Frage an das Gehirn

Was macht die vierte Hirnhaut?

Fragesteller/in: Sandra E. aus Hamburg

Veröffentlicht: 18.06.2023

Ich habe gelesen, dass kürzlich eine neue Hirnhaut entdeckt worden ist. Warum erst jetzt? Und welche Funktion hat sie?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Dr. Johanna Rümenapp, Universitätsklinik Schleswig Holstein, Klinik für Neurologie, Kiel: Das zentrale Nervensystem (ZNS) ist von mehreren Häuten umgeben. Lehrbücher beschreiben von außen nach innen:

- die Dura mater, die harte Hirnhaut;

- die Arachnoidea, die Spinnengewebshaut;

- und die Pia mater, die weiche Hirnhaut, die der Hirnoberfläche direkt aufliegt.

Kürzlich haben Forschende eine vierte Hirnhaut entdeckt: Die SLYM (subarachnoid lymphatic-like membrane). Die dänische Forschungsgruppe, die erstmalig von der SLYM berichtet, beschäftigt sich intensiv mit dem lymphatischen System des Hirns. Ein System, welches erst seit 2012 näher charakterisiert wurde und welches Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weiterhin vor viele unbeantwortete Fragen stellt.

Während der Lymphfluss durch das Hirnparenchym sowie der Abtransport der Lymphe aus dem Gehirn heraus bereits intensiv untersucht wurde, blieb bislang ungeklärt, wie die Organisation des Lymphsystems im Subarachnoidalraum, also in den liquorgefüllten Räumen des Gehirns, aussieht: Hier stoßen frisch produzierter, „sauberer“ Liquor und die Flüssigkeit, die auf ihrem Weg durch das Hirnparenchym bereits zahlreiche Abbauprodukte und Schadstoffe aufgenommen hat, aufeinander. Doch wäre es nicht verschwenderisch und ineffizient, würden sich hier Frisch- und Abwasser einfach vermengen?

Es bedarf besonderer Technik um solch spezifischen Fragen zu Anatomie und Funktion des Gehirns auf den Grund zu gehen. Die Auflösung radiologischer Bildgebung beim lebenden Organismus ist begrenzt und bei der Betrachtung histologischer Präparate kommt es zu Fixationsartefakten, welche direkte Rückschlüsse auf die Anatomie im Lebendigen einschränken. Daher haben sich die ForscherInnen etwas Besonderes einfallen lassen: Sie haben ein 2-Photonen Mikroskop, das eine extrem hohe Auflösung erlaubt, auf die ausgedünnte Schädeldecke von lebenden Mäusen aufgesetzt. Bei diesen Tieren wurden Zellen mit lymphatischem Ursprung mit einem lumineszierenden (leuchtenden) Marker gekennzeichnet.

Diese spezifische Methode offenbarte den Forschenden erstmals eine dünne Membran aus lymphatischen Zellen, welche den Subarachnoidalraum in einen inneren und äußeren Raum einteilt: Die SLYM. Mehr noch: Sie konnten nachweisen, dass diese Membran für die allermeisten Peptide und Proteine undurchlässig ist, sie also eine echte Barriere-Funktion besitzt, und dass sich an ihr vermehrt Immunzellen ansammeln. Dies legt nahe, dass die neu entdeckte Hirnhaut eine wichtige Rolle in der Immunantwort des ZNS spielen könnte.

In einem zweiten Schritt gelang es dem dänischen Forschungsteam diese Ergebnisse mittels Immunhistochemie - einem histologischen Verfahren, welche die spezifische Markierung verschiedener Proteine erlaubt) – an histologischen Päparaten zu verifizieren. Sie konnten die SLYM weiter charakterisieren und letztendlich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen.

Neben ihrer Bedeutung für das lymphatische System des ZNS scheint die geheimnisvolle vierte Membran jedoch weitaus mehr zu können: Die SLYM weist Gemeinsamkeiten zum Mesothel auf. Dabei handelt es sich um eine Haut, die unsere Bauch- und Brusthöhle einkleidet und die darin befindlichen Organe umhüllt. Das Mesothel dient als Immunbarriere, vermindert Reibung und erleichtert eine gleitende Bewegung zwischen verschiedenen Geweben. So könnte auch die SLYM dazu dienen, die Reibung zwischen Gehirn und Schädel, welche beispielsweise durch Puls, Atmung und Haltungsveränderungen entsteht, zu minimieren. Weiterhin vermuten die Hirnforscher, dass die SLYM eine Rolle bei der Resorption von Liquor in das venöse System haben könnte. Wir dürfen gespannt sein, welche überraschenden Eigenschaften diese mysteriöse vierte Hirnhaut noch zu bieten hat!

Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

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