Fibromyalgie verändert das Gehirn

© Benjamin Mosch
Anhand von Daten aus Kernspintomografien konnten die Forscher die Gehirne von gesunden und an Fibromyalgie erkrankten Probandinnen vergleichen.

Patientinnen mit Fibromyalgie leiden unter anderem an chronischen Schmerzen. Welche Veränderungen die Krankheit im Gehirn mit sich bringt, hat ein Team der LWL-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Die Forscher konnten anhand von Kernspindaten belegen, dass die Gehirnbereiche, die mit der Verarbeitung und emotionalen Bewertung von Schmerz zu tun haben, bei Patientinnen verändert sind. Das betrifft sowohl das Volumen der grauen Substanz, die hauptsächlich Nervenzellen beherbergt, als auch der weißen Substanz, die vor allem Faserverbindungen zwischen den Nervenzellen ausmacht. Die Forscher berichten in der Zeitschrift Arthritis Research and Therapy vom 19. Mai 2023.

Quelle: Ruhr-Universität Bochum

Veröffentlicht: 26.05.2023

Das Team um Prof. Dr. Martin Diers und Benjamin Mosch analysierte die Daten der Kernspintomografien von 23 Patientinnen mit Fibromyalgie und 21 gesunden Kontrollpersonen. Dabei ging es ihnen einerseits um das Volumen der grauen Substanz, also der Nervenzellen, in verschiedenen schmerzverarbeitenden Gehirnarealen, und andererseits um die sogenannte weiße Substanz. Sie umfasst vor allem die Faserverbindungen zwischen den Nervenzellen, über die Signale weitergeleitet werden. „Wir wollten unter anderem wissen, ob sich die Richtungsabhängigkeit der Diffusion von Wassermolekülen in bestimmten Hirnbereichen unterscheidet, ob also regionale Unterschiede der Signalweiterleitung auszumachen sind“, verdeutlicht Benjamin Mosch.

Veränderungen des Volumens der grauen Substanz fanden die Forscher vor allem im Schmerznetzwerk des Gehirns, also in den Regionen, die für die Verarbeitung und Bewertung von Schmerz zuständig sind. „In bestimmten Regionen, die für die Hemmung von Schmerz zuständig sind, haben wir bei den Patientinnen im Vergleich zu den gesunden Personen eine Verringerung der grauen Substanz festgestellt“, erklärt Benjamin Mosch. „Das Volumen dieser Regionen war bei ihnen signifikant verkleinert.“

Was die Weiterleitung von Signalen anbelangt, wurden im Thalamus Veränderungen gefunden. Der Thalamus gilt als wichtiger Knotenpunkt der neuronalen Schmerzverarbeitung. Die Abweichungen der weißen Substanz bei Patientinnen mit Fibromyalgie im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen weisen auf eine veränderte Reizleitung von Schmerzsignalen bei Fibromyalgie hin.

Graue Substanz

Graue Substanz/-/gray matter

Als graue Substanz wird eine Ansammlung von Nervenzellkörpern bezeichnet, wie sie in Kerngebieten oder im Cortex (Großhirnrinde) vorkommt.

Hemmung

Hemmung/-/inhibition

Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.

Thalamus dorsalis

Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus

Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.

Beziehungen zwischen Gehirnstruktur, Wahrnehmung und Verhalten

Die Ergebnisse zu den strukturellen Veränderungen des Gehirns setzte das Team schließlich in Beziehung zu Wahrnehmung und Verhalten der Studienteilnehmerinnen. Es zeigte sich, dass das Volumen einer Reihe relevanter Gehirnregionen geringer ist, je stärker die Patientinnen ihre Schmerzen wahrnehmen. Eine interessante Beobachtung machten die Forscher bei der Analyse der Beziehung zwischen Depressivität und Aktivität mit der Veränderung des Volumens bestimmter Gehirnareale. Das Volumen der Gehirnregion des Putamens korrelierte negativ mit der Ausprägung depressiver Symptome und positiv mit dem Aktivitätsniveau der Teilnehmerinnen. „Das zeigt uns, dass Veränderungen im Gehirn nicht endgültig sind, sondern sich beeinflussen lassen, also reversibel sein könnten, zum Beispiel durch eine aktive Alltagsgestaltung“, so Benjamin Mosch.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Originalpublikation

Benjamin Mosch, Verena Hagena, Stephan Herpertz, Martin Diers: Brain morphometric changes in fibromyalgia and the impact of psychometric and clinical factors: A volumetric and diffusion-tensor imaging study, in: Arthritis Research and Therapy, 2023, DOI: 10.1186/s13075-023-03064-0

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