Frage an das Gehirn
Ist das Hirn nachts wacher?
Veröffentlicht: 18.09.2017
Stimmt es, dass das Gehirn beim Schlafen viel wacher ist als tagsüber?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. Thomas Penzel, Wissenschaftlicher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité – Universitätsmedizin Berlin: Unser Gehirn „schläft” niemals, weder am Tag noch in der Nacht. Auch wenn man erwartet, dass unser Gehirn nachts weniger aktiv ist als tagsüber, stimmt das nicht immer:
Tatsächlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Schlafphasen. Zum Beispiel ist unser Gehirn besonders während der so genannten REM-Phasen, die bei Erwachsenen ca. 20 bis 25 Prozent des Schlafs ausmachen, hochgradig betriebsam.
REM steht für „rapid eye movements“: Wie der Name schon sagt, bewegen sich während dieser Phase unsere Augen unter den geschlossenen Augenlidern hin und her. Außerdem beschleunigen sich unser Blutdruck, Puls und Atmung – ein Bild, das dem Wachzustand verblüffend ähnlich sieht. Kein Wunder also, dass REM-Schlaf auch als „paradoxer Schlaf“ bezeichnet wird.
Und wie „wach“ ist das Gehirn, wenn wir schlafen? Die Aktivität des Gehirns kann mit vielen verschiedenen Verfahren untersucht werden. Eine beliebte Variante ist die Elektroenzephalographie (EEG), mit der sich Potenzialschwankungen über der gesamten Schädeldecke messen lassen. Diese Spannungsunterschiede wiederrum erlauben Aufschlüsse über die Aktivität von Nervenzellen und damit des Gehirns.
Und tatsächlich ähneln sich das EEG-Muster während des REM-Schlafes und des Wachzustandes auf verblüffende Weise. Außerdem scheint das Gehirn in dieser Schlafphase in etwa so viel Energie wie im Wachzustand zu verbrauchen. Während des Nicht-REM-Schlafes (NREM) geht es in unserem Kopf hingegen deutlich „ruhiger“ zu. Zusammen deutet das darauf hin, dass Schlaf eben nicht (nur) dazu dient, Energie zu konservieren.
Auch wenn wir vermutlich während aller Schlafphasen träumen, wird angenommen, dass REM-Träume besonders intensiv und lebendig sind. Die erhöhte Aktivität des Gehirns während dieser Phase passt aber auch zu anderen Theorien über die Funktion von REM-Schlaf, wie beispielsweise der Konsolidierung von Gedächtnisinhalten.
Auf der anderen Seite ist die Aktivität unseres Gehirns während der NREM-Phasen deutlich reduziert. Ähnlich verhält es sich auch mit physiologischen Parametern wie die Atmung, die sich verlangsamen. Das ist wahrscheinlich, was viele Menschen mit Schlafen gleichsetzen.
Aber bedeutet „aktiv“ auch „wach“? Dem ist nicht so. Denn wir sind keinesfalls wach (zumindest nicht im klassischen Sinne), wenn wir uns im REM- oder NREM-Schlaf befinden.
Aufgezeichnet von Helge Hasselmann