Strategien für die Regeneration von Myelin

© MPI für experimentelle Medizin/ Berghoff

Der Abbau und Wiederaufbau von Myelinscheiden kennzeichnen Erkrankungen des Gehirns wie der Multiplen Sklerose. Unentbehrlicher Bestandteil von Myelinscheiden ist Cholesterin. Daher muss das Cholesterin für die erneuerten Myelinscheiden entweder aus geschädigtem Myelin wiederverwertet oder lokal neu produziert werden. In einer aktuellen Studie haben die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen unter der Leitung von Gesine Saher herausgefunden, dass bei chronischen Schädigungen anders als bei akuten Schädigungen kaum Cholesterin recycelt wird, sondern die Neuproduktion von Cholesterin die Effizienz der Reparatur bestimmt. Unerwarteterweise leisten nicht nur die Myelin-bildenden Zellen selbst, sondern auch Nervenzellen einen wichtigen Beitrag zu Regeneration. Cholesterinsynthese in Nervenzellen sorgte besonders für den Nachschub an frischen Myelin-bildenden Zellen, was den Therapieerfolg bei Myelinerkrankungen wie der Multiplen Sklerose mitbestimmen könnte.

Quelle: Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin

Veröffentlicht: 27.10.2021

Wenn Läsionen in Myelinerkrankungen wie der Multiplen Sklerose entstehen, geht die cholesterin- und lipidreiche Isolationsschicht um die Nervenfasern verloren. Um permanente Schäden zu vermeiden, müssen die nun nackten Nervenfasern möglichst schnell wieder durch neu aufgebautes Myelin geschützt werden. In der akuten Phase der Erkrankung ist defektes Myelin im Überfluss vorhanden. Cholesterin wird aus defektem Myelin in Fresszellen aufgenommen und wiederaufbereitet den Myelin-bildenden Zellen zur Verfügung gestellt. Dieser Reparaturprozess verläuft in jungem Alter oft sehr schnell und reibungslos.

Je länger die Erkrankung allerdings dauert, desto weniger effizient verläuft dieser kritische Prozess. Fresszellen des Gehirns können sich in Schaumzellen umwandeln, die nicht mehr an der Wiederaufbereitung des Cholesterins teilnehmen. Der chronische und wiederholte Abbau von Myelinscheiden hinterlässt dauerhaft nackte Nervenfasern. Daher ist degeneriertes Myelin und Cholesterin in chronischen Läsionen Mangelware. „Wir vermuteten, dass in der cholesterinarmen Umgebung chronischer Läsionen die Produktion dieses wichtigen Lipids wieder angeworfen wird“, erklärt die leitende Forscherin Gesine Saher vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen.

Läsion

Läsion/-/lesion

Eine Läsion ist eine Schädigung organischen Gewebes durch Verletzung.

Multiple Sklerose

Multiple Sklerose/Encephalomyelitis disseminata/multiple sclerosis

Eine häufige neurologische Krankheit, die vorwiegend im jungen Erwachsenenalter auftritt. Aus noch ungeklärtem Grund greifen körpereigene Zellen die Myelinscheiden der Nervenzellen an und zerstören diese. Das kann im gesamten zentralen Nervensystem geschehen, weshalb zwei verschiedene Multiple-​Sklerose-​Patienten an ganz unterschiedlichen Symptomen leiden können. Besonders häufig sind Sehstörungen und Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen.

Myelin

Myelin/-/myelin

Myelin ist eine fetthaltige Substanz, die aus Gliazellen gebildet wird. Sie umhüllt die Axone (lange faserartige Fortsätze) von Nervenzellen und isoliert diese, so dass Nachrichten nicht ungehindert auf benachbarte Nervenzellen übergehen können. Zudem wird so die Signalleitung enorm beschleunigt.

Cholesterin aus Nervenzellen fördert die Regeneration von Myelin-bildenden Zellen

Gesine Saher und ihre Arbeitsgruppe erforschen die Rolle von Cholesterin und anderen Lipiden im Nervensystem unter physiologischen und pathologischen Bedingungen. Zusammen mit einem internationalen Forscherteam haben sie nun untersucht, welche körpereigenen Prozesse zur Reparatur nach chronischer Myelinerkrankung beitragen.

In ihrer Studie untersuchten die Forscher Nervenzellen, auch Neurone genannt, aus pharmakologischen und genetischen Mausmodellen mit Myelindefekten. Neurone decken ihren Cholesterin-Bedarf im Normalfall überwiegend durch Aufnahme lipidreicher Lipoproteine. In akuten Läsionen ist die Cholesterinproduktion in Nervenzellen sogar noch weiter vermindert. „Dass die Neurone aus den chronischen Krankheitsmodellen die Produktion von Cholesterin ankurbeln, war völlig überraschend“, berichtet Stefan Berghoff, ehemaliger Mitarbeiter von Gesine Saher und Erstautor der Studie.

Um die Relevanz dieser Beobachtung zu untersuchen, schalteten die Forscher die Synthese von Cholesterin in Neuronen und in Myelin-bildenden Zellen, sogenannten Oligodendrozyten, von Mäusen genetisch aus. In neuronalen und oligodendroglialen Mutanten war die Regeneration von Myelinscheiden in chronischen Läsionen stark vermindert. Jedoch anders als in glialen Mutanten, verstärkte neuronales Cholesterin auch die Vermehrung von Vorläuferzellen der Oligodendrozyten. Einen ähnlich positiven Effekt auf diese Vorläuferzellen hatte die Behandlung mit einem Cholesterin-angereicherten Futter. „Wir gehen davon aus, dass Neurone diese Mehrproduktion an Cholesterin zur Verfügung stellen“, sagt Stefan Berghoff. „Davon profitieren alle anderen Zellen in chronischen Läsionen, die ihre Eigenproduktion an Cholesterin stark heruntergefahren haben“.

Obwohl sich die akuten und chronischen Läsionen sowie ihre körpereigenen Reparaturmechanismen stark unterscheiden, trägt letztendlich die Verfügbarkeit und der Umgang mit Cholesterin und anderen Lipiden maßgeblich zur Effizienz der Regeneration bei. „Die Herausforderung der nächsten Studien wird sein, Therapiekonzepte für Patienten mit Myelinerkrankungen zu entwickeln, in denen akute und chronische Läsionen gleichzeitig behandelt werden können“, meint Gesine Saher, Leiterin des Forschungsteams.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Läsion

Läsion/-/lesion

Eine Läsion ist eine Schädigung organischen Gewebes durch Verletzung.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Oligodendrozyten

Oligodendrozyten/-/oligodendrocytes

Zellen des Zentralen Nervensystems, die die Myelinscheide um die Nervenzellen bilden und so deren Leitungsgeschwindigkeit erhöhen. Sie gehören zu den Gliazellen.

Originalpublikation

Stefan A. Berghoff, Lena Spieth, Ting Sun, Leon Hosang, Constanze Depp, Andrew O. Sasmita, Martina H. Vasileva, Patricia Scholz, Yu Zhao, Dilja Krueger-Burg, Sven Wichert, Euan R. Brown, Kyriakos Michail, Klaus-Armin Nave, Stefan Bonn, Francesca Odoardi, Moritz Rossner, Till Ischebeck, Julia M. Edgar, Gesine Saher. Neuronal cholesterol synthesis is essential for repair of chronically demyelinated lesions in mice. Cell Reports, 2021; 37 (4): 109889 DOI: 10.1016/j.celrep.2021.109889

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