Frage an das Gehirn

Wie wirken eigentlich Endocannabinoide?

Fragesteller/in: J.H. aus Essen

Veröffentlicht: 08.11.2020

Wenn ich das richtig verstehe, gibt es Rezeptoren für Cannabinoide im Gehirn. Warum gibt es die, und welchen Effekt hat dann ein Joint?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dr. Beat Lutz - Leiter des Instituts für Physiologische Chemie an Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz : Endocannabinoide sind die körpereigenen Cannabinoide. Die Cannabinoid-Rezeptoren wurden im Zuge der Untersuchung zur Wirkung von Tetrahydrocannabinol, kurz THC, entdeckt, der psychoaktiven Substanz, die aus Pflanzen der Gattung Hanf gewonnen wird. Dabei hat sich gezeigt, dass wir Cannabinoide besitzen, die der Körper selbst produziert und die auch an die Cannabinoid-Rezeptoren binden.

Strukturell sind die Endocannabinoide allerdings völlig anders als das THC. Endocannabinoide werden aus Membrankomponenten synthetisiert. Es sind Fettsäuren, die durch Enzyme modifiziert werden. Die Struktur ist sehr simpel: Im Kern sind es Abkömmlinge der Arachidonsäure.

Wir kennen zwei verschiedene Endocannabinoide: Anandamid – der Name setzt sich zusammen aus dem Sanskrit-Wort „ananda“ = „Glückseligkeit“ und der chemischen Struktureigenschaft Amid– und 2-Arachidonylglycerol. Beide sind relativ instabil. Sobald ein Neuron aktiv ist, kann die Synthese stimuliert werden. Und auch der Abbau erfolgt relativ schnell, sodass es einen ständigen Fluss von Auf- und Abbau gibt. Bei THC ist das ganz anders: Es ist ziemlich stabil und verteilt sich im ganzen Gehirn. Die Endocannabinoide dagegen sind nicht überall in der gleichen Konzentration vorhanden, sondern vor allem dort, wo Neurone stark aktiv sind.

Von den Cannabinoid-Rezeptoren gibt es ebenfalls zwei: den CB1- und den CB2-Rezeptor. Beide Rezeptoren finden sich im gesamten Körper, wobei CB1-Rezeptoren sich vorwiegend in der Membran von Neuronen befinden. Die höchste Dichte weisen sie im menschlichen Gehirn auf, sie kommen aber auch in peripheren Organen, wie Leber, Niere, Pankreas oder Darm vor. Der CB2-Rezeptor tritt prominent auf Immunzellen auf, aber auch im Nervensystem.

Endocannabinoide spielen in biochemischen Prozessen in der Synapse eine wesentliche Rolle. Sie wirken nicht wie normale Neurotransmitter wie zum Beispiel Glutamat, Serotonin oder Dopamin vorwärtsgerichtet, sondern rückwärts von der Post- zur Präsynapse. Dadurch wirken sie wie eine Bremse für die übrigen Neurotransmitter. Und zwar nur dort, wo die Neurotransmission ganz stark ist. Das heißt, dass das Endocannabinoid-System unser Gehirn vor Überaktivität schützt und es in einem stabilen Gleichgewicht hält.

Studien haben belegt, dass es zahlreiche pathologische Zuständen gibt, in denen ein Zuviel oder Zuwenig an Endocannabinoiden und Rezeptoren eine Rolle spielt. So gibt es gute Evidenzen, dass die beschriebene Bremse bei bestimmten Epilepsie-Arten nicht ausreichend funktioniert, weil weniger CB1-Rezeptoren ausgebildet sind.

Auch bei erhöhter Ängstlichkeit könnte eine unzureichende Bremse eine Rolle spielen – weil entweder zu wenige Endocannabinoide produziert werden oder zu wenige Rezeptoren da sind. Hier bieten sich pharmakologisch Möglichkeiten, den Abbau der endocannabinoiden Substanzen zu verlangsamen – mit dem Effekt, dass die Betroffenen weniger ängstlich sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Endocannabinoid-System in besonderem Maß für ein Gleichgewicht sorgt. Jegliche Form von Stress führt zu einer Abweichung dieses Gleichgewichts. Das Endocannabinoid-System stellt dann die Balance wieder her.

Aufgezeichnet von Anke Lorenz-Hoppe.

 

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