Frage an das Gehirn

Warum haben Verschwörungstheorien so viel Erfolg?

Fragesteller/in: Martin M. aus München fragt:

Veröffentlicht: 27.09.2020

Verschwörungstheorien scheinen sich oft leichter zu verbreiten und hartnäckiger zu halten als fundierte Fakten. Ist unser Gehirn dafür besonders anfällig?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Volker Busch, Leiter der Abteilung Stress- und Schmerzforschung der Universitätsklinik Regensburg und Speaker: Unser Gehirn ist tatsächlich unschuldig. Aber unser Geist ist süchtig nach Dingen, die Sinn ergeben. Er ist auf ständiger Suche nach Bedeutung. Wir sind kausalitätsbedürftig. Wer regelmäßig Lotto spielt, kommt im Laufe der Zeit irgendwann zu der Überzeugung, dass ein bestimmtes System hinter der Auswahl der Lottozahlen steckt. Zum Beispiel das eigene Geburtsdatum. Dabei ist es völlig klar, dass Lotto spielen ein reines Zufallsprinzip ist. Aber: Unser Geist trachtet nach einem System, sich in diesen 49 Zahlen zurechtzufinden. Aus demselben Grund sehen wir, wenn wir in die Wolken schauen, auch irgendwann Gesichter oder Tiere.

Das ist total menschlich und verständlich, denn es macht die Welt sicher und erklärbar. Wir sehnen uns nicht nur nach existentieller, sondern auch nach geistiger Sicherheit. Wie wir die Welt wahrnehmen, wird beeinflusst von unseren Hoffnungen und Erwartungen – Hauptsache unsere Überzeugung, davon, wie die um uns herum ist, ist kohärent. Das gilt umso mehr, je komplexer und unklarer die Situation ist, wie zum Beispiel in der Corona-Pandemie. Erkläre ich hier Bill Gates zu einem Täter, dann gibt das eine Form der Befriedigung.

Sind die vermeintlichen Übeltäter erst einmal gefunden, kommt ein zweiter Aspekt der allgemeinen Psychologie zum Tragen: die Selbstverifizierung. Das Gehirn, oder besser der Geist, hat die Fähigkeit, uns an die eigenen Geschichten glauben zu lassen, wenn wir sie uns lange genug einreden. Das ist wie ein Schneeball, den wir ständig rollen, und der dadurch immer größer wird. Wir radikalisieren uns selbst und verlieren unsere Flexibilität. Nach einer gewissen Zeit wird es dann unheimlich schwer, nochmal eine andere Perspektive einzunehmen.

Dazu kommt: Eine Meinung zu haben und zu äußern, ist zum Statussymbol geworden und gehört zum persönlichen Profil. Man identifiziert sich mit dieser Meinung sowie mit der Gruppe, die dieses Denkmuster vertritt. Ist zudem eine Unzufriedenheit beziehungsweise ein starkes Unsicherheitsgefühl im Leben vorhanden, und das über einen längeren Zeitraum, kann das dazu führen, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe – und damit zur vertretenen Meinung noch mehr Bedeutung hat.

Verschwörungstheorien im Gehirn zu untersuchen, ist leider nicht so einfach. Wenn es darum geht zu verstehen, wie Menschen zu Überzeugungen gelangen oder Weltbilder sich festigen, dann entzieht sich das einer eindeutigen Untersuchbarkeit im Kernspintomographen. Was wir allerdings wissen ist, dass vegetative und endokrine Steuersysteme zur Ruhe kommen, wenn Menschen das befriedigende Gefühl von Sicherheit empfinden.

Außerdem wissen wir, dass das Belohnungssystem nicht nur auf klassische neurobiologische Aspekte anspringt, wie etwa Essen oder Sexualität. Auch Information, beziehungsweise die erfolgreiche Suche danach, wirkt belohnend. Das gilt insbesondere, wenn die Information von Personen kommt, denen wir vertrauen. Wir verarbeiten also Informationen nicht neutral und mit kritischem Verstand, sondern in Abhängigkeit von Person und Kontext.

Im Experiment haben Wissenschaftler untersucht, wie das Gehirn reagiert, wenn Menschen Statements oder Aussagen von Politikern hören, denen sie vertrauen, deren Überzeugung sie also teilen, versus Aussagen von Politikern der gegnerischen Partei, die sie niemals wählen würden. Sie konnten zeigen: Bei Probanden, die im Kernspintomographen lagen und Originalaussagen von Politikern vorgespielt bekamen, denen sie vertrauten, sprang das Belohnungssystem an – selbst wenn es sich um objektiv erkennbare Falschaussagen handelte, die gesicherten Fakten widersprachen.

Demgegenüber wurden die Aussagen der gegnerischen Politiker viel kritischer überprüft. Hier sprangen Strukturen im Vorderlappen an, die mit dem Verstand zu tun haben. Das finde ich spannend, weil es zeigt, dass wir Menschen nicht alle gleichmäßig emotional neutral in ihrer Sachlichkeit beurteilen, sondern sehr in Abhängigkeit davon, wie sehr wir einen Menschen mögen, wie sehr ein Mensch zu einer Gruppe gehört, der wir folgen. Oder eben wie sehr ein Mensch unser subjektives Weltbild bestätigt – selbst wenn objektive Fakten dagegen sprechen.

Aufgezeichnet von Klara Fröhlich.

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