Frage an das Gehirn

Sind Frauen wirklich empfindsamer als Männer?

Fragesteller/in: Sternchen

Veröffentlicht: 15.05.2017

Sind Frauen wirklich empfindsamer als Männer – besonders im Zwischenmenschlichen?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Isabel Dziobek, Professorin für Social Cognition, Berlin School of Mind and Brain, Humboldt-Universität zu Berlin: Frauen und Männer sind in vielerlei Hinsicht verschieden. Aber haben Frauen wirklich mehr Einfühlungsvermögen und Männer bessere räumliche Vorstellungskraft? Der Cambridger Psychologe Simon Baron-Cohen hat sich lange Zeit mit dieser Frage beschäftigt. In seiner Theorie verortet er dabei den „Denkstil“ von Menschen anhand von zwei Dimensionen: Empathie und Systematisierung (E-S Theorie).

Empathie bezeichnet das Bedürfnis, sich in andere Personen hineinzuversetzen und eine ihrem Gefühlszustand angemessene emotionale Reaktion zu zeigen. Wenn wir zum Beispiel sehen, wie jemand angeschrien wird und daraufhin zu weinen anfängt, dann können wir seine Gefühle nachvollziehen und sind eventuell selbst traurig. Diese Fähigkeit zur Perspektivübernahme ist die Grundlage von Empathie. Systematisierung beschreibt hingegen eine Vorliebe für das Verstehen und Manipulieren von „Systemen”, die nach festen Gesetzen und Regeln funktionieren. Diese können beispielsweise Mathematik aber auch Unternehmen sein.

Wie kann man Empathie und Systematisierung nun erfassen und vergleichen? Dazu lassen sich zum Beispiel anhand von Fragebögen Empathie- bzw. Systematisierungs-Quotienten berechnen und zwischen den Geschlechtern vergleichen. Wenig überraschend postuliert Baron-Cohen, dass Frauen mehr Empathie zeigen, während Männer eher der Systematisierung zugetan sind. Und tatsächlich haben viele wissenschaftliche Untersuchungen im Durchschnitt höhere Empathie bei Frauen sowie höhere Systematisierung bei Männern gefunden.

Allerdings ist das weniger auf das Geschlecht einer Person selbst als auf „das Geschlecht“ (oder den Typus) ihres Gehirns zurückzuführen. Und dieses wird vorgeburtlich, so die E-S Theorie, durch den Testosteron-Spiegel im Mutterleib bestimmt – so entwickeln sich Empathie und Systematisierung auf einem Kontinuum von männlich bis weiblich. Das Geschlecht einer Person gibt also nicht zwangsläufig, sondern nur im Durchschnitt, Aufschluss über ihren Gehirntypus. Selbstverständlich gibt es auch Frauen, die stärker systematisieren, oder Männer, die mehr Empathie zeigen.

Dabei sollte allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass Sozialisierung oder Stereotype ebenfalls einen Einfluss auf das Verhalten von Männern und Frauen haben können. Jeder Mensch hat die Befähigung zu beiden Qualitäten – allerdings eben in unterschiedlichem Ausmaß.

Aufgezeichnet von Helge Hasselmann

Empathie

Empathie/-/empathy

Der Begriff „Empathie“ geht auf das altgriechische Wort für „Leidenschaft“ zurück. Heute versteht man unter Empathie das Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen und deren Gefühle, Gedanken und Handlungsweisen nachzuvollziehen. Die physiologische Basis dafür sehen viele Neurowissenschaftler in den Spiegelneuronen: Nervenzellen, die beim Beobachten einer Handlung ebenso aktiv sind wie bei deren Ausführung.

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