Frage an das Gehirn

Können Blinde im Traum sehen?

Fragesteller/in: Pia F. via Internet

Veröffentlicht: 01.08.2012

Die Träume der meisten Menschen sind bunt. Man sieht die Häuser, in denen man wohnt, die Menschen, mit denen man sich unterhält. Was aber ist mit Blinden? Gibt es auch Bilder in ihren Träumen?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Professor Michael Wiegand, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums München: Eine eindeutige Antwort gibt es darauf noch nicht. Man weiß, dass Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens erblinden, weiterhin in Bildern träumen, wenn auch seltener. Wer jedoch nie sehen konnte, träumt vor allem mit seinen übrigen Sinnen. Tasten, Schmecken, Riechen — alle diese Empfindungen sind bei von Geburt an Blinden überrepräsentiert, während sie in den Träumen Normalsichtiger meist nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bis vor kurzem ist man daher davon ausgegangen, dass diese Menschen keine visuellen Eindrücke im Traum haben.

Doch dann hat eine portugiesische Arbeitsgruppe von Geburt an blinde Kinder im Schlaflabor untersucht. Immer, wenn sie in der so genannten REM-​Phase waren, wurden sie geweckt. Denn während des REM-​Schlafs ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass man sich an das Geträumte erinnert. Die Wissenschaftler haben den Kindern Papier und Bleistift gegeben und sie gefragt, ob sie irgendetwas aus dem Traum aufmalen können. Tatsächlich waren einige Kinder in der Lage, etwas Gestalthaftes zu Papier zu bringen wie sehr einfache Strichmännchen, Formen, die wie Häuser aussahen, oder andere Gegenstände. Das war eine Sensation.

Ihr Gehirn kann offenbar aus den Informationen, die es vom Tasten und Hören, Riechen oder Schmecken bekommt, selbst einen visuellen Eindruck schaffen. Die dafür zuständigen visuellen Gehirnzentren sind bei ihnen meist noch intakt. Was den Blinden oft fehlt, ist die Leitung dorthin. Die Blinden wissen, wie sich ein Mensch anfühlt, wie groß und breit er ist. Auf diese Weise können sie eine Art Räumlichkeit erfahren. Diese Informationen aus der Gehirnregion für den Tastsinn, der somatosensorischen Hirnrinde, scheinen einige Menschen in eine Art visueller Empfindung umwandeln zu können. Dieser Eindruck gleicht dann ein wenig dem, was in der Realität zu sehen ist. Nur haben sie es nie wirklich gesehen. Tatsächlich hat man auf EEG-​Aufnahmen bei einigen Blinden eine erhöhte Aktivierung der visuellen Rinde im Gehirn festgestellt. Das alles sind jedoch nur Hinweise. Was genau während des Traums im Gehirn von Blinden abläuft, was sie wahrnehmen, das lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Zu wenige Studien haben sich bisher mit diesem Thema beschäftigt.

Aufgezeichnet von Nicole Simon

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