Soziale Schmutzwäsche

Grafik: MW
Soziale Schmutzwäsche
Autor: Eva Eismann

„Sozial“, dabei denken wir meist an Menschen, die in einer Gemeinschaft friedlich zusammenleben. Aber das menschliche Miteinander hat auch seine Schattenseiten. Neid, Hass und Rache sind ebenso soziale Emotionen wie Liebe und Hilfsbereitschaft.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Tobias Kalenscher

Veröffentlicht: 19.08.2016

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Zum sozialen Zusammenleben gehören nicht nur positive Gefühle. Auch Neid, Schadenfreude und gegenseitige Manipulation haben hier ihren Platz.
  • Wer anderen ihren finanziellen Erfolg oder ihr gutes Aussehen neidet, bringt auch ihren sonstigen Eigenschaften mehr Aufmerksamkeit entgegen. Das könnte helfen, dem anderen nachzueifern.
  • Schadenfreude und Rache sind nötig, damit zu einem gemeinsamen Gut auch alle beitragen. Für die Möglichkeit, Schmarotzer zu bestrafen, setzen Probanden im Labor gutes Geld ein.
  • Daneben steht die Fähigkeit des Menschen, besser zu scheinen als er ist. Diese soziale Manipulation wird nach dem italienischen Staatsphilosophen gerne Machiavellismus genannt. Sie fängt aber schon bei unbewusster Imitation an.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Sozialphobie

Für manche Menschen ist der Umgang mit anderen geradezu eine Qual. Sie haben das Gefühl zu erröten, sobald sie mit einem attraktiven Gegenüber reden. Zitternd stehen sie vor den Kollegen, wenn sie einen Vortrag halten sollen. Oder sie vermeiden um jeden Preis, vor anderen zu essen. Im Extremfall igeln sich Betroffene völlig zuhause ein. Im Kern haben sie alle eine übermäßige Angst davor gemeinsam, sich in sozialen Situationen zu blamieren.

Soziale Phobien oder Angststörungen sind weit verbreitet: Studien kommen teilweise auf Werte von über 10 Prozent der Bevölkerung, die im Laufe ihres Lebens betroffen sind. Darunter leiden nicht nur Beziehungen zu potentiellen Freunden und Partnern. Auch im Schul- und Berufsleben sind Menschen mit einer sozialen Phobie weniger erfolgreich. In der Therapie hilft vor allem Training, die angstauslösenden Situationen immer weniger zu vermeiden.

Kern

Kern/-/nucleus

Der Kern ist in einer Zelle der Zellkern, der unter anderem die Chromosomen enthält. Im Nervensystem ist der Kern eine Ansammlung von Zellkörpern – im zentralen Nervensystem als graue Masse, ansonsten als Ganglien bezeichnet.

Warum hat der, was ich nicht habe? Das Geld, das gute Aussehen, den besseren Job? Solche Fragen können ziemlich in der Seele bohren – und zu einem freundlichen Miteinander tragen sie auch nicht gerade bei. Aber das hässliche Gefühl Neid kann auch ein Ansporn sein, sich den Anderen zum Vorbild zu nehmen, an sich selbst zu arbeiten. Mehr Aufmerksamkeit schenken wir dem Beneideten jedenfalls, berichteten Sarah E. Hill, Danielle J. DelPriore und Philipp W. Vaughan 2011. Sie zeigten Studenten Fragebögen und Fotos von fiktiven Kommilitonen und erfassten anschließend sowohl den Neid als auch das Merkvermögen. Neidischer waren die Probanden auf Figuren, die etwa einen neuen BMW fuhren. Vor allem die Frauen reagierten auch auf attraktive Frauen negativ. Je stärker aber der Neid, desto besser konnten sich die Teilnehmer auch an andere Daten aus dem Fragebogen erinnern: Dass etwa John Stewart Miller Chemie studierte und gerne auf Hawaii leben würde.

Um diesen Neid zu wecken, reichte es aus, die Probanden einen Aufsatz über die fiktiven Kommilitonen schreiben zu lassen. Danach besserte sich die Erinnerung an die Inhalte aller Fragebögen – auch solche, die gar keine Neidstimuli enthielten. Wer anderen etwas neidet, bringt also auch deren sonstigen Eigenschaften mehr Aufmerksamkeit entgegen.

Solch eine verbesserte Aufmerksamkeit hat jedoch auch ihren Preis, nämlich schwächere Leistungen in anderen kognitiven Bereichen: In einem weiteren Teilversuch konfrontierten die Forscher Teilnehmer nach den fiktiven Fragebögen mit schwierigen Wortpuzzles. Irgendwann gaben die Probanden bei diesem Test auf – und zwar umso schneller, je besser sie sich den Namen eines neiderweckend reichen und gutaussehenden fiktiven Kommilitonen gemerkt hatten.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Wer den Schaden hat …

Wer John Stewart Miller seinen neuen BMW neidet, wird wohl hämisch grinsen, wenn ihm dieser vor aller Augen absäuft. Das Gefühl der Schadenfreude kennen auch Kulturen, die keinen eigenen Begriff dafür haben. So hat es das deutsche Wort als Lehnwort auch ins Englische geschafft. Wissenschaftler bewerten Emotionen wie Schadenfreude, oder den Wunsch gar nach Rache, nach Bestrafung als notwendig für ein funktionierendes Gemeinwesen.

Soziale Zusammenarbeit steht immer wieder vor dem gleichen Problem: Derjenige profitiert am meisten, der die Früchte der gemeinsamen Arbeit ernten kann, ohne selbst allzu viel beizutragen (Betrügen oder nicht?).

Tania Singer und Nikolaus Steinbeis , damals an der Universität Zürich, trugen zahlreiche Studien zusammen, die sich mit dem Effekt von Strafen auf die Kooperationsbereitschaft beschäftigten. In Laborsituationen ließ sich fast jeder dritte Teilnehmer auf Kosten der anderen aushalten, und mehr als die Hälfte trug zu Gemeingütern nur bei, wenn sie sich der Kooperation der anderen sicher sein konnten.

Ein sozialeres Verhalten ließ sich dann erreichen, wenn in die Spielsituation eine Möglichkeit eingeführt wurde, Schmarotzer mit Geldstrafen zu belegen. Dafür war mehr als die Hälfte der Teilnehmer bereit, eigenes Geld einzusetzen. Mit durchschlagendem Erfolg, wie ein anderes Experiment zeigte: Bestand die Möglichkeit, dass die Mitspieler ihrem Ärger über unfaires Verhalten mit Geldstrafen Luft machen würden, setzten so gut wie alle Probanden mehr Geld für die Gemeinschaftskasse ein als in Durchgängen ohne Strafmöglichkeit (Das Gebot der Fairness).

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Auch pure Boshaftigkeit hat eine evolutionäre Funktion

Neben dieser „altruistischen Bestrafung“ interessieren sich die Forscher auch für die pure Boshaftigkeit („spite“). Im Gegensatz zum Altruismus ist hier weder ein direkter noch ein indirekter Vorteil für das Individuum zu erkennen. Man nimmt sogar Kosten und Nachteile für sich selbst in Kauf, um dem Gegenüber zu schaden, etwa bei den Auftritten von Hooligans am Rande mancher Fußballturniere. Solch ein Verhalten mag nicht nur abstoßend, sondern auch völlig sinnlos erscheinen. Ein Erklärungsansatz wäre aber, dass „spite“ eine mögliche evolutionäre Funktion ist, mit der sich die Fitness der konkurrierenden Gruppe verringern lässt, was dann direkt oder indirekt der eigenen Gruppe zugute käme.

Letzteres, also das kostenträchtige Favorisieren der Ingroup und das gleichzeitige Reduzieren des Wohlergehens der Outgroup nennt sich Parochialismus. Beispiele dafür sind Nationalismus, Rassismus, Sexismus und ethnische Konflikte. Auch Aggressionen gegen Flüchtlinge könnten gemäß obiger Definition als Parochialismus bezeichnet werden (Mein Rudel — dein Rudel).

Ähnliche Ingroup-​Outgroup-​Phänomene kann man im Labor erzeugen, wenn Versuchspersonen nach völlig belanglosen Kriterien in zwei Gruppen eingeteilt werden, etwa nach der Farbe ihres T-​Shirts oder ihrem Kunstgeschmack. Das parochiale Verhalten tritt dann in Spielsituationen und anderen Simulationen zutage. Teilt man die Probanden nach echten Unterschieden in Gruppen ein, wie zum Beispiel nach dem Lieblings-​Fußballverein, so werden die parochialen Tendenzen massiv verstärkt.

Lügen, betrügen, manipulieren

Wer sich auf subtilere Weise Vorteile auf Kosten anderer verschaffen will, muss lernen, seine Absichten zu verbergen. Diesem Charakter, der lügt und betrügt, um andere für sich zu nutzen, hat Niccolò Machiavelli seinen Namen gegeben. Der italienische Diplomat empfahl im frühen 16. Jahrhundert in seinem bekanntesten Werk Il Principe (deutsch: Der Fürst) eine Politik, die moralische Werte hinter den Machterhalt zurückstellt - und sie zu diesem Zweck auch schon einmal vortäuscht: „Ein Fürst muß also nicht die vorhin beschriebenen Tugenden haben, wol aber das Ansehn davon. Ich wage es zu behaupten, daß es sehr nachtheilig ist, stets redlich zu sein: aber fromm, treu, menschlich, gottesfürchtig, redlich zu scheinen ist sehr nützlich.“

Nun muss „Manipulation“ nicht immer zum Nachteil des Gegenübers sein. Die evolutionstheoretische Forschung, für die etwa Andrew Whiten und Richard W. Byrne als Herausgeber eines Buchs mit dem Titel „Machiavellian Intelligence“ (ISBN-​10: 0198521758) stehen, fasst darunter etwa schon das Lernen von Artgenossen: ein Ausnutzen von deren Wissen. In diesem weiteren Sinne könnte die Manipulation des sozialen Umfelds ein wesentlicher Antrieb für die Evolution von Intelligenz gewesen sein (Das soziale Gehirn ).

Intelligenz

Intelligenz/-/intelligence

Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen. Dem britischen Psychologen Charles Spearman zufolge sind kognitive Leistungen, die Menschen auf unterschiedlichen Gebieten erbringen, mit einem Generalfaktor (g-​Faktor) der Intelligenz korreliert. Demnach lasse sich die Intelligenz durch einen einzigen Wert ausdrücken. Hierzu hat u.a. der US-​Amerikaner Howard Gardner ein Gegenkonzept entwickelt, die „Theorie der multiplen Intelligenzen“. Dieser Theorie zufolge entfaltet sich die Intelligenz unabhängig voneinander auf folgenden acht Gebieten: sprachlich-​linguistisch, logisch-​mathematisch, musikalisch-​rhythmisch, bildlich-​räumlich, körperlich-​kinästhetisch, naturalistisch, intrapersonal und interpersonal.

zum Weiterlesen:

  • West SA, Gardner A (2010) Altruism, spite, and greenbeards. Science 327:1341 – 1344
  • Tajfel H (1982) Social psychology of intergroup relations. Annual Review of Psychology 33:1‐39.
  • Wilson DS et al.: Machiavellianism: A Synthesis oft he Evolutionary and Psychological Literatures, Psychol Bull. 1996 Mar;119(2):285 – 99. (zum Volltext) [http://teamvdf.free.fr/TER%20M1/Machiavellianism%20a%20synthesis%20of%20the%20evolutionary.pdf]
  • Bundesverband der Selbsthilfe Soziale Phobie; URL: http://​www​.vssp​.de [Stand: 15.06.2016]

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