Frage an das Gehirn

Wie rechnet das Gehirn?

Fragesteller/in: Tobias Fischer

Veröffentlicht: 20.10.2019

3 x 4 = 12 – da sind wir uns wohl einig. Aber woher weiß das unser Gehirn?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Andreas Nieder, Professor für Tierphysiologie am Institut für Neurobiologie der Universität Tübingen Um es vorweg zu nehmen: Die exakten Mechanismen und neuronalen Netzwerke, die das Gehirn beim Lösen von Rechenaufgaben nutzt, sind noch nicht erforscht. Was wir aber wissen, ist, dass das menschliche Gehirn – und vermutlich auch das von einigen Tieren – einen natürlichen Mengenbegriff hat. Das wissen wir etwa von indigenen Völkern im Amazonas, die keinen Zahlenbegriff haben, aber dennoch Mengen addieren und subtrahieren. Oder von Untersuchungen mit Säuglingen, bei denen man ihnen ein Bild mit einer bestimmten Anzahl von Punkten zeigt, es verdeckt und es den Babys anschließend erneut zeigt. Bekommen sie dann deutlich mehr Punkte zu sehen, schauen sie signifikant länger hin: Die Menge auf dem Bild entspricht nicht ihren Erwartungen. 

Auch bei Tieren lässt sich Ähnliches beobachten. Von Untersuchungen mit Affen wissen wir außerdem, dass es im Gehirn Nervenzellen gibt, die spezifisch auf Mengen reagieren. Das können wir auch bei Menschen nachvollziehen, bei denen aufgrund einer Epilepsie Elektroden ins Gehirn eingeführt wurden.

Was wir außerdem wissen: Die Nervenzellen, die für den Mengenbegriff zuständig sind, sind im Parietallappen und im präfrontalen Cortex angesiedelt. Symbole, zu denen auch Ziffern zählen, werden dagegen im Temporallappen verarbeitet.

Interessanterweise tendieren wir dazu, die vier Grundrechenarten in zwei Kategorien zu unterteilen: Addition und Multiplikation sowie Subtraktion und Division. Das lässt sich auch im Gehirn nachvollziehen – etwa bei Menschen mit Gehirnverletzungen. Patienten, die infolge einer Schädigung im Parietallappen spezifische Probleme mit Division und Subtraktion haben, können trotzdem uneingeschränkt addieren und multiplizieren – und umgekehrt. Tatsächlich können wir aus solchen Untersuchungen sowie mithilfe von Bildgebenden Verfahren sogar sicher sein, dass bei beiden Kategorien unterschiedliche Mechanismen greifen. Das eigentliche quantitative Rechnen und Verarbeiten von Mengen, findet vorwiegend beim Subtrahieren und Dividieren statt, während bei Addition und Multiplikation insbesondere das Langzeitgedächtnis gefragt ist – zumindest im Zahlenbereich bis 100. Dass 3x4 12 ergibt, wie in der Ausgangsfrage formuliert, haben wir schlicht auswendig gelernt. Und sogar Kopfrechenkünstler wie Rüdiger Gamm scheinen vor allem Gedächtniskünstler zu sein, die über ausgefeilte Lernstrategien verfügen. 

Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

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