Frage an das Gehirn

Kann positives Denken schaden?

Veröffentlicht: 18.08.2019

Die Gegner des positiven Denkens behaupten, es könne krank und/oder dumm machen. Aber warum sollte das so sein, möchte Martin Gerwin gerne wissen.

Die Antwort der Redaktion lautet:

Gabriele Oettingen, Professorin für Motivationspsychologie an der New York University und am Institut für Psychologie der Universität Hamburg:

Es kann tatsächlich problematisch sein, wenn man meint, dass positives Denken über die Zukunft das Allheilmittel ist. Solche Gedanken können zwar hilfreich sein, um sich in eine gute Stimmung zu versetzen, aber sie reichen für sich genommen nicht, um die erwünschte Zukunft auch zu erreichen. Stattdessen kann es sein, dass Leute, die nur positiv an die Zukunft denken, sich nicht mehr die Mühe machen, den Weg zu gehen, der nötig ist, um ihre Ziele zu erreichen.

Zum Beispiel haben stark übergewichtige Frauen, die sich für ein Gewichtsreduktionsprogramm angemeldet haben, umso weniger abgenommen, je mehr sie über ihren Erfolg fantasiert hatten. Berufsschulabsolventen mit besonders ausgeprägten Fantasien über ihren beruflichen Erfolg haben danach weniger Bewerbungen verschickt, weniger Stellenangebote bekommen und später weniger verdient. Studenten hatten umso weniger Erfolg beim Examen, je mehr sie sich vorher tolle Ergebnisse ausgemalt hatten. Und Menschen, die davon träumten, dass sie nach einer Operation am Hüftgelenk schnell wieder auf die Beine kommen, konnten ihr Hüftgelenk später weniger gut bewegen als Patienten, die auch mal den einen oder anderen negativen Gedanken zugelassen hatten.

Positive Zukunftsgedanken können durchaus hilfreich sein, um aktuell die Stimmung zu verbessen. Sie unterstützen uns auch dabei, aktuelle Bedürfnisse und Mangelzustände zu erkennen, und sie geben dem Handeln die Richtung. Wir müssen sie daher ernst nehmen. Sie helfen aber nicht, wenn es darum geht, wirklich etwas zu tun. Experimente zeigen, dass positive Gedanken über die Zukunft stattdessen das Gefühl vermitteln, man habe sein Ziel schon erreicht. Man entspannt sich dann, und die Energie und Motivation, wirklich an seinen Zielen zu arbeiten, nimmt ab.

Dagegen hilft mentale Kontrastierung. Das ist eine Technik, um Zukunftsgedanken in die Realität zu holen. Mentale Kontrastierung beginnt mit positiven Zukunftsphantasien zur Wunscherfüllung. Man bleibt dort aber nicht stehen, sondern macht sich gleich danach das zentrale innere Hindernis auf dem Weg zur Wunscherfüllung klar und stellt es sich dann lebhaft vor – wie zum Beispiel schlechte Gewohnheiten, Ängste und irrationale Überzeugungen. Dieser Prozess gibt Energie und Ideen für Lösungsansätze.

Wir haben daraus einen neuen Ansatz zur Selbstmotivation entwickelt. Dabei denkt man strukturiert über seine Wünsche und Ziele nach, beschäftigt sich dann mit dem auf dem Weg dahin zu überwindenden zentralen Hindernis und macht schließlich einen Plan, wie man diese Hürde überwinden kann. Diese Technik kann man auch trainieren, und es fällt Personen dann leichter, durch das Leben zu kommen.

Aufgezeichnet von Nora Schultz

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