Frage an das Gehirn

Was passiert unter Hypnose und Trance im Gehirn?

Fragesteller/in: Benjamin G.

Veröffentlicht: 23.09.2018

Was passiert im Gehirn und wie fühlt sich das an?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von  Prof. Dr. Dirk Revenstorf , Klinische Psychologie Uni Tübingen, Leiter der Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose, Regionalstelle Tübingen:  Das Gehirn hat für die Hypnose mehrere interessante Abteilungen. Einerseits der präfrontale Cortex, in dem man unseren Alltagsverstand, aber auch unseren wissenschaftlichen Verstand verorten kann. Der zweite Teil nennt sich Präcuneus, der sitzt in der Mitte des Gehirns, etwas unterhalb des Schädeldachs. Dieser Teil des Gehirns wird aktiv, wenn man seinen Vornamen hört, einen Text in Ich-Form liest oder das eigene Passbild ansieht. Allgemein gesagt, tritt der Präcuneus in Aktion, wenn das Denken um das eigene Ich kursiert. Beide Zentren, der kritische Verstand und das Ich-Bewusstsein, brauchen wir, weil wir ständig überlegen, auch ohne drüber nachzudenken, ob etwas zu uns passt, ob wir etwas dürfen oder sollen, wie etwas mit unserem Selbstbild zusammenpasst etc.

Während des Trancezustands einer Hypnose sind diese beiden Regionen in der Aktivität heruntergefahren. Das heißt, dass wir dann eben nicht mehr über uns nachdenken, ob etwas zu uns passt oder nicht. Das Ich spielt in dieser Situation keine Rolle mehr, und der kritische Verstand, der analysiert, was die Konsequenzen meiner Handlungen sind, fällt auch weg. Was zunächst wie eine Schwächung klingt, ist genau das Gegenteil, weil dadurch die eigene Phantasie und der Denkprozess sehr viel freier werden.

Deshalb kann man in dieser speziellen Konfiguration oder in diesem Zustand des Gehirns von einer erhöhten Durchlässigkeit sprechen. Sei das in Richtung der persönlichen Vergangenheit, für Bilder und bildhafte Vergleiche oder was die Wechselbeziehung zwischen Körper und Geist angeht. Daraus ergibt sich die etwas heikle Möglichkeit für den Hypnotiseur, einer Person in Trance etwas zu sagen, was diese nicht überprüft. Die Suggestionen des Therapeuten werden in Trance eher aufgenommen wie eine elterliche, wohlmeinende Empfehlung. Es entsteht eine Eltern-Kind-Situation, in der die Person in Trance dem Hypnotiseur bedingungslos vertraut. Daher spreche ich von Durchlässigkeit, denn das Gesagte wird eben nicht abgewehrt, sondern integriert.  Milton Erickson , ein amerikanischer Psychiater, der 1981 gestorben ist, sagte, Trance sei ein Zustand, in dem man sich in die kindliche Verfassung zurückversetzt und deshalb so lernfähig wird.

Mit wem spricht man da also? Ich würde sagen, man redet mit dem Unterbewussten. Mit dem Ich-Bewusstsein, so ähnlich wie im Traum. Nur, dass das Ich-Bewusstsein in Trance sehr viel weiter in seinem Einzugsbereich ist. In Bezug darauf, welche und wie weit Erinnerungen und Körperregionen beeinflussbar sind. Wie in Träumen, die auch sehr wild und kreativ sein können, die man häufig gar nicht versteht, wo es aber passiert, dass die Vernetzung von Inhalten in sehr erstaunlicher Weise möglich wird. Diese Vernetzung von Erfahrungen wird durch die weniger aktiven, sonst kontrollierenden, Gehirnregionen in Trance erhöht. 

Man spricht also in Trance mit einem erweiterten Ich.

Aufgezeichnet von Dr. Jochen Müller

Themen

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.