Frage an das Gehirn

Was macht erzwungene Rechtshändigkeit mit dem Gehirn?

Fragesteller/in: Sarah G.

Veröffentlicht: 04.11.2018

Früher wurden Linkshänder dazu gezwungen, mit rechts zu schreiben. Was macht das mit dem Gehirn?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Dr. Hartwig Siebner, Professor für Präzisionsmedizin am Institut für Klinische Medizin an der Universität von Kopenhagen:  Linkshänder können, wenn sie genug drangsaliert und trainiert werden, mit ihrer rechten Hand gleich gut oder fast so gut Schreiben, wie ein Rechtshänder. Das Umlernen funktioniert im Kindesalter deutlich einfacher als im Erwachsenenalter. Trotzdem gibt es viele Leute, die beispielsweise nach einem Schlaganfall auf die andere Hand umlernen und dann mit dieser Hand relativ gut werden.

Unsere Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung haben gezeigt, was bei umgelernten Linkshändern im Gehirn passiert: Es muss sozusagen mehr arbeiten. Um eine Bewegung auszuführen, ist die Aktivität des so genannten Motorcortex gefragt. Dabei ist immer die gegenseitige Hirnhälfte aktiv – die linke Hirnhälfte steuert also die rechte Hand und die rechte Hirnhälfte steuert die linke Hand. Bei Rechtshändern dominiert die linke Hemisphäre und bei Linkshändern dominiert die rechte Hemisphäre die Bewegungen mit der Hand. Umgeschulte Linkshänder aktivieren beim Schreiben mit rechts beide Hirnhälften – die nicht-dominante linke Hirnhälfte, weil sie ja mit rechts schreiben, aber auch die eigentlich dominant rechte Hirnhälfte. Durch das Umlernen wechselt die Hirnaktivität also nicht einfach nur die Seite.

Auch für andere Aufgaben, die nicht umgelernt und somit trainiert wurden – etwa Zähneputzen oder das Drücken eines Knopfs – benötigen Linkshänder die Aktivität beider Hirnhälften, wenn sie die nicht-dominante rechte Hand dafür benutzen. Linkshänder, die gelernt haben mit rechts zu schreiben, aktivieren die nicht-dominante Hirnhälfte dabei stärker als Linkshänder, die auch mit links schreiben. Durch das Umlernen haben sie sozusagen den Motorcortex beider Hirnhälften gestärkt. Je stärker umtrainiert wurde – je besser das Schreiben mit rechts also funktioniert – umso stärker aktivieren sie auch ihren linken Motorcortex.

Das Hirn ist da nichts anderes als ein Muskel. Werden Teile des Gehirns besonders intensiv trainiert, werden sie auch stärker. Bei umgeschulten Linkshändern ist das der ausführende Teil des Gehirns, der Motorcortex, auf der nicht-dominanten Seite. Auch der Anteil an Nervenzellen, die für die rechte Hand zuständig sind, steigt dabei an. Normalerweise ist dieser bei Linkshändern für die linke Hand größer, bei Rechtshändern für die rechte. Umgeschulte haben ein nahezu gleiches Verhältnis. 

Doch eins ändert sich nicht: Die Kontrolle der Bewegung geht bei den Umgeschulten immer noch von der dominanten, rechten Hirnhälfte aus – auch, wenn sie etwas mit der rechten Hand tun. Lediglich die Ausführung der Bewegung findet dann verstärkt in der nicht-dominanten Hirnhälfte statt. Die Präferenz für die linke Hand, bleibt somit auch beim Umschulen bestehen. Auch, wenn sie jetzt mit rechts schreiben – sie bleiben Linkshänder.

Das ist ein guter Beleg dafür, wie anpassungsfähig das Gehirn ist. Es zeigt aber auch, dass gewisse Grundfunktionen fest gezimmert sind. Insofern macht es auch keinen großen Sinn umzulernen. Vor allem in Hinblick auf die Tatsache, dass manche Menschen regelrechte Traumen dabei erleben. Ich hatte einen türkischen Versuchsteilnehmer, dem haben sie einfach die andere Hand eingegipst, weil er so renitent war. Auch viele andere Probanden haben mir spontan gesagt, dass es für sie belastend war, in der Schule so gedrillt zu werden. Man ist ja in einer Situation, in der man viel lernen muss: das Alphabet, die Rechtschreibung. Und dann darf man das noch nicht einmal mit der Hand machen, mit der es am besten geht. Natürlich ist das eine Stresssituation. Insofern find ich das wirklich gut, dass man es heute nicht mehr macht.

Das Umlernen ist aber nicht zwangsweise belastend oder traumatisierend, es kann auch einen positiven Effekt haben: nämlich beim Musizieren. Denn letztlich haben diese Linkshänder beide Hände trainiert. Einer meiner Kollegen ist beispielsweise auch umgelernter Linkshänder. Er war dankbar dafür und dachte: Für mich war das zwar Stress, aber ich bin dadurch ein besserer Cellist geworden, weil ich einfach mit beiden Händen besser arbeiten kann. Der sah das mehr als so ein frühzeitiges forciertes musikalisches Training.

Aufgezeichnet von Nicole Paschek

Primärer motorischer Cortex

Primärer motorischer Cortex/-/primary motor cortex

Ein Areal des Frontallappens in der Vorderwand der Zentralfurche. Er gilt als übergeordnete Steuereinheit, zuständig für willkürliche — und Feinmotorik. Hier sitzen die Zellkörper der zentralen Motoneurone, deren Axone zu den Basalganglien, zu zahlreichen Kerngebieten im Hirnstamm und zum Rückenmark ziehen. Nur im primären motorischen Cortex kommen die Betz-​Riesenzellen vor, besonders große Motoneurone, deren Axone ohne vorherige synaptische Umschaltung direkt zu den Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks ziehen.

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