Ein neuer Kanal für Berührung

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Nervenzellen in der Maus: Der neue Ionenkanal Elkin1 (cyan), der für die Wahrnehmung von Berührungen wichtig ist, Zellkerne (gelb) und der bereits bekannte Ionenkanal Piezo2 (magenta).

Der Tastsinn ist elementar für uns – und trotzdem kaum verstanden. Jetzt hat das Team um Gary Lewin am Max Delbrück Center einen zweiten Ionenkanal entdeckt, der mit der Wahrnehmung von Berührung zu tun hat. Elkin1 könne ein Angriffspunkt für die Schmerztherapie sein, schreibt das Team in „Science“.

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin

Veröffentlicht: 29.02.2024

Jede Umarmung, jeder Händedruck, jede geschickte Bewegung macht erst der Tastsinn möglich. Die molekularen Grundlagen dieses Sinnes zu verstehen, ist dementsprechend wichtig. „Bislang wussten wir nur, dass der Ionenkanal Piezo2 dafür nötig ist. Aber dieses Protein allein kann nicht die gesamte Bandbreite, wie wir Berührung spüren, erklären. Das war ganz klar“, sagt Professor Gary Lewin, der Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“ am Max Delbrück Center.

Lewin erforscht seit über 20 Jahren die molekularen Grundlagen des Tastsinns. Jetzt hat er gemeinsam mit seinem Team einen Ionenkanal entdeckt, der dafür unverzichtbar ist: Elkin1. Es ist erst der zweite Ionenkanal, der mit der Wahrnehmung von Berührungen in Verbindung gebracht wird. Sehr wahrscheinlich ist er direkt daran beteiligt, einen mechanischen Reiz wie eine leichte Berührung in ein elektrisches Signal umzuwandeln. Mithilfe von Elkin1 können die Rezeptoren in der Haut die Berührungssignale über die Nervenfasern ans zentrale Nervensystem und ans Gehirn weiterleiten. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forschenden im Fachmagazin „Science“.

Vor wenigen Jahren hat das Team um Lewin Elkin1 bei Zellen mit schwarzem Hautkrebs, also malignem Melanom, entdeckt. Die stark streuenden Krebszellen nutzen das Protein, um mechanische Kräfte zu erkennen. „Nun wollten wir wissen, ob das gleiche Protein bei gesunden sensorischen Zellen ebenfalls eine Rolle bei der Wahrnehmung von Berührung spielt“, sagt Lewin.

Ionenkanal

Ionenkanal/-/ion channel

Ionenkanäle sind in die Zellmembran von Nervenzellen und auch allen anderen Zellen im Körper eingelagert. Sie ermöglichen den Übertritt elektrisch geladener Teilchen, den Ionen, über die Zellmembran ins Zellinnere und nach draußen. Sie können somit das Membranpotenzial einer Zelle beeinflussen, und ein Aktionspotenzial hervorrufen. Eine Vielzahl verschiedener Ionenkanäle ist bekannt. Normalerweise weisen Ionenkanäle eine spezifische Durchlässigkeit nur für eine Art von Ionen auf, z.B. für Natriumionen oder für Kaliumionen. Diese werden entsprechend als Natriumkanäle oder Kaliumkanäle bezeichnet.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Verminderte Reizwahrnehmung ohne Eklin1

Dafür züchteten die Forschenden zunächst genetisch veränderte Mäuse, denen das Gen für Elkin1 fehlte. In einfachen Verhaltensexperimenten reizten sie die Nager mit einem Wattestäbchen leicht an der Hinterpfote. „Normalerweise reagieren Mäuse in 90 Prozent der Fälle auf das Wattestäbchen. Mäuse ohne Elkin1 ziehen im Gegensatz dazu nur jedes zweite Mal die Pfote zurück. Das deutet darauf hin, dass sie Berührung schlechter wahrnehmen“, sagt Lewin. Die Reaktion auf nicht-mechanische Reize, beispielsweise auf Wärme, war dagegen nicht beeinträchtigt.

Auf der Ebene der Nervenzellen nutzte Dr. Sampurna Chakrabarti, Wissenschaftlerin in Lewins Team, die Patch-Clamp-Methode. So konnte sie die elektrische Aktivität der sensorischen Neuronen aufzeichnen, wenn sie ihre Membran anstupste. „Rund die Hälfte der Neuronen von veränderten Mäusen ohne Elkin1 reagierte nicht auf mechanische Reize und es kam nicht zur Signalweiterleitung“, sagt Chakrabarti. Weitere Experimente bestätigten, dass bereits auf dem ersten Stück des Weges von der Haut ins Rückenmark und Gehirn keine Reize weitergeleitet wurden, also vom Rezeptorende der Nervenzelle in der Haut aus. Australische Kolleg*innen um Professorin Mirella Dottori an der University of Wollongong testeten außerdem, ob menschliche sensorische Neuronen, die sie in der Kulturschale aus Stammzellen gezüchtet hatten, Elkin1 brauchen, um Berührungssignale zu übertragen. Ihre Ergebnisse lassen ebenfalls darauf schließen, dass Eklin1 für den menschlichen Tastsinn eine wichtige Rolle spielt.

Die Forschenden gehen davon aus, dass Elkin1 und Piezo2 bei der normalen Reizweiterleitung gemeinsame Aufgaben bei der Wahrnehmung von Berührungen übernehmen. Sie haben außerdem Hinweise darauf gefunden, dass Elkin1 bei der Weiterleitung von schmerzhaften mechanischen Reizen eine Rolle spielen könnte. „Sollte sich das bestätigen, haben wir nicht nur einen zweiten Ionenkanal entdeckt, der unverzichtbar ist für einen normalen Tastsinn. Das wäre auch ein neuer möglicher Angriffspunkt für die Behandlung von chronischen Schmerzen“, sagt Lewin.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Rückenmark

Rückenmark/Medulla spinalis/spinal cord

Das Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, das in der Wirbelsäule liegt. Es verfügt sowohl über die weiße Substanz der Nervenfasern, als auch über die graue Substanz der Zellkerne. Einfache Reflexe wie der Kniesehnenreflex werden bereits hier verarbeitet, da sensorische und motorische Neuronen direkt verschaltet sind. Das Rückenmark wird in Zervikal-​, Thorakal-​, Lumbal und Sakralmark unterteilt.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Ionenkanal

Ionenkanal/-/ion channel

Ionenkanäle sind in die Zellmembran von Nervenzellen und auch allen anderen Zellen im Körper eingelagert. Sie ermöglichen den Übertritt elektrisch geladener Teilchen, den Ionen, über die Zellmembran ins Zellinnere und nach draußen. Sie können somit das Membranpotenzial einer Zelle beeinflussen, und ein Aktionspotenzial hervorrufen. Eine Vielzahl verschiedener Ionenkanäle ist bekannt. Normalerweise weisen Ionenkanäle eine spezifische Durchlässigkeit nur für eine Art von Ionen auf, z.B. für Natriumionen oder für Kaliumionen. Diese werden entsprechend als Natriumkanäle oder Kaliumkanäle bezeichnet.

Originalpublikation

Sampurna Chakrabarti et al. (2024): “Touch sensation requires the mechanically-gated ion channel Elkin1”; Science, DOI: 10.1126/science.adl0495

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