Frage an das Gehirn

Welchen Zweck hat der Umbau des Gehirns in der Pubertät?

Fragesteller/in: Martha M. aus Köln via Mail

Veröffentlicht: 08.11.2014

Wir verfügen eigentlich schon über ein gut funktionierendes Gehirn, das dann aber während der Pubertät wieder komplett umgebaut wird. Welchen biologischen Sinn haben diese aufwändigen Renovierungsarbeiten?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Kerstin Konrad, Professorin für Klinische Neuropsychologie des Kindes– und Jugendalters der RWTH Aachen:

Während der Adoleszenz — der Phase von der späten Kindheit bis zum Erwachsensein — finden zwei Arten von Umbauprozessen statt: einmal in der grauen Substanz und einmal in der weißen Substanz. Beim sogenannten synaptischen Pruning werden überflüssige Nervenverbindungen wieder gekappt. Das betrifft die graue Substanz Diese setzt sich unter anderem aus Nervenzellkörpern und den synaptischen Kontakten zusammen. Dieser Abbau der überflüssigen Nervenverbindungen findet erfahrungsabhängig statt. Es herrscht das „Use it or lose it“-Prinzip: Die Verbindungen, die wenig genutzt und damit überflüssig werden, werden abgebaut. Die häufig gebrauchten Nervenverbindungen hingegen werden gestärkt. Dadurch können einzelne Nervennetzwerke effizienter arbeiten. Dieses Phänomen finden wir auch bei anderen Säugetieren.

Möglicherweise ist der biologische Sinn dahinter, dem Gehirn eine möglichst große Plastizität, eine bestmögliche Anpassungsfähigkeit, zu ermöglichen. Diese Plastizität hat eine Schutzfunktion: Führt etwa eine Verletzung des Gehirns zu einem Verlust von Nervenverbindungen, kann man den Verlust mit den anderen, zahlreich vorhandenen Kontakten ausgleichen. Die Plastizität hilft aber auch beim Lernen: Wenn ein Kind die Muttersprache erwirbt, ist es zunächst notwendig und sinnvoll, dass viele Nervenverbindungen vorhanden sind. Am Spracherwerb sind viele verschiedene Hirnareale beteiligt. Beherrscht man später die Muttersprache, ist es effizienter, wenn man dafür nur noch ein kleines, eng umgrenztes Netzwerk mit wenigen synaptischen Verbindungen nutzt. Beim „Zurechtschneiden“ der synaptischen Kontakte geht es also vor allem darum, neuronale Netzwerke zu etablieren, die klein und effizient sind.

Bei uns Menschen halten die Umbauprozesse sehr lange an und laufen auch noch nach Erreichen der Geschlechtsreife weiter; bei anderen Tieren ist das nicht so. Der biologische Sinn dahinter ist vermutlich, dass der Mensch auch noch nach der Pubertät Fähigkeiten wie etwa eine zweite Sprache erwerben kann. Der evolutionäre Vorteil von den lang anhaltenden Umbauprozessen liegt also vermutlich in einer gesteigerten Plastizität und dem damit einhergehenden höheren Lernpotenzial. Die Adoleszenz stellt eine Phase dar, in der neue Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen. Und die Plastizität des Gehirns ermöglicht über neue Erfahrungen die optimale Anpassung an die Umwelt.

Die zweite Art von Umbauprozess während der Adoleszenz betrifft die weiße Substanz. Sie besteht aus langen Nervenfasern. Anders als die graue Substanz nimmt sie nicht erst zu und dann wieder ab. Stattdessen legt sie kontinuierlich zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenleben zu. Die Ursache liegt darin, dass Nervenfasern mit fetthaltigem Myelin umhüllt werden. Dadurch werden die Nervenfasern isoliert, ähnlich wie ein Stromkabel von einer Plastikummantelung. Das führt dazu, dass Nervenimpulse schneller weitergeleitet werden können. Entfernte Hirnareale können so immer schneller und besser miteinander kommunizieren.

Dieser – vermutlich stark erblich bedingte – Reifungsprozess führt dazu, dass die Informationsverarbeitung von Jugendlichen ähnlich schnell wird wie bei Erwachsenen.

Antwort aufgezeichnet von Christian Wolf

Graue Substanz

Graue Substanz/-/gray matter

Als graue Substanz wird eine Ansammlung von Nervenzellkörpern bezeichnet, wie sie in Kerngebieten oder im Cortex (Großhirnrinde) vorkommt.

Graue Substanz

Graue Substanz/-/gray matter

Als graue Substanz wird eine Ansammlung von Nervenzellkörpern bezeichnet, wie sie in Kerngebieten oder im Cortex (Großhirnrinde) vorkommt.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Myelin

Myelin/-/myelin

Myelin ist eine fetthaltige Substanz, die aus Gliazellen gebildet wird. Sie umhüllt die Axone (lange faserartige Fortsätze) von Nervenzellen und isoliert diese, so dass Nachrichten nicht ungehindert auf benachbarte Nervenzellen übergehen können. Zudem wird so die Signalleitung enorm beschleunigt.

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