Frage an das Gehirn

Wie gefährlich ist Covid-19 für das Gehirn?

Fragesteller/in: AWJL

Veröffentlicht: 10.05.2020

Das neue Corona-Virus SARS-CoV2 verursacht Atemwegserkrankungen. Doch die Hinweise verdichten sich, dass das längst nicht alles ist. Welche Gefahr besteht für das Gehirn?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Julian Bösel, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Kassel und zukünftiger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI): Bei Covid-19-Patienten wurde mittlerweile eine ganze Reihe neurologischer Symptome und Schädigungen beschrieben. So häufen sich die Fallberichte zu Schlaganfällen, gerade auch bei Patienten jüngeren oder mittleren Alters, die keine entsprechenden Vorerkrankungen haben. Das erhöhte Schlaganfallrisiko bei Covid-19-Patienten lässt sich vermutlich auf Veränderungen der Blutgerinnung durch die Virus-Infektion zurückführen. Außerdem gibt es Berichte zu einem vermehrten Auftreten des Guillain-Barré- und des Miller-Fisher-Syndroms – entzündliche Erkrankungen der peripheren Nerven, die durch eine überschießende Immunreaktion im Zusammenhang mit der Infektion auftreten können.

Neben diesen indirekten Folgen für Gehirn und Nervensystem gibt es auch einige Hinweise für eine direkte Schädigung durch das Virus, wie dies auch schon für Infektionen mit den verwandten Viren SARS-CoV und MERS-CoV beschrieben wurde. Gemäß Fallberichten lässt sich das Virus im Nervensystem, in Nervenzellen des Gehirns sowie im Liquor, also der Gehirnflüssigkeit nachweisen. Ungeklärt ist bislang allerdings, wie das Virus beispielsweise die Blut-Hirn-Schranke passiert. Hierzu gibt es verschiedene Hypothesen.

Manche Patienten zeigen Symptome, die auf direkte oder indirekte Auswirkungen auf das Nervensystem hindeuten können. So zählt der vorübergehende Verlust des Geschmacks- und des Geruchssinns zu den häufigsten Symptomen einer Covid-19-Erkrankung. Darüber hinaus wurden im Zusammenhang mit der Viruserkrankung eine ganze Reihe weiterer neurologischer Symptome beschrieben, etwa starke Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, epileptische Anfälle, Verwirrtheit, Halluzinationen und Bewusstseinsstörungen.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass viele Berichte zu neurologischen Symptomen auf Einzelfällen beruhen und viele Arbeiten zum neuen Corona-Virus und Covid-19 derzeit ohne einen Peer-Review-Prozess mit der üblichen Gründlichkeit vorab veröffentlicht werden, so dass eine wichtige Qualitätskontrolle entfällt. Außerdem fehlt bislang eine systematische Erfassung der neurologischen Symptome. Daher werden sicherlich manche Befunde nochmals neu bewertet werden müssen.

Vor allem aber brauchen wir insgesamt viel mehr Daten zu neurologischen Symptomen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung. Wir selbst haben innerhalb der DGNI eine perspektivische Beobachtungsstudie namens PANDEMIC gestartet, um die neurologischen Aspekte der Viruserkrankung bei Patienten mit intensivstationären Verläufen besser einschätzen zu können. Davon erhoffen wir uns auch Erkenntnisse zu Therapieoptionen zu gewinnen. Denn es ist entscheidend zu wissen, wie man Covid-19-Patienten mit neurologischen Symptomen am besten behandeln kann – und welche Therapien in diesen Fällen möglicherweise eher schaden als nutzen.

Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

 

 

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.