Steckbrief Nikotin

Steckbrief Nikotin

Das Nervengift Nikotin im Tabakrauch macht stark süchtig – weil es an bestimmte Nervenzellrezeptoren andockt und diese dauerhaft aktiviert. Da Nikotin in viele Bereiche des Nervensystems eingreift, sind auch die Auswirkungen vielfältig.

Wissenschaftliche Betreuung: Dr. Stefan Gutwinski

Veröffentlicht: 27.05.2015

Niveau: schwer

Das Wichtigste in Kürze
  • Nikotin ist ein Nervengift, das natürlich in der Tabakpflanze und anderen Nachtschattengewächsen vorkommt.
  • Nikotin bindet an und aktiviert sogenannte nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren. Diese befinden sich unter anderem auf der motorischen Endplatte und im vegetativen Nervensystem.
  • Nikotin führt zur Freisetzung unterschiedlicher Botenstoffe. Dadurch wirkt es in geringen Dosen anregend.
  • Da Nikotin auch Dopamin im Belohnungssystem freisetzt, macht es abhängig. Die Suchtwirkung wir nur von Kokain und Heroin übertroffen.
  • Nikotin greift auch in den Zucker- und Fettstoffwechsel ein. Besonderes durch letzteres kann es Gefäßerkrankungen und Herzinfarkte begünstigen.


Nikotin ist ein so genanntes Alkaloid, das natürlich in der Tabakpflanze vorkommt. Es existiert aber auch in anderen Nachtschattengewächsen. Nikotin wird im Tabak geraucht oder in Dampf inhaltiert; Der Besitz von nikotinhaltigem Tabak ist legal und weit verbreitet.

Pharmakologische Wirkung

Nikotin passiert leicht die Blut-​Hirn-​Schranke. Im Tabakrauch inhaliert erreicht Nikotin in zehn bis 20 Sekunden das Gehirn. Es kann aber auch über die Haut aufgenommen werden.

Nikotin aktiviert im Nervensystem sogenannte nikotinische Acetylcholin-​Rezeptoren, indem es sich an sie bindet. Diese werden eigentlich vom Botenstoff Acetylcholin stimuliert. Nikotinische ACh-​Rezeptoren finden sich vor allem auf den motorischen Endplatten, an denen Signale von Nervenzellen an Muskeln weitergeleitet werden. Im Gehirn sitzen die Rezeptoren unter anderem auf den nachgeschalteten Nervenzellen von Sympathikus und Parasympathikus. Dieser Teil des vegetativen Nervensystems steuert unbewusste Vorgänge wie die Darmtätigkeit und den Herzschlag. Da Nikotin ähnlich wirkt wie der eigentliche Botenstoff, stört es hier wichtige Funktionen.

Hat Nikotin an den ACh-​Rezeptor gebunden, kommt es zur Freisetzung unterschiedlicher Botenstoffe wie Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin und Serotonin, aber auch von Hormonen wie Cortisol. Während Acetylcholin schnell wieder abgebaut wird, bindet Nikotin lange an den Rezeptoren. Dadurch hält die Erregung der jeweiligen Zelle länger an. In Folge braucht die Zelle auch länger, um nach der Aktivitätsphase ihren Ruhezustand zu erreichen und ein neues Signal feuern zu können – das Nikotin hemmt also die Zelle.

Langfristig passen sich die Zellen diesem Mechanismus an und bauen weitere Rezeptoren in die Zellmembran ein. Fehlt nun Nikotin, sind plötzlich zu viele freie Rezeptoren verfügbar, die nachgeschalteten Nervenzellen können nicht mehr in dem Maß erregt werden, wie sie es eigentlich müssten. Der Dopaminlevel sinkt, es entsteht das Verlangen nach einer neuen Zigarette. Da die ACh-​Rezeptoren für die Übertragung von Nervenimpulsen auf Muskelzellen wichtig sind, kann eine hohe Nikotindosis lähmend auf die Muskulatur wirken. Sind davon auch die Atemmuskulatur oder der Herzmuskel betroffen, kann dies tödlich enden.

Nikotin wird im Körper recht schnell wieder abgebaut. Nach lediglich 30 bis 60 Minuten wird es von der Leber oxidiert. Deshalb vergiften sich selbst starke Raucher meist nicht an Nikotin: Sie entgiften über Nacht.

Nikotin kann die Plazentraschranke durchdringen und gelangt auch in die Muttermilch. Raucherinnen haben häufiger Frühgeburten.

Acetylcholin

Acetylcholin/-/acetylcholine

Acetylcholin ist einer der wichtigsten Neurotransmitter, also der Botenstoffe im Gehirn. Es ist unter anderem verantwortlich für die Muskelkontraktion, da es die Übertragung zwischen Nerv und Muskel an den sogenannten neuromuskulären Endplatten vermittelt. Es war der erste der chemischen Botenstoffe, der entdeckt wurde – 1921, am Herzen eines Frosches durch Otto Loewi.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Sympathicus

Sympathicus/-/sympathetic nervous system

Ein Teil des autonomen Nervensystems, wobei der Sympathicus primär erregende Impulse vermittelt – im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, dem Parasympathicus. Beispielsweise aktiviert der Sympathicus Atmung, Herz und Kreislauf, er erreicht aber auch die glatte Muskulatur sämtlicher innerer Organe. Das sympathische System verwendet die Neurotransmitter Acetylcholin und Noradrenalin.

Autonomes Nervensystem

Autonomes Nervensystem/-/autonomous nervous system

Der Teil des Nervensystems, der die Vitalfunktionen – wie Atmung, Herzschlag, Blutdruck – steuert. Unterteilt wird das autonome Nervensystem in einen sympathischen, anregenden, und einen parasympathischen, entspannenden Bereich.

Noradrenalin

Noradrenalin/-/noradranalin

Gehört neben Dopamin und Adrenalin zu den Catecholaminen. Es wird im Nebennierenmark und in Zellen des Locus coeruleus produziert und wirkt meist anregend. Noradrenalin wird oft mit Stress in Verbindung gebracht.

Cortisol

Cortisol/-/cortisol

Ein Hormon der Nebennierenrinde, das vor allem ein wichtiges Stresshormon darstellt. Es gehört in die Gruppe der Glucocorticoide und beeinflusst im Körper den Kohlenhydrat– und Eiweißstoffwechsel.

Effekte auf Körper und Psyche

Durch die vermehrte Freisetzung von Noradrenalin, Adrenalin und Vasopressin wirkt Nikotin anregend. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Gefäße verengen sich. Das führt kurzfristig zu einer höheren Leistungsfähigkeit. Nikotin lässt zudem die Zuckerkonzentration im Blut ansteigen, wodurch es das Hungergefühl dämpft. Allerdings treten die anregenden Wirkungen nur bei geringen Dosen auf. Eine hohe Nikotindosis wirkt beruhigend, bisweilen sogar lähmend. Dies erklärt, warum viele Menschen das Rauchen als entspannend empfinden. Der anregende Effekt bei niedriger Dosierung und die Tatsache, dass Nikotin so schnell abgebaut wird, sind andererseits die Ursache dafür, dass die erste Zigarette des Tages am stärksten wirkt. Danach geht es nur noch um das Halten eines konstanten Nikotinlevels.

Nikotin verursacht die Freisetzung des Botenstoffs Dopamin im Nucleus accumbens im Gehirn. Dadurch aktiviert es das Belohnungssystem, was zu einer schnellen Entwicklung einer Sucht mit psychischer und körperlicher Abhängigkeit führt. Tatsächlich ist das Abhängigkeitspotential von Nikotin im Tabakrauch Forschern zufolge nur noch vom dem von Kokain und Heroin übertroffen. Während die körperlichen Entzugserscheinungen wie Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen und Kopfschmerzen nach ein bis zwei Wochen verschwinden, kann die psychische Abhängigkeit noch lange fortbestehen. Ein Grund hierfür ist das sogenannte Suchtgedächtnis (Sucht – Motivation zu schlechten Zielen), das bestimmte Situationen oder Erlebnisse mit dem Nikotingenuss verbindet – die berühmte Zigarette danach zum Beispiel.

Adrenalin

Adrenalin/-/adrenaline

Gehört neben Dopamin und Noradrenalin zu den Catecholaminen. Adrenalin ist das klassische Stresshormon. Es wird im Nebennierenmark produziert und bewirkt eine Steigerung der Herzfrequenz sowie der Stärke des Herzschlags und bereitet so den Körper auf erhöhte Belastung vor. Im Gehirn wirkt Adrenalin auch als Neurotransmitter (Botenstoff), hier bindet es an sogenannte Adenorezeptoren.

Dopamin

Dopamin/-/dopamine

Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems, der in die Gruppe der Catecholamine gehört. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen. Störungen in der Funktion dieses Transmitters spielen eine Rolle bei vielen Erkrankungen des Gehirns, wie Schizophrenie, Depression, Parkinsonsche Krankheit, oder Substanzabhängigkeit.

Nucleus

Nucleus/Nucleus/nucleus

Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.

Nucleus accumbens

Nucleus accumbens/Nucleus accumbens/nucleus accumbens

Der Nucleus accumbens ist ein Kern in den Basalganglien, der dopaminerge (auf Dopamin reagierende) Eingänge vom ventralen Tegmentum bekommt. Er wird mit Belohnung und Aufmerksamkeit, aber auch mit Sucht assoziiert. In der Schmerzverarbeitung ist er an motivationalen Aspekten des Schmerzes (Belohnung, Schmerzabnahme) sowie an der Wirkung von Placebos beteiligt.

Schlafstörungen

Schlafstörung/-/sleep disorder

Ein Sammelbegriff für verschiedene Phänomene, die sich dadurch auszeichnen, dass die Betroffenen keinen erholsamen Schlaf haben. Hierzu können sowohl psychische als auch organische Ursachen beitragen. Die Symptome reichen von Problemen beim Einschlafen und Durchschlafen bis hin zu unerwünschten Verhaltensweisen im Schlaf wie etwa Schlafwandeln, ruhelose Beine beim Einschlafen („restless legs“), Atemaussetzer im Schlaf („Schlafapnoe“) etc. Schätzungen zufolge leiden in den westlichen Ländern bis zu 30 Prozent aller Erwachsenen an irgendeiner Form von Schlafstörung. Die Suche nach den Ursachen ist häufig kompliziert, eine Analyse im Schlaflabor die beste Untersuchungsmethode.

Möglicher therapeutischer Nutzen

Keiner bekannt.

Risiken

Bei vielen der hier erwähnten Risiken muss erwähnt sein, dass sich nicht alle Effekte auf das Nikotin allein zurückführen lassen, sondern auch durch andere im Tabak vorkommende Substanzen begünstigt oder verstärkt werden.

Kurzfristig können hohe Nikotindosen Vergiftungserscheinungen auslösen. Die Symptome rangieren zwischen Kopfschmerzen, Übelkeit und kaltem Schweiß, aber auch Zittern und Herzrasen. Schwere Vergiftungen können Krämpfe, Schock und Koma auslösen. Es kann zum Kreislaufkollaps und bei Dosen ab einem Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu Tod durch Atemlähmung kommen. Solche Vergiftungen sind fast ausnahmslos Unfälle„ bei denen Personen versehentlich nikotinhaltige Flüssigkeiten wie Pestizide oder durch Zigaretten verunreinigte Getränke zu sich nehmen.

Nikotin greift in den Fettstoffwechsel ein und erhöht die Konzentration freier Fettsäuren und Cholesterol im Blut. Damit erhöht sich das Risiko einer Arteriosklerose und für Herzgefäßerkrankungen. Arteriosklerose und Herzinfarkt stellen die häufigste Todesursache in den Industrieländern dar. Da das Rauchen immer noch weit verbreitet ist, kann ein Zusammenhang hier nicht ausgeschlossen werden.

Zusätzlich kommt es zur vermehrten Bildung von Salzsäure im Magen und in der Folge zu Gastritis und Magengeschwüren. Abgesehen davon beeinflusst Nikotin auch die Blutgerinnung und erhöht das Risiko für eine Thrombose. Es kann zu Gefäßspasmen und zum Raucherbein führen.

Bei starken Rauchern verändert sich der Stoffwechsel. Der Abbau der Droge steigt stark an. Das Problem dabei ist, dass in Folge auch andere Stoffe stärker umgesetzt werden. Dadurch kommt es zur Aktivierung krebserregender Stoffe und zu einer Erhöhung des Krebsrisikos durch Nikotin, obwohl Nikotin und dessen Abbauprodukte selber nicht krebserregend sind.

Eine Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass das Risiko zu sterben für Raucher zwischen 25 und 79 Jahren drei Mal höher ist als für Nichtraucher. Die durchschnittliche Lebensspanne reduzierte sich zudem um ganze zehn Jahre.

Trivia

Nikotin ist eines der ältesten bekannten Schädlingsbekämpfungsmittel.

Angeblich soll Christoph Kolumbus 1492 den ersten Tabak nach Spanien gebracht haben. Für die Verbreitung in Europa verantwortlich gilt jedoch Jean Nicot. Er importierte 1560 Tabak als Heilkraut nach Frankreich.

1828 isolierten Karl Ludwig Reimann und Christian Wilhelm Posselt erstmals das Nikotin und benannten es nach Jean Nicot.

Zum Weiterlesen:

  • Kaffee, Käse, Karies… Biochemie im Alltag, hg von Jan Koolman, Hans Moeller, Klaus-​Heinrich Röhm, Wiley-​VCH, Weinheim (2003)
  • Handbuch der Rauschdrogen, Wolfgang Schmidbauer, Jürgen vom Scheidt, Fischer Verlag, Frankfurt am Main (2004)

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