Frage an das Gehirn

Wo ist die Seele?

Fragesteller/in: Benedikt aus T

Veröffentlicht: 25.10.2020

Geht es nach der modernen Hirnforschung, lässt sich unser gesamtes Seelenleben über Neurone, Netzwerke, chemische Botenstoffe erklären. Aber tiefe Gefühle, Verbundenheit mit anderen Menschen, Ehrfurcht vor der Schöpfung – kann das allein durch Evolution und Moleküle entstanden sein?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Dr. Dr. Georg Northoff, Neurowissenschaftler, Philosoph und Psychiater. Er ist Professor für Neuroethik am eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl „Mind, Brain Imaging and Neuroethics“ an der Universität Ottawa, Kanada: Das Konzept der Seele hat eine lange Geschichte. Schon im Mittelalter wurde es viel diskutiert. Einerseits galt die Seele als Verbindungsglied zwischen Geist und Körper, andererseits wurde sie stärker dem Geist, der kognitiven Einsicht, der Rationalität und der Verbindung zu Gott zugeschrieben. In dieser Vorstellung koppelte die Seele sich nach dem Tod vom Körper ab, stand in Zusammenhang mit dem ewigen Leben. Um das 16. Jahrhundert herum wurde die Seele dagegen mehr mit Gefühlen, Emotionen und Passionen in Verbindung gebracht. Noch heute gibt es für den Begriff „Seele“ viele verschiedene Definitionen und Betrachtungsweisen.

Neu ist allerdings die Einsicht ins Gehirn, die wir erst seit 20, 30 Jahren haben. Die Wissenschaft sagt nun scheinbar: Alles ist Gehirn. Was wir jedoch noch nicht genau wissen ist, wie neuronale Aktivitäten in mentale Aktivitäten, also in subjektives Erleben, übersetzt werden. Klar ist nur: Das Gehirn ist eng mit dem Körper verknüpft. So kann etwa die Konzentration auf den Atemrhythmus in der Meditation nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch die Fluktuation der Hirnwellen bestimmen. Das Gleiche passiert etwa mit einem Gegenüber. Auch hier versucht unser Gehirn, sich mit dem Körper des anderen zu synchronisieren. Was wir als seelische Zustände beschreiben würden – etwa die Verbindung zu anderen Menschen, Gefühle und auch meditative oder ehrfürchtige Zustände – entsteht also aus der Verbindung zwischen Körper, Umwelt und Gehirn. Unser Seelenleben ist demnach in der Tat mehr als nur Gehirnaktivität: Es entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel zwischen Gehirn, Körper und Umwelt.

Auch heute noch nehmen wir oft an, dass die seelischen Zustände des Menschen etwas ganz Spezielles sind. Ich würde sagen: Sie sind ein ganz normales Resultat des räumlich-zeitlichen Zusammenspiels zwischen Gehirn, Körper, Umwelt und deren Fluktuation oder Wellen. Man kann seelische Zustände vergleichen mit kleinen und großen Wellen im Meer, die kommen und gehen. Auch Hirnwellen bzw. seelische Zustände sind wahrscheinlich eine Folge von Evolution. Letztlich ist das aber eine Glaubensfrage. Denn empirische Evidenz dafür erbringen, kann die Wissenschaft nicht – hier stößt die Naturwissenschaft an ihre Grenzen. Sie kann lediglich Hinweise liefern, dass seelische Zustände mit neuronalen Vorgängen und räumlich-zeitlichen Zuständen verbunden sind.

Jenseits der empirischen Wissenschaften beginnt der Glaube. Der Glaube kann kohärent mit den empirischen Ergebnissen sein. Dann wird man sagen, dass die empirische Evidenz stark dafür spricht, dass neben Gehirn, Körper und Umwelt die Annahme eines zusätzlichen Schöpfers nicht notwendig ist. Oder man kann in seinem Glauben über die empirischen Ergebnisse und Evidenzen hinausgehen und sagen, dass auch die Beziehung zwischen Gehirn, Körper und Umwelt nur durch einen zusätzlichen Schöpfer erklärt werden kann und dies jenseits der empirischen Möglichkeiten der Neurowissenschaften liegt. Entweder man glaubt es oder nicht.

Aufgezeichnet von Natalie Steinmann.

 

 

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

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