Frage an das Gehirn

Was passiert mit dem Gehirn im All?

Fragesteller/in: Susanne D aus Berlin

Veröffentlicht: 17.01.2021

Wenn Astronauten im All sind, sind sie der Schwerelosigkeit ausgesetzt. Wie wirkt sich das auf ihr Gehirn aus?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Professor Floris Wuyts, Raumfahrforscher an der Universität Antwerpen: Mehrere Forschergruppen, darunter auch wir, konnten zeigen, dass das Gehirn in der Schwerelosigkeit gegen die Schädeldecke gedrückt wird. Dadurch wird das Nervenwasser, in dem das Gehirn schwimmt, nach unten gepresst. Diese Umverteilung des Nervenwassers hält ungefähr sechs Monate nach der Rückkehr zur Erde an. Es gibt ein mechanisches Nachlaufverhalten des Gehirns. Wie bei der Haut: Wenn sie gedehnt wird, kommt sie nicht gleich wieder in ihren Ausgangszustand zurück. Es braucht Zeit.

Ein zweiter wichtiger Befund ist, dass wir im Cerebellum, dem Kleinhirn, der Astronauten einen Zuwachs an weißer Masse sehen. In dieser Region entstehen neue Nervenzellverknüpfungen. Das ist ein deutliches Zeichen für Neuroplastizität. Unser Befund ist sehr robust. Wir benutzen Diffusions-Magnetresonanztomografie und können in jedem Bildpunkt identifizieren, welcher Anteil weiße Masse, graue Masse und Nervenwasser ist.

Das Cerebellum ist für Bewegungskoordination zuständig. Die Astronauten müssen lernen, sich in der Schwerelosigkeit zu bewegen. Das ist sehr schwer. Gesten muss man ganz anders ausführen als auf der Erde. Dass das Kleinhirn Neuroplastizität zeigt, besagt, dass sich die Raumfahrer der neuen Umwelt anpassen. Sie lernen dazu. Eines der Spiele, das Astronauten im All machen, ist, dass sie versuchen die Raumkapsel vom Anfang bis zum Ende entlang zu schwimmen, ohne irgendwo anzustoßen. Das schaffen nur wenige. Das Fortbewegen in der Schwerelosigkeit ist eine Fähigkeit, die das Gehirn erst lernen muss – wie beispielsweise das Skifahren.

Andere Forschergruppen haben auf Basis anderer Messungen eine Degeneration des Gehirns postuliert. Wir sehen jedoch keinen Verlust der grauen Masse. Es stimmt nicht, dass Raumfahrer mit schlechterem Gehirn zurückkommen.

Seit 2007 teste ich die Astronauten in der geheimen russischen Raumfahrtstadt Star City vor und nach dem Flug ins All. Wir haben bis heute 71 Prozent der russischen Raumfahrer untersucht, 15 Leute. Viele Raumfahrer, die ich untersuche, fliegen allerdings schon das zweite Mal ins All. Bei denen, die das erste Mal die Erde verlassen, sehen wir aber auch, dass der vestibuläre Kortex stark verändert ist. Dieses Areal weist nach einem langen Aufenthalt im All mehr und stärkere Verbindungen zwischen den Nervenzellen auf. Der vestibuläre Kortex erfasst, wie wir im Raum orientiert sind, wie die Schwerkraft ist und wie man sich bewegen soll.

Künftig konzentrieren wir uns auf ein großes ungelöstes Problem: 60 bis 70 Prozent der Astronauten sehen nach und nach schlechter. Sie erkennen die Instrumente mitunter nicht mehr richtig und können sie dann nicht mehr gut bedienen. Dieser Sehverlust hält auf der Erde an. Deshalb müssen einige dann eine Brille tragen. Dieses „spaceflight-associated neuro-ocular syndrome“, kurz: SANS, hat im Moment Top-Priorität bei den Raumfahrtgesellschaften. Offenbar wird der optische Nerv beeinträchtigt. Wir denken, das hat mit der Nervenwasserumverteilung und dem Nachlaufverhalten des Gehirns zu tun. Es besteht auch eine Beziehung zum Gewicht des Astronauten. Wenn man dicker ist, gibt es mehr Druck im Körper. Die etwas leichteren russischen Astronauten leiden weniger unter SANS als die US-amerikanischen Raumfahrer. Wir hoffen, dass wir Gegenmaßnahmen für dieses Problem identifizieren können.

Aufgezeichnet von Susanne Donner.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Cerebellum

Kleinhirn/Cerebellum/cerebellum

Das Cerebellum (Kleinhirn) ist ein wichtiger Teil des Gehirns, an der Hinterseite des Hirnstamms und unterhalb des Okzipitallappens gelegen. Es besteht aus zwei Kleinhirnhemisphären, die vom Kleinhirncortex (Kleinhirnrinde) bedeckt werden und spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei automatisierten motorischen Prozessen.

Cerebellum

Kleinhirn/Cerebellum/cerebellum

Das Cerebellum (Kleinhirn) ist ein wichtiger Teil des Gehirns, an der Hinterseite des Hirnstamms und unterhalb des Okzipitallappens gelegen. Es besteht aus zwei Kleinhirnhemisphären, die vom Kleinhirncortex (Kleinhirnrinde) bedeckt werden und spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei automatisierten motorischen Prozessen.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

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