Frage an das Gehirn

Neujahrsvorsätze: Können sie funktionieren?

Fragesteller/in: Sibylle M aus München

Veröffentlicht: 12.12.2021

Ist es sinnvoll, Vorsätze für’s neue Jahr zu fassen? Und was hilft dabei, diese auch einzuhalten?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dieter Frey, Sozialpsychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München: Es gibt kaum Menschen, die noch nie in ihrem Leben zum Jahreswechsel gute Vorsätze gefasst haben. Zwischen 30 und 40 Prozent nehmen sich sogar jedes Jahr vor, etwas zu verändern. Das Jahresende und der Jahresanfang inspirieren viele Menschen dazu, sich Gedanken zu machen und zu reflektieren. Was lief gut im alten Jahr? Was lief nicht so gut und mit welchen neuen Perspektiven möchte ich ins neue Jahr starten? Hier steckt meines Erachtens die große Chance: Im Innehalten und in der Reflexion. Denn nicht allein die Erfahrung macht den Menschen klüger, sondern die Reflexion der Erfahrung. Und der Jahreswechsel ist dann ein guter Zeitpunkt um zu sagen: Jetzt starte ich neu.

Klar ist aber auch: Neujahrsvorsätze sind nicht sinnvoll für diejenigen, die von vorneherein überzeugt sind, dass das nichts bringt. Oder die in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht haben, dass sie nur eine Woche durchhalten. Sinnvoll sind sie dagegen für Menschen, die ihr Leben partiell ändern wollen. Die also nach der Reflexion erkennen, was sie verändern wollen und was dafür notwendig ist. Welche Absicht, welches Ziel verfolge ich mit dem guten Vorsatz? Welche Verhaltensänderung ist dafür notwendig? Und welche Priorität hat die Verhaltensänderung in meinem Leben? Ist es mir wirklich wichtig, besteht ein Leidensdruck oder ist die angestrebte Änderung vielleicht doch nur ein „nice to have“? Eine Reihe von Studien hat belegt: Je höher der Leidensdruck ist weil man beispielsweise bereits die gesundheitlichen Nachteile des Übergewichts oder des Rauchens im Alltag bemerkt, umso besser stehen die Chancen, dass man die notwendige Disziplin aufbringt und sein Ziel schließlich erreicht.

Wichtig ist aus neuropsychologischen Gründen ein regelrechtes Drehbuch zu entwickeln, wie der Vorsatz inhaltlich und zeitlich umgesetzt werden soll – je konkreter desto besser. Statt zu sagen „Ich möchte schlanker sein“ sollte es lieber heißen „Ich möchte zehn Kilo abnehmen, in jedem Monat eines – bis Mai schaffe ich also die ersten fünf.“ Und auch der Vorsatz sich besser zu ernähren, ist zu abstrakt. Besser ist: „Ich möchte ab sofort jeden Tag zwei unterschiedliche Obstsorten essen und zur Hauptmahlzeit Gemüse.“ Studien belegen außerdem, dass Wenn-Dann-Pläne eine wirksame Strategie sind. Also: Immer wenn ich Lust auf Süßes bekomme, hole ich mir ein Stück Obst.“ Das konkrete Formulieren von Verhaltensmustern unterstützt das Gehirn dabei, im „Ernstfall“ wie gewünscht zu reagieren. Es wird regelrecht auf das angestrebte Verhalten trainiert.

Bei alldem sollten die Ziele auch realistisch sein. Wer mit dem Sport anfängt, sollte sich nicht gleich so ausgedehnte Joggingrunden vornehmen, dass er gar keine Chance hat, die Strecke durchzuhalten. Und wer seine Ernährung von heute auf morgen komplett umstellt, läuft auch eher Gefahr zu scheitern, als wenn jemand, der das in kleinen Schritten angeht. Außerdem ist es wichtig, sich mit möglichen Hindernissen auseinander zu setzen. Die Motivationspsychologin Gabriele Oettingen, hat nachgewiesen: Wer seine Vorsätze nicht mit den widrigen Bedingungen der Realität konfrontiert, also reflektiert, was alles dagegen spricht, dass man abnimmt, eine neue Fremdsprache oder ein Instrument lernt, der wird scheitern. Denn dann bewirken die ersten Hindernisse, dass man aufgibt. Wenn Sie kein Geld für Musikunterricht haben oder keine Zeit um Vokabeln zu pauken, kommen Sie mit dem Vorsatz ein Instrument oder eine neue Fremdsprache zu lernen nicht zum Ziel. Für Hindernisse, die sie dagegen umschiffen können, sollten Sie sich einen Plan zurechtlegen. Sie können zum Beispiel immer am Monatsanfang einen bestimmte Betrag für den Unterricht zur Seite legen, oder weniger Fernsehen oder eine Putzfrau engagieren, um Zeit für‘s Vokabelpauken oder die Joggingrunde zu gewinnen. Und wer sich gesünder ernähren möchte, stellt die Schale mit dem gesunden Obst gut sichtbar auf, während Chips und Schokolade am besten gar nicht erst in den Einkaufswagen kommen.

Hilfreich beim Durchhalten ist zudem soziale Unterstützung. Verabrede Sie sich zum Joggen, statt alleine durch den Park zu traben. Melden Sie sich mit Freunden gemeinsam zum Sprachkurs an. Das macht nicht nur mehr Spaß: Wer lieber auf dem Sofa sitzen bleiben will, muss zumindest absagen, was für die meisten eine Hemmschwelle ist. Außerdem muss man seinen Vorsatz auf diese Weise öffentlich machen – nicht durchzuhalten wäre mit einem Gesichtsverlust verbunden. Wer keinen Buddy hat, um eine neue Gewohnheit gemeinsam umzusetzen, kann sich selbst durch mit Tracking unterstützen. Für jede morgendliche Meditation, jedes Mal früher im Bett und die tägliche Gemüsemahlzeit gibt es ein Kreuzchen in den Kalender. Hier kommt die Selbstwirksamkeit zum tragen: Wenn sich die Liste langsam füllt, sehen Sie selbst, wie lange Sie schon durchgehalten haben und haben Ihren Erfolg Schwarz auf Weiß.

Schließlich kommt es aber auch darauf an, wie Sie Ihre guten Vorsätze formulieren. Eine große Studie aus Schweden hat 2020 gezeigt: Gewohnheiten zu unterlassen ist schwieriger als sich neue Gewohnheiten zuzulegen. Der Vorsatz „Ich esse keine Schokolade mehr“ ist demnach eher zum Scheitern verurteilt als „Wenn ich Lust auf Schokolade habe, esse ich Obst.“

Schließlich sollten Sie sich aber auch bewusst machen: Um neue Gewohnheiten zu etablieren, brauchen Sie neben Disziplin und guten Strategien auch Geduld. Wenn Sie die Joggingrunde einmal ausfallen lassen, den Abend doch am Smartphone verbringen oder die Schokolade verführerischer war als das Obst, sollten Sie deswegen nicht gleich ganz aufgeben. Machen Sie sich bewusst, dass jeder Tag eine neue Chance bietet.

Protokoll: Stefanie Reinberger

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