Frage an das Gehirn

Mag das Gehirn Langeweile?

Fragesteller/in: eine Grundschülerin aus Schorndorf

Veröffentlicht: 13.02.2022

Meine Mutter behauptet, Langeweile sei gut für das Gehirn. Stimmt das und warum ist das so?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Volker Busch, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Neurowissenschaftler sowie Buchautor und Speaker: Langeweile ist ein Zustand, den wir meist als unangenehm empfinden. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas richten möchten – aber kein Ziel finden. So kann man ihn psychologisch abgrenzen von depressiven Zuständen, in denen meist gar kein innerer Antrieb vorhanden ist, oder von der Muße, in der wir es genießen, unsere Aufmerksamkeit auf kein konkretes Ziel richten zu müssen.

Für die Hirnforschung ist der Zustand der Langeweile gar nicht leicht zu greifen. Will man über bildgebende Verfahren erfassen, was bei Langeweile im Gehirn geschieht, kann es leicht passieren, dass man eigentlich einen anderen Zustand untersucht. Schiebe ich einen Probanden mit dem subjektiven Gefühl der Langeweile in den Kernspintomographen, kann zum Beispiel plötzlich etwas seine Aufmerksamkeit fesseln, Erinnerungen, Stress oder Neugierde können ihn überkommen. Die wissenschaftlichen Befunde zur Langeweile sind daher oft widersprüchlich und angreifbar.

Als gesichrt gilt jedoch, dass in diesem Zustand das sogenannte „Default Mode Network“ (Ruhezustandsnetzwerk) aktiv wird. Es handelt sich dabei um ein verteiltes Netzwerk, das präfrontale und parietale Strukturen aufweist. Es wird immer dann aktiv, wenn wir uns ein Stück weit von der Welt entkoppeln und das Gehirn sich mit sich selbst beschäftigt. Das ist vor allem dann der Fall, wenn keine oder wenig Informationen von außen aufgenommen werden. Dann kommen wir innerlich ins Nachdenken, Erinnern und Planen. Es geht hier also um selbstreferentielles Denken. Dabei ist das Ruhezustandsnetzwerk nicht nur bei Langeweile aktiv, sondern auch wenn wir einfach spazieren gehen oder aus dem Zugfenster schauen.

Das Ruhezustandsnetzwerk ist sehr assoziativ, das Gehirn stellt viele Verknüpfungen und Bezüge her. Deswegen können aus Langeweile Ideen entstehen – Langeweile ist also ein durchaus sinnvoller Zustand. Dafür müssen wir sie aber erstmal zulassen. Ein gutes Beispiel sind Kinder, die aus der Langeweile heraus oftmals die besten Ideen für neue Spiele entwickeln und sich dann in sie vertiefen. Auch wir als Erwachsene werden in Zuständen von Langeweile oft kreativ. Sobald wir uns aber sofort ablenken und etwa zum Smartphone greifen, um diesen Zustand nicht „ertragen“ zu müssen, verstummt das Ruhezustandsnetzwerk und das assoziative Arbeiten rückt in den Hintergrund.

Langeweile fördert nicht nur kreative Ideen, sondern auch emotionale Kompetenz und Reife. Gerade für die Entwicklung junger Menschen ist es wichtig, für eigene Probleme Lösungen zu finden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aus psychiatrischer Sicht macht dauernde Ablenkung von persönlichen Themen den Menschen nicht reifer, emotional kompetenter und mündiger. Zustände des selbstreferentiellen Denkens, zu denen auch die Langeweile gehört, sind also auch aus psychologischer Sicht wichtig.

Ergänzend sollte man jedoch, dass nur die episodische Langeweile gut für uns ist. Wenn jemand dagegen über Wochen oder Monate ein Gefühl der Langeweile empfindet, sollte man sich das genauer anschauen. Dann kann eine chronische Unterforderung dahinterstecken, die langfristig auch depressiv stimmen kann. Auch bei der Langeweile ist die richtige Dosis entscheidend.

Protokoll: Natalie Steinmann

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

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