Frontotemporale Demenz: Ansatz für Gentherapie

© Marvin Reich et al. / LMU & ISD
Die Forschenden haben ihre neuartige Methode an kultivierten menschlichen Nervenzellen getestet. Im Vergleich zu vorher (links) waren nach der Behandlung (rechts) deutlich mehr Nervenzellen vorhanden.

Vorklinische Ergebnisse: Eine neue Methode gegen die schwere Krankheit nutzt modifizierte Viren, um ein fehlendes Protein im Gehirn zu ersetzen.

Quelle: SyNergy

Veröffentlicht: 07.06.2024

Frontotemporale Demenz ist eine bislang völlig unheilbare Gehirnerkrankung, bei der es neben Gedächtnisverlust auch zu Sprachstörungen und Veränderungen der Persönlichkeit kommt. In 5-12% der Fälle löst der Rückgang von Progranulin die Erkrankung aus. Der Verlust dieses Eiweißes führt zu Defiziten im Proteinabbau, wodurch sich unlösliche giftige Proteine ablagern. Das führt zur Entzündung des Gehirns, Nervenzelltod und damit verbundenen massiven Funktionsstörungen des zentralen Nervensystems.

Solche umfangreichen multidisziplinären Arbeiten sind nur im Team möglich. Ich freue mich, dass unser Exzellenzcluster SyNergy uns hierzu einmalige Möglichkeiten bietet.

Christian Haassnormal

Die Ursache für Frontotemporale Demenz ist bei bis zu 40% der Fälle genetisch: Wer die entsprechende genetische Veränderung in sich trägt, erkrankt unausweichlich. Forschende der  Medizinischen Fakultät der LMU  und des Deutschen Zentrums für Neurodgenerative Erkrankungen (DZNE) haben in enger Zusammenarbeit mit Denali Therapeutics in San Francisco nun einen Therapieansatz entwickelt, der es ermöglicht, das fehlende Protein im Gehirn zu ersetzen und ihre Ergebnisse im Fachmagazin Science Translational Medicineveröffentlicht. „Hierzu haben wir Progranulin in das Erbgut eines Virus eingebaut“, erklärt Dr. Anja Capell, Leitende Wissenschaftlerin am Biomedizinischen Centrum  der LMU und eine der Seniorautorinnen. Im Anschluss spritzte das Team die so modifizierten Viren in die Blutbahn von Mausmodellen. „Der Virus befiel gezielt Leberzellen, die dann Progranulin in großen Mengen produzieren und in das Blut abgeben.“ So umgeht dieser Ansatz die Injektion von Viren direkt in das Gehirn, was mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein könnte. Damit diese periphere Lösung funktioniert, mussten die Forschenden einen Trick anwenden, um die Bluthirnschranke zu überwinden. Diese blockiert normalerweise den Austausch von Biomolekülen zwischen Blut und Gehirn. Ein sogenannter Gehirn-Shuttle, der von Denali Therapeutics entwickelt wurde, ermöglicht den sehr effektiven Transport über diese Barriere.

Frontotemporale Demenz

Frontotemporale Demenz/-/Pick's disease

Die Frontotemporale Demenz – auch Pick-​Krankheit genannt – gehört zu den neurodegenerativen Erkrankungen. Im Gegensatz zur Alzheimer-​Demenz setzt die Pick-​Krankheit meist vor dem 60. Lebensjahr ein und äußert sich zunächst durch Veränderungen der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens. Es existieren auch Varianten, die mit Störungen der Sprache beginnen. In fortgeschrittenem Stadium werden auch Gedächtnisleistungen beeinträchtigt. Physiologische Ursache ist eine Degeneration von Nervenzellen im Stirn– und Schläfenlappen des Gehirns. Ähnlich wie bei Alzheimer scheint die Aggregation bestimmter Eiweiße bei der Pathogenese eine Rolle zu spielen. Was hierbei genau geschieht und welche weiteren Faktoren zur Entstehung der Pick-​Krankheit beitragen, haben Mediziner aber bisher noch nicht verstanden.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Die Symptome in einem Mausmodell gehen massiv zurück

„Nach einmaliger Verabreichung des Virus haben wir dann überprüft, ob dadurch die Krankheitsmerkmale zurückgehen“, sagt Professor Dominik Paquet vom Institut für Schlaganfall und Demenzforschung, ebenfalls einer der Hauptautoren und Mitglied im Exzellenzcluster SyNergy. Tatsächlich ließen sich Schädigungen des Proteinabbaus, die Ablagerung unlöslicher giftiger Proteine, eine Entzündung des Gehirns, Bewegungsstörungen und der Tod von Nervenzellen massiv reduzieren. „Daraufhin haben wir in Stammzellmodellen überprüft, ob sich dieser Ansatz auf den Menschen übertragen lässt.“ Auch hier konnten die Merkmale der Erkrankung deutlich reduziert werden. Mit ihrem Ansatz konnten die Forschenden zeigen, dass Formen der Frontotemporalen Demenz, die auf einem teilweisen Verlust von Progranulin beruhen, in vorklinischen Versuchen mithilfe einer Ersatztherapie behandelbar sind.

„Solche umfangreichen multidisziplinären Arbeiten sind nur im Team möglich. Ich freue mich, dass unser Exzellenzcluster SyNergy uns hierzu einmalige Möglichkeiten bietet“, meint Professor Christian Haass vom Biomedizinischen Centrum der LMU, einer der Studienleiter und Sprecher von SyNergy. „Gleichzeitig zeigt diese Arbeit auch, wie wichtig es ist, dass wir die Zusammenarbeit mit führenden Biotech-Firmen intensivieren, um unsere Forschung möglichst schnell zugunsten der Patienten in die Anwendung bringen zu können.“

Schlaganfall

Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke

Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

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