Frage an das Gehirn

Wie altert das Gehirn

Fragesteller/in: Simon aus Pforzheim

Veröffentlicht: 25.05.2025

Was passiert im Alter mit dem Gehirn?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof.  Dr. Dorothea Hämmerer, Fachbereich für Entwicklungspsychologie, Universität Innsbruck und Institut für Kognitive Neurologie und Demenzforschung, Otto von Guericke Universität Magdeburg: Es gibt überraschend viele Dinge, die über diese Frage noch nicht bekannt sind. Das liegt daran, dass das Gehirn bislang meist post mortem, untersucht wurde, also nach dem Tod, wenn es schon gealtert ist, und nicht während des Alterungsprozesses. Das ändert sich Dank neuer Technologien jedoch aktuell, so dass sich nun auch Gehirne über den Alterungsprozess hinweg untersuchen lassen.

Allgemein nimmt man an, dass das Altern bereits in der dritten Lebensdekade beginnt. In der zweiten Lebensdekade gibt es einen Punkt, an dem das Gehirn biologisch auf dem Höhepunkt ist – danach gehen verschiedene Dinge unterschiedlich schnell funktionell verloren. So scheint die graue Gehirnsubstanz, die die neuronalen Zellkörper enthält, scheint früher zu schrumpfen als die weiße Substanz, die die Verbindungen zwischen den Zellen darstellt. 

Mit höherem Alter nimmt die Geschwindigkeit des Schrumpfens zu. Dabei müssen nicht zwingend auffälligen Einbußen bei den kognitiven Funktionen auftreten. Es ist im Normalfall zwar nicht zu erwarten, dass ein älterer Mensch ein ähnliches kognitives Niveau hat wie eine Person in den 20ern. Aber 80-Jährige mit einem für ihr Alter normales kognitives Niveau können durchaus schon recht viel Hirnmasse verloren haben. Es gibt große inter-individuelle Unterschiede wieviel Hirnmasse untergeht. 

Der Umfang des Verlusts hängt auch damit zusammen, dass unser Gehirn veränderbar ist und sich anpasst. Das Gehirn verfügt zudem über Kompensationsmechanismen, so dass man sich beispielsweise mehr konzentriert, wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr so gut ist, oder etwas mehr nachdenkt, wenn der Gedächtnisabruf schwieriger geworden ist. 

Ein interessanter Aspekt bei der Gehirnalterung ist, dass nicht alle Gehirnregionen gleichermaßen schrumpfen. Es ist bekannt, dass im Alter insbesondere das Gedächtnis nachlässt. Außerdem leiden die Exekutivfunktionen, also wie gut man sich konzentrieren und wie schnell man denken kann, wie flexibel man von einem Thema auf ein anders springt oder wie gut man mehrere Dinge gleichzeitig erledigt. Das haben Untersuchungen zu Kognition schon länger gezeigt. Mittlerweile lässt sich das Gehirn aber sehr gut durch Magnet Resonanztomographie (MRT) optisch darstellen. Das hat bestätigt: Regionen, die die Gedächtnis- und Exekutivfunktionen unterstützen – etwa der Präfrontale Kortex und temporale Bereiche wie der Hippocampus – schrumpfen früher als Gehirnregionen, die auditorische, visuelle oder motorische Information verarbeiten. 

Warum das Gehirn heterogen schrumpft, also in manchen Bereichen schneller als in anderen, ist noch nicht wirklich verstanden. Es gibt jedoch ein paar interessante Erklärungsansätze. Vergleicht man Gehirne von Menschen mit  deren nächsten Verwandten, zeigt sich: Nicht das gesamte Gehirn ist bei Homo sapiens größer oder reicher an Neuronen. Vielmehr trifft das vor allem auf die Bereiche zu, die wir im Alter schneller verlieren. Das gilt so allerdings nicht für alle Hirnareale. 

Außerdem lässt sich untersuchen, welche Hirnbereiche länger brauchen, bis sie im Erwachsenenalter ausgereift sind. Auch hier zeigt sich eine deutliche Überlappung mit den Bereichen, die im Alter schneller verlorengehen.  Das ergibt auch Sinn, wenn man überlegt, dass Menschen visuelle, auditorische oder motorische Informationen früh in ihrer Entwicklung verarbeiten können – lange bevor sie zu höheren kognitiven Leistungen fähig sind. 

Wie gesagt: Die Gehirnbereiche, die sich später entwickeln und die, die im Alter früher schrumpfen, stimmen teilweise überein. Es gibt dabei ein verdächtig ähnliches Muster, wobei es nicht deckungsgleich. Der Name für diese Hypothese lautet „Last in – First out“, sie lässt sich aber nicht für alle Regionen im Gehirn bestätigen. Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass es Gehirnbereiche gibt, die etwas stärker veränderbar sind als andere. Dies gilt in der Evolution, in der persönlichen Entwicklung zum Erwachsenenalter und auch im Altern. 

Ein weiterer Aspekt der Gehirnalterung, der aktuell in den Fokus der Forschung rückt, ist die Vaskularisierung, also die Versorgung mit Blutgefäßen. Dabei wird der Einfluss der Durchblutung auf das Altern untersucht. Das ist durch die verbesserten bildgebenden Verfahren bei lebenden Menschen möglich. Große vaskuläre Ereignisse, wie einen Schlaganfall, lassen sich schon seit langer Zeit durch diese Verfahren optisch darstellen. Die immer höheren Auflösung der MRT-GEräte erlaubt mittlerweile auch mikrovaskuläre Strukturen darzustellen und zu analysieren. 

Das Gefäßsystem des Gehirns erinnert an ein immer feiner werdendes Wurzelnetz eines Baums: von großen Blutgefäßen bis hin zu ganz feinen. Die feinsten Äderchen lassen sich auch heute noch nicht in MRT-Aufnahmen darstellen. Was Forschende aber im Millimeterbereich sehen sind Mini-Schlaganfälle, die zu Mikro-Läsionen führen, also winzige geschädigte Bereiche. Dabei handelt es sich um ein sehr weit verbreitetes Phänomen, das weit mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Menschen betrifft. Mini-Schlaganfälle können ausschlaggebend sein für einen darauffolgenden Volumenverlust, weil die Nährstoffzufuhr dadurch abgeschnitten wird. Es gibt eine starke Hypothese, dass Alterserscheinungen, wie Schwierigkeiten mit der Balance oder auch Konzentration, mit diesen mikrovaskulären Verletzungen zusammenhängen. Wie sich Mini-Schlaganfälle und Mikro-Läsionen im Detail auf einen späteren Volumenverlust auswirken, wird nun genauer untersucht. 

Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert

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