Frage an das Gehirn

Wie unterscheidet das Gehirn zwischen Vorstellung und Realität?

Fragesteller/in: Benjamin, Schüler

Veröffentlicht: 22.05.2023

Träume und Halluzinationen wirken so real – woher weiß ich, was an meinen Wahrnehmungen stimmt?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dr. Peter König, Leiter des Fachgebiets Neurobiopsychologie am Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück: Das ist eine gute Frage, die sich nicht einfach und vielleicht auch nicht vollständig beantworten lässt.

Zunächst einmal wissen wir, dass das Gehirn viel mehr mit sich selbst redet als mit der Außenwelt: Wir verstehen es als großes neuronales Netzwerk mit etwa 80 Milliarden Neuronen, die mit nochmal 80 Milliarden x 5.000 Verbindungen miteinander kommunizieren. Informationen von außen machen da nur einen winzigen Teil aus. Beispielsweise haben wir in der Netzhaut der Augen etwa eine Million sogenannter Ganglienzellen, die dem Gehirn sagen, was wir sehen. Zum Vergleich: Die Gehirnhälften sprechen über etwa 200 Millionen Fasern miteinander und sind in sich noch einmal intensiver vernetzt. Unsere Aufmerksamkeit liegt also zum Großteil innerhalb des Gehirns. Und selbst der primäre visuelle Cortex, der die Informationen vom Auge als erstes bekommt, „schaut“ nur mit etwa einem Sechstel seiner Verbindungen nach außen, die restlichen Verschaltungen sind alle innerhalb des Gehirns.

Nun kann man sich mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) anschauen, was im Gehirn passiert, wenn man ein Bild sieht oder es sich vorstellt. Da zeigt sich: Der primäre visuelle Cortex wird bei Vorstellungen nur sehr wenig aktiviert, vielleicht 10 Prozent von dem, was beim Ansehen von echten Dingen passiert. Dabei geschieht aber etwas anderes. Um das Gesehene wirklich wahrzunehmen, ist der primäre visuelle Cortex mit höheren Gehirnebenen verschaltet. Sein Signal geht also zunächst zur zweiten Ebene, dem sekundären visuellen Cortex, und dieser projiziert wiederum sogar zu mehreren Gehirnarealen, und so weiter. Wir kommen da bei etwa 10 bis 11 Ebenen raus, die jeweils die nächsthöheren Verarbeitungsschritte übernehmen.

Interessanterweise werden die höheren Ebenen sogar stärker aktiv, wenn wir uns etwas vorstellen. Eigentlich logisch: Wenn ich etwas sehe, kostet mich das keine geistige Mühe, es wird mir vom Auge serviert. In der Vorstellung ist da aber erstmal nichts. Ich muss mich also anstrengen, um ein Bild entstehen zu lassen, und damit haben scheinbar die höheren Areale zu tun.

Dazu kommt, dass die Vorstellung nur ein blasses Abbild eines wirklichen Bildes ist. Deshalb haben wir kein Problem, den Unterschied festzustellen. Ich kann die Augen schließen und mir ein Gesicht vorstellen. Aber während ich an den Mund denke, sehe ich das restliche Gesicht eher verschwommen; stelle ich mir die Augen vor, verwischt der Mund.

Allerdings gibt es Menschen, die halluzinieren, etwa bei einer Schizophrenie. Diese Empfindungen sind dann lebensecht und nicht unterscheidbar von einem echten Reiz von außen. Und da haben Studien gezeigt, dass bei den Betroffenen die früheren Areale deutlich stärker aktiviert werden – vergleichbar mit den Signalen, die bei einem echten Reiz auftreten. Das Gehirn gaukelt ihnen also wirklich vor, dass sie die Dinge sehen oder hören.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es auf das Aktivierungsmuster im Gehirn ankommt: Frühe Regionen wie der primäre visuelle Cortex vermitteln echte Bilder, höhere Ebenen strengen sich an, um Vorstellungen entstehen zu lassen.

Aufgezeichnet von Stefanie Uhrig

Netzhaut

Netzhaut/Retina/retina

Die Netzhaut oder Retina ist die innere mit Pigmentepithel besetzte Augenhaut. Die Retina zeichnet sich durch eine inverse (umgekehrte) Anordnung aus: Licht muss erst mehrere Schichten durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) trifft. Die Signale der Fotorezeptoren werden über den Sehnerv in verarbeitende Areale des Gehirns weitergeleitet. Grund für die inverse Anordnung ist die entwicklungsgeschichtliche Entstehung der Netzhaut, es handelt sich um eine Ausstülpung des Gehirns.
Die Netzhaut ist ca 0,2 bis 0,5 mm dick.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

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