orte in der Umwelt. Die Gesamtheit all dieser Zellen stellt eine Karte der gesamten Umgebung dar. (siehe Video: Räumliches Gedächtnis) 2009 nahmen der Psychologe Joseph Manns von der Emory University und der Neurowissenschaftler Howard Eichenbaum von der Boston University die Aktivitäten von mehreren Dutzend Pyramidenzellen im Hippocampus von Ratten auf. Sie fanden heraus, dass die Aktivitätsmuster vieler Pyramidenzellen den Ort und die Identität eines Objektes widerspiegelten.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Langzeitgedächtnis

Langzeitgedächtnis/-/long-term memory

Ein relativ stabiles Gedächtnis über Ereignisse, die in der etwas entfernteren Vergangenheit passiert sind. Im Langzeitgedächtnis werden Inhalte zeitlich nahezu unbegrenzt gespeichert. Unterschiedliche Gedächtnisinhalte liegen in unterschiedlichen Gehirn-​Arealen. Die zelluläre Grundlage für diese Lernprozesse beruht auf einer verbesserten Kommunikation zwischen zwei Zellen und wird Langzeitpotentierung genannt.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Pyramidenzellen

Pyramidenzellen/-/pyramidal neuron

Pyramidenzellen sind die häufigsten Neurone im Cortex (Großhirnrinde). Sie sind besonders groß und ihr „dreizipfliger“ Zellkörper erinnert im Schnittbild an einen Kegel oder eine Pyramide.

Abstrakte Konzepte bei nichtmenschlichen Primaten

Für die Annahme von mentalen Repräsentationen beim Menschen und bestimmten Tierarten sprechen auch Studien mit Primaten, die der amerikanische Psychologe David Premack und seine Frau Ann James durchführten. Sie zeigen, dass selbst Schimpansen in der Lage sind, abstrakte Konzepte zu lernen. Sie können beispielsweise lernen, unterschiedliche Plastikchips für einzelne Wörter zu verwenden. Dabei verstehen sie nicht nur konkrete Konzepte wie „Apfel“, sondern auch abstrakte Begriffe wie „gleich“. So verwenden sie einen Chip, der für „gleich“ steht, wenn man ihnen zwei „Orange“-Chips vorlegt, aber den „verschieden“-Chip, wenn man ihnen einen „Orange“- und einen „Apfel“-Chip vor die Schauze hält.

Erwartungen und Vorwissen

Eine weitere wichtige Erkenntnis des kognitiven Ansatzes ist: Erwartungen spielen beim Lernen eine große Rolle. In einem Experiment eines Teams um den Psychologen Lee Ross von der Stanford University präsentierte man Probanden in mehreren Durchgängen zwei Messwerte zur Ehrlichkeit von Personen, die aus vollkommen unterschiedlichen Situationen stammten. Ein Wert gab beispielsweise an, wie häufig ein Junge in der Schule von den Mitschülern abschrieb. Ein anderer, wie oft der Junge im Elternhaus unehrlich war. Auf dieser Grundlage sollten die Probanden einschätzen und erlernen, wie stark der Zusammenhang zwischen den beiden Messwerten war. In manchen Fällen fiel er sehr gering aus. Die Versuchspersonen überschätzten ihn allerdings durch die Bank. Die bei Menschen weit verbreitete Überzeugung und Erwartung, dass verschiedene Maße eines Charakterzugs stark korrelieren müssten, setzte sich gegenüber den Fakten durch.

Menschen neigen beim Lernen also dazu, auf ihr Vorwissen zurückzugreifen. Kognitives Lernen beruht ganz allgemein darauf, dass Menschen und auch manche Tierarten nicht bloß auf Reize aus ihrer Umwelt reagieren, sondern auch neue Informationen mit bereits gespeichertem Wissen verknüpfen. Und manchmal, das zeigt das Beispiel von dem Schimpansen Sultan, kommen sie dabei sogar zu ganz neuen Einsichten.

zum Weiterlesen:

  • Homepage der Uni Düsseldorf mit vielen Filmen und Abbildungen zum Lernen durch Problemlösung nach Köhler; URL: http://www.lern-psychologie.de/kognitiv/koehler.htm [Stand: 12.01.2024], zur Webseite
  • Manns, J.R., Eichenbaum H.: A cognitive map for object memory in the hippocampus. Learning and Memory. 2009; 16:616 – 624 (zum Text).

Veröffentlichung: am 27.12.2012
Aktualisierung: am 12.01.2024

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