Frage an das Gehirn

Wie gelingt Trennung – für die Kinder?

Veröffentlicht: 29.04.2018

Was ist bei einer Trennung zu beachten, um die möglichst beste Entwicklung des Kleinkindes zu gewährleisten?“

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Dr. Stefan Rücker, Leiter der Forschungsgruppe PETRA sowie der Arbeitsgruppe Kindeswohl an der Universität Bremen: Damit sich Kinder, egal ob von Trennungseltern oder nicht, gut entwickeln können, ist es generell wichtig, dass erst einmal die grundlegenden Bedürfnisse des Kindes befriedigt sind – also etwa Hunger, Durst, Schlaf und Körperkontakt – und dass Eltern eine anregende Lernumgebung schaffen, damit Kinder die nötigen Reize bekommen, um sich kognitiv, motorisch aber auch sprachlich zu entwickeln.

Eltern sind ja in aller Regel eine unverbrüchliche Burg für Kinder. Sie sind von Beginn des Lebens an da, sodass sich Kinder überhaupt nicht vorstellen können, dass das irgendwann einmal anders sein könnte. Wenn es dann aber doch geschieht, dass diese Burg zerbricht, ist das in aller Regel ein kritisches Lebensereignis. Wie sich eine Trennung der Eltern auf die Entwicklung eines Kindes auswirkt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Leider gibt es aber nur sehr wenige gute Langzeitstudien dazu, sodass die Datenlage im Moment noch sehr dünn ist.

Wir wissen aber, dass die Gene der Kinder einen Einfluss auf deren psychische Widerstandskraft haben und diese werden wiederum von Umweltbedingungen und -reizen beeinflusst. So gibt es Kinder, die unter widrigsten Bedingungen aufwachsen und trotzdem zu kerngesunden Menschen werden, während andere Kinder schon bei leichten Belastungen sensibel reagieren.

Dann kommt es auch auf die psychologischen Dispositionen des Kindes an. Gerade jüngere Kinder suchen oftmals die Schuld für die Trennung bei sich selber. Sie meinen häufig, dass ihr eigenes ungebührliches Verhalten dazu geführt hat, dass sich die Eltern jetzt trennen. Außerdem befürchten sie oft unterschwellig, auch noch den zweiten Elternteil zu verlieren. Die Angst vor diesem potentiellen Verlust erzeugt bei den Kindern Stress, wodurch unter anderem das Hormon Cortisol ausgeschüttet wird. Über einen längeren Zeitraum hinweg kann Cortisol neurotoxisch wirken und somit Nervenzellen schädigen. Das kann zu Entwicklungsstörungen führen. Im Erwachsenenleben kommt es dann eventuell zu emotionalen und affektiven Belastungen oder gar Erkrankungen. Das soll nicht heißen, dass ein Kind, dessen Eltern sich frühkindlich trennen und dem ein Elternteil abhandenkommt, nie mehr in der Lage ist, Beziehungen zu führen. Das ist schon möglich, hängt aber, wie gesagt, von verschiedenen Faktoren ab. Diese wollen wir in unserer PETRA-Studie genauer ermitteln.

Dabei beziehen wir auch sehr junge Kinder ab einem Alter von sechs Monaten mit ein. Diese haben bis zu einem Alter von etwa drei Jahren ein noch unausgereiftes Gedächtnis. Das ist mit ein Grund dafür, warum wir uns an Ereignisse aus der frühen Kindheit oft nicht erinnern können. Natürlich können sich Kleinkinder in dieser Zeit an Gesichter, Namen und auch Ereignisse erinnern. Aber Erinnerungen sind nicht statisch, sondern plastisch. Sie verändern sich jedes Mal, wenn wir sie abrufen. Wie lange sie bestehen bleiben, ist auch eine Frage der Stärke und Relevanz dieser Eindrücke. Meine zweijährige Tochter erzählt auch am Wochenende von den Erzieherinnen aus der Krippe. Wenn ich sie mit 17 frage, ob sie noch weiß, wer die beiden sind, glaube ich nicht, dass sie sich daran erinnern kann. Ebenso können sich Kinder, die in jungen Jahren von einem Elternteil verlassen wurden, mitunter nicht einmal an dieses Elternteil erinnern. Und doch spüren sie die Folgen der Trennung, da der plötzliche Abriss des Kontaktes zu dieser Bezugsperson Stress auslöst und die Entwicklung des Kindes beeinflussen kann.

Deshalb sollten Eltern, die sich trennen, mindestens zwei Dinge beachten, um die Folgen der Stressreaktion zu reduzieren. Zum einen sollten sie dem Kind Sicherheit vermitteln und klarstellen, dass es keine Schuld daran trägt, dass sich die Eltern trennen. Das muss man ihm immer wieder versichern, unter Umständen auch mit fachlicher Hilfe. Zum anderen sollten beide Elternteile am weiteren Leben des Kindes teilhaben, wenn keine anderen Gründe dagegensprechen.

Bei Trennungen geht es nie darum, was ist gut für das Kind, sondern was ist das kleinere Übel. Wenn beispielsweise ein Elternteil eine mangelhafte Impulskontrolle hat, straffällig oder suchtkrank ist, dem Kind also eventuell keine Sicherheitssignale geben kann, ist eine zeitweise Unterbrechung des Kontakts unter Umständen das kleinere Übel. Das gilt auch für Elternteile, die sehr unzuverlässig handeln und die versprochenen Besuche nicht einhalten. Denn dadurch wird das Kind hochgradig irritiert und wiederholt enttäuscht, was viel belastender ist, als wenn man eine temporäre Auszeit nimmt. Deshalb verlangt jede Trennung eine flexible Antwort auf die Frage, wie oft das Kind Zeit mit beiden Elternteilen verbringt.

Aufgezeichnet von Nicole Paschek

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