Frage an das Gehirn

Was passiert in unserem Kopf, wenn wir Schmerzen haben?

Fragesteller/in: benno, via Email

Veröffentlicht: 07.07.2012

Wenn wir schlimme Schmerzen haben, dann dominieren sie unser gesamtes Denken. Wie genau funktioniert das in unserem Kopf?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Thomas Weiß, Professor am Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie der Universität Jena: Nehmen wir an, wir piksen uns mit einer Nadel in den Finger. Auf die Verletzung reagieren Schmerzrezeptoren, indem sie elektrische Signale abgeben, die über das Rückenmark weitergeleitet werden. Im Gehirn startet sogleich ein Riesenkonzert an unterschiedlichen Aktivitäten. Der Schmerzeindruck wird analysiert: Wo genau kommt das Signal her, wie groß ist das betroffene Areal, wie intensiv ist der Reiz, wie lange hält er an. Diese Prüfung geschieht in erster Linie in zwei Bereichen der Großhirnrinde: im somato-​sensorischen Cortex und im hinteren Bereich der Insel. Auf diese Weise verortet das Gehirn den Reiz, der von dem Nadelstich ausgeht. Außerdem nehmen wir den Reiz als unangenehm war, weil zeitgleich weitere Areale aktiviert werden, die für die emotionale Verarbeitung zuständig sind: der vordere Bereich der Insel sowie präfrontale Cortex-​Bereiche. Eine zentrale Rolle spielt der anteriore cinguläre Cortex (ACC). Menschen, die dort eine Störung haben, nehmen Schmerzen zwar wahr, diese stören sie aber nicht.

Zudem kommt es zu weiteren Hirnaktivitäten: Der motorische Cortex wird tätig, damit wir die Flucht ergreifen oder eine Schonhaltung einnehmen können. Zudem wird die Aufmerksamkeit reguliert, wir unterbrechen etwa ein Gespräch, wenn wir das Nadelpiksen spüren. Das geschieht in mehreren frontalen und parietalen Bereichen des Cortex. Schmerzen können auch tiefe Emotionen wie Angst und Furcht auslösen, so kann auch die Amygdala einbezogen werden.

Was ich bisher beschrieben habe, ist der akute Schmerz, der dazu führt, dass wir unwillkürlich Situationen meiden, in denen wir uns verletzen könnten. Das ist also eine sehr sinnvolle Empfindung. Jeder Schmerz kann aber durch Wiederholung zu einem Schmerzgedächtnis führen, chronische Schmerzen entstehen. Dabei verändern sich die für die Schmerzwahrnehmung zuständigen Hirnareale. Das führt dazu, dass selbst kleine Reize als extrem unangenehm empfunden werden. Im Hirn passiert oft etwas Komisches: Bei vielen Patienten mit chronischen Schmerzen ist der schon erwähnte ACC deutlich verkleinert. Unsere Hypothese ist, dass sich das Gehirn dadurch vor der emotionalen Überlast der Schmerzen schützt. Das hat aber einen entscheidenden Nachteil: Der ACC moduliert auch das Schmerzempfinden, indem er etwa über körpereigene Opiate die Sensitivität verringert. Ist dieses Areal verkleinert, dann kann also die Schmerzempfindung nicht mehr so gut reduziert werden.

Die Verkleinerung des ACC ist aber nicht unumkehrbar: Nach einer erfolgreichen Therapie gegen die chronischen Schmerzen hat der Hirnbereich meist wieder die normale Größe. Sehr effektiv ist eine intensive, zwei– bis sechswöchige multimodale Behandlung, bei der neben Schmerzmedizinern auch klinische Psychologen, Psychiater, Physio– und Ergotherapeuten und weitere Ärzte eingebunden werden.

Chronische Schmerzen haben für Patienten oft gravierende psychologische Konsequenzen. Sie neigen dazu, Ereignisse schlimmer zu bewerten, als sie tatsächlich sind. Wir sprechen vom Katastrophisieren. Das ist ein Teufelskreis, denn Menschen, die schlecht drauf sind, empfinden viel leichter Schmerzen als gut gelaunte Menschen.

Wir haben hier an der Universität Jena dazu ein einfaches Experiment gemacht: Studenten mussten sich Adjektive merken, danach haben wir sie mit einem schmerzhaften Laserhitzeimpuls stimuliert und ihre Schmerzwahrnehmung gemessen. Waren es positive Adjektive wie „freundlich“, „nett“, „angenehm“, dann waren ihre Schmerzempfindungen niedriger als bei neutralen Adjektiven wie „neutral“ oder „lang“. Studenten dagegen, die sich negative Adjektive wie „mörderisch“, „störend“ oder „brennend“ merken mussten, reagierten deutlich empfindlicher auf die Reize.

Aufgezeichnet von Ragnar Vogt

Rückenmark

Rückenmark/Medulla spinalis/spinal cord

Das Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, das in der Wirbelsäule liegt. Es verfügt sowohl über die weiße Substanz der Nervenfasern, als auch über die graue Substanz der Zellkerne. Einfache Reflexe wie der Kniesehnenreflex werden bereits hier verarbeitet, da sensorische und motorische Neuronen direkt verschaltet sind. Das Rückenmark wird in Zervikal-​, Thorakal-​, Lumbal und Sakralmark unterteilt.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Anteriorer cingulärer Cortex

Anteriorer cingulärer Cortex/Cortex cingularis anterior/anterior cingulate cortex

Der vordere Bereich des cingulären Cortex (Gyrus cinguli oder cingulärer Gyrus) spielt nicht nur bei autonomen Funktionen wie Blutdruck und Herzschlag eine Rolle, sondern auch bei rationalen Vorgängen wie der Entscheidungsfindung. Zudem ist dieser Hirnbereich in emotionale Prozesse involviert, beispielweise in die Kontrolle von Impulsen. Anatomisch zeichnet sich der anteriore cinguläre Cortex (ACC) dadurch aus, dass er eine große Zahl von Spindelneuronen besitzt. Diese speziellen Nervenzellen haben eine lange, spindelförmige Struktur und wurden bisher nur bei Primaten, einigen Wal– und Delfinarten sowie bei Elefanten gefunden. Spindelneurone tragen zu der Fähigkeit dieser Arten bei, komplexe Probleme zu lösen.

Anteriorer cingulärer Cortex

Anteriorer cingulärer Cortex/Cortex cingularis anterior/anterior cingulate cortex

Der vordere Bereich des cingulären Cortex (Gyrus cinguli oder cingulärer Gyrus) spielt nicht nur bei autonomen Funktionen wie Blutdruck und Herzschlag eine Rolle, sondern auch bei rationalen Vorgängen wie der Entscheidungsfindung. Zudem ist dieser Hirnbereich in emotionale Prozesse involviert, beispielweise in die Kontrolle von Impulsen. Anatomisch zeichnet sich der anteriore cinguläre Cortex (ACC) dadurch aus, dass er eine große Zahl von Spindelneuronen besitzt. Diese speziellen Nervenzellen haben eine lange, spindelförmige Struktur und wurden bisher nur bei Primaten, einigen Wal– und Delfinarten sowie bei Elefanten gefunden. Spindelneurone tragen zu der Fähigkeit dieser Arten bei, komplexe Probleme zu lösen.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Schmerzgedächtnis

Schmerzgedächtnis/-/pain memory

Aus einem akuten Schmerz kann ein chronischer werden, wenn er längerfristig auftritt. Hier zeigt sich, wie plastisch – wie lernfähig – das Nervensystem ist: Es reichen auch schon leichte Auslöser, um eine Schmerzempfindung hervorzurufen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.