Frage an das Gehirn

Wie erklärt sich die Wirkung von Kunstwerken?

Fragesteller/in: Poldi

Veröffentlicht: 30.04.2017

Kunstwerke bringen uns zum Denken und unsere Emotionen zum klingen. Wie kommt das zustande?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Diplom-Psychologe Eugen Wassiliwizky, Max Planck Institut für empirische Ästhetik: Kunst kann viele verschiedene Emotionen ansprechen oder auch einfach witzig sein – die wohl beeindruckendste Wirkung von Kunst ist aber das Sich-Bewegt-Fühlen. Es gibt eine ganze Bandbreite an Szenarien, die wir als bewegend empfinden.

Eines davon ist die Überwindung von Hindernissen. Damit arbeiten auch viele narrative Kunstwerke wie Film oder Literatur: Der Protagonist kann etwas zunächst nicht erreichen, eine Spannung wird aufgebaut. Schließlich schafft er es doch, die Spannung löst sich. Das nehmen wir als freudig bewegend wahr. Allerdings entsteht diese Wirkung nur, weil vorher negative Emotionen vorgeherrscht haben. Freudige Bewegtheit spielt auch in vielen anderen beliebten Hollywoodszenarien, zum Beispiel in Wiedervereinigungsszenen, eine wichtige Rolle.

Neben dieser freudigen Bewegtheit gibt es aber auch traurig bewegende Szenarien in Kunstwerken: Hier stehen traurige Emotionen im Vordergrund.  – zum Beispiel in Abschiedsszenen. Auch sie werden jedoch durch einen positiven, gefühlsmäßigen Kontrapunkt ausbalanciert.

Aber nicht nur narrative Kunstwerke sprechen gegensätzliche Gefühle gleichzeitig an: Auch Musik und Poesie spielen durch Takt oder Versmaß mit Anspannung und deren Auflösung. Bilder und Fotografien beinhalten zwar keine dynamische Komponente – oft haben wir aber eine Geschichte zu Bildern im Kopf, die wiederum negative und positive Emotionen zugleich hervorruft. Das ist zum Beispiel oft bei klassischen Kunstwerken, die auf Bibelszenen beruhen, der Fall. Egal in welcher Kunstform, die Mischung unterschiedlicher Gefühle wirkt bewegend: Die Hauptemotion, ob positiv oder negativ, beherrscht dabei etwa 70 Prozent unseres Fühlens, die entgegengesetzte Emotion etwa 30 Prozent.

Die Ansprache gegensätzlicher Emotionen bei der Wahrnehmung von Kunstwerken spiegelt sich auch in unseren körperlichen Reaktionen wider. Sind Menschen stark bewegt, bekommen sie oft gleichzeitig Gänsehaut und sind zu Tränen gerührt. Diese beiden körperlichen Reaktionen werden von unterschiedlichen Nervensystemen gesteuert: Gänsehaut entsteht durch erregende Emotionen und wird ausschließlich durch das sympathische Nervensystem gesteuert. Dieses ist für Aktionen wie Kämpfen oder Fliehen zuständig und mobilisiert den Körper. Wird der Sympathikus aktiviert, steigt der Hautleitwert, das Herz schlägt schneller und wir atmen tiefer.

Die gleichzeitig fließenden Tränen steuert dagegen das parasympathische Nervensystem. Der Parasympathikus ist für Regeneration zuständig. Er reagiert auch, wenn der Mensch sich überwältigt fühlt oder aufgibt.

Wenn wir uns besonders bewegt fühlen, werden mit Parasympathikus und Sympathikus also zwei gegensätzliche Systeme im Körper gleichzeitig aktiviert. Das ist äußerst selten und macht das Gefühl des Bewegt-Seins so besonders.

Obwohl im Bewegt-Sein durch die Mischung entgegengesetzter Gefühle immer negative Emotionen enthalten sind, ist dabei außerdem immer das Belohnungssystem des Gehirns aktiv. Normalerweise sind diese sehr alten Strukturen des Gehirns für überlebenswichtige Reize wie Essen oder Sex zuständig – aber Kunstwerke haben sich, ähnlich wie Drogen, scheinbar ebenfalls in dieses System ,eingehackt‘ und entfalten auch dadurch ihre besondere Wirkung.

Aufgezeichnet von Natalie Steinmann

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Sympathicus

Sympathicus/-/sympathetic nervous system

Ein Teil des autonomen Nervensystems, wobei der Sympathicus primär erregende Impulse vermittelt – im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, dem Parasympathicus. Beispielsweise aktiviert der Sympathicus Atmung, Herz und Kreislauf, er erreicht aber auch die glatte Muskulatur sämtlicher innerer Organe. Das sympathische System verwendet die Neurotransmitter Acetylcholin und Noradrenalin.

Parasympathicus

Parasympathicus/-/parasympathetic nervous system

Der Parasympathicus ist ein Teil des vegetativen oder autonomen Nervensystems. Letztere Bezeichnung spielt darauf an, dass dieser Teil des Nervensystems nicht dem Willen unterworfen ist. Er kontrolliert die Aktivitäten eines Großteils der innneren Organe sowie den Blutkreislauf. Im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, dem Sympathicus, ist der Parasympathicus am aktivsten, wenn der Organismus sich in Ruhe befindet. Er steuert unter anderem die Verdauung und das Harnlassen. Als Botenstoff für die Signalübertragung innerhalb des Parasympathicus dient Acetylcholin.

Mesolimbisches System

Mesolimbisches System/-/mesolimbic pathway

Ein System aus Neuronen, die Dopamin als Botenstoff verwenden und das entscheidend an der Entstehung positiver Gefühle beteiligt ist. Die Zellkörper liegen im unteren Tegmentums und ziehen unter anderem in die Amygdala, den Hippocampus und – besonders wichtig – den Nucleus accumbens, wo sie ihre Endköpfchen haben.

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