Unkontrollierte Glutamatausschüttungen im Gehirn

Bei Energiemangel kommt es zu einer ungewöhnlichen Freisetzung des Neurotransmitters Glutamat. Durch den Überschuss des Botenstoffs werden letztlich auch Nervenzellen geschädigt.
Veröffentlicht: 22.04.2025
Unser Gehirn benötigt eine konstante Zufuhr von Energie. Störungen, zum Beispiel durch einen Schlaganfall, können schwerwiegende Komplikationen haben. Ein Forschungsteam vom Lehrstuhl Zelluläre Neurobiologie der Ruhr-Universität Bochum, an dem auch Forschende der Universitäten Düsseldorf und Twente beteiligt waren, hat untersucht, wie sich ein Energiemangel im Gehirn auf die Freisetzung des Neurotransmitters Glutamat auswirkt. Die Forschenden fanden heraus, dass unter Stress ungewöhnliche Glutmatfreisetzungen ablaufen, die sich selbst verstärken und so zur Schädigung von Nervenzellen beitragen dürften. Die Forschenden um Dr. Tim Ziebarth berichten im Journal iScience vom 18. April 2025.
Glutamat
Glutamat/-/glutamate
Glutamat ist eine Aminosäure und der wichtigste erregende (exzitatorische) Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Untypische Glutamatfreisetzungen werden bei Energiemangel häufiger
Unter normalen Bedingungen wird das Gehirngewebe ausreichend mit Energie versorgt. Unter anderem wird diese dazu benötigt, um Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, gezielt freizusetzen und wieder aufzunehmen. „Steht nicht mehr genügend Energie zur Verfügung, kann dieses Gleichgewicht von Neurotransmitter-Freisetzung und Aufnahme jedoch schnell gestört werden“, erklärt Tim Ziebarth. „Gerade bei Schlaganfällen, bei denen die Blutzufuhr ins Gehirn unterbrochen ist, kommt es häufig zu einem extrazellulären Anstieg des erregenden Neurotransmitters Glutamat, was die Funktion der Synapsen und das Überleben der betroffenen Nervenellen stark beeinträchtigt.“ Die zugrunde liegenden Prozesse sind jedoch nur in Teilen verstanden.
Tim Ziebarth hat in einem Modellsystem Hinweise auf einen bisher unbekannten, unkonventionellen Freisetzungsmechanismus gefunden, der in Energiemangelsituationen die Glutamatkonzentration erheblich ansteigen lässt. Für seine Messungen verwendete er ein fluoreszierendes Sensorprotein, mit dem die Glutamatausschüttung in Echtzeit sichtbar gemacht werden konnte. Neben regulären Glutamatfreisetzungen, wie sie für die synaptische Aktivität von Nervenzellen typisch sind, beobachtete er auch sehr ungewöhnliche, lokale Glutamatsignale, die verhältnismäßig groß, langanhaltend und heterogen waren. „Unter normalen Bedingungen traten diese untypischen Ereignisse nur vereinzelt auf“, berichtet er. „Nachdem wir einen Energiemangel herbeigeführt hatten, nahm die Häufigkeit jedoch stark zu.“
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Normale Glutamatfreisetzung kommt zum Erliegen
Letztlich waren sie die Hauptursache für den Anstieg der extrazellulären Glutamatkonzentration. „Es scheint so, als ob unter metabolischen Stressbedingungen, also bei Energiemangel, vor allem diese untypischen Freisetzungen begünstigt werden und zur Ansammlung von Glutamat führen,“ fasst Prof. Dr. Andreas Reiner die Ergebnisse zusammen. „Die normale neuronale Glutamatfreisetzung, die selbst viel Energie benötigt, kommt hingegen zum Erliegen“. Ähnliche Beobachtungen waren zuvor nur in Zusammenhang mit einem Modell für Migräne beschrieben worden.
In weiteren Experimenten konnte das Team zeigen, dass durch erhöhte extrazelluläre Glutamatkonzentration weitere Freisetzungsereignisse begünstigt werden. Der Prozess ist also selbstverstärkend. Umgekehrt konnten die Forschenden durch eine Hemmung von Glutamatrezeptoren, vor allem der Unterklasse der NMDA-Rezeptoren, diese Art der Glutamatfreisetzung stark reduzieren.
Wie es genau zu den ungewöhnlichen Neurotransmitterfreisetzungen kommt und welche Zelltypen dafür verantwortlich sind, beantwortet die Studie noch nicht. „Weitere Untersuchungen müssen auch klären, welche Rolle diese Art der Freisetzung tatsächlich in Schlaganfallsituationen oder auch bei neurodegenerativen Erkrankungen spielt“, so Andreas Reiner. Dass erhöhte Glutamatkonzentrationen für Neuronen schädlich sein können, ist schon lange bekannt.
Glutamat
Glutamat/-/glutamate
Glutamat ist eine Aminosäure und der wichtigste erregende (exzitatorische) Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient.
Hemmung
Hemmung/-/inhibition
Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.
Neurodegeneration
Neurodegeneration/-/neurodegeneration
Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Originalpublikation
Tim Ziebarth et al.: Atypical Plume-Like Events Contribute to Glutamate Accumulation in Metabolic Stress Conditions, in: iScience, 2025, DOI: 10.1016/j.isci.2025.112256