Wer tanzt, bleibt jung

Grafik: MW
Author: Susanne Donner

Bewegung schützt das Gehirn in vielfältiger Weise – über Botenstoffe, Hormone sowie Gefäß- und Nervenzellwachstum. Sogar Herz und Leber senden bei sportlicher Betätigung eine gute Botschaft ans Oberstübchen.

Scientific support: Prof. Dr. Melanie Krüger

Published: 01.09.2021

Difficulty: easy

Das Wichtigste in Kürze
  • Wer sich bewegt, ist kognitiv leistungsfähiger und hat tendenziell mehr Hirnvolumen.
  • Unter Sport steigt der Spiegel des Botenstoffes BDNF an, der wie ein Dünger auf das Gehirn wirkt.
  • Der Abbau von Dopamin wird während des Trainings verzögert. Das ist positiv für Antrieb und das Lernen.
  • Wer joggt oder tanzt, plant nicht. Die Auszeit regeneriert den präfrontalen Cortex. Er ist danach leistungsfähiger.
  • Herz und Leber sondern bei sportlicher Aktivität hirnfördernde Substanzen ab.
  • Kognitiv anregender Sport ist abwechslungsreich, gesellig und macht Spaß.  
Wenn Sport dem Hirn schadet

Kontaktsportarten wie Fußball, Boxen und Eishockey können dem Gehirn langfristig schaden, wenn es wiederholt zu Schlägen auf den Kopf kommt. Die dabei auftretenden leichten Schädel-Hirntraumata begünstigen spätere neurodegenerative Erkrankungen. Ehemalige American Football-Spieler wiesen ab 50 Jahren in einer Erhebung beispielsweise 5-Mal häufiger leichte Gedächtnisprobleme auf, wenn sie sich an mehr als drei Gehirnerschütterungen erinnern konnten. 

Der Endokrinologe Fahrettin Kelestimur von der Yeditepe Universität in Istanbul beobachtet überdies, dass Boxer und Kickboxer manchmal unter einer Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse leiden. Sie sind dann abgeschlagen, können sich kaum konzentrieren und müssen Hormone einnehmen. 15 bis 47 Prozent der sportbedingten Schädel-Hirntraumata ziehen eine Schädigung der Hirnanhangsdrüse nach sich, urteilt Kelestimur.

Oft haben Forscher Mühe, Freiwillige für ihre Experimente zu gewinnen. Doch Senioren und Seniorinnen über 65 Jahren rannten Anita Hökelmann, Sportwissenschaftlerin an der Universität Magdeburg, regelrecht die Türen ein, als sie die Auswirkungen von Tanz und Ausdauertraining auf deren Gehirn untersuchen wollte. „Nach dem Sport wollten die gar nicht mehr nach Hause gehen. Sie protestierten: Jetzt macht es uns doch gerade so richtig Spaß!“, berichtet Hökelmann. Und so wurde aus der zunächst auf ein paar Wochen angelegten Studie ein Langzeitexperiment. Die 30 Senioren und Seniorinnen der ersten Stunde tanzen nach mehr als fünf Jahren immer noch.

Sport ist Hirntraining

Ansporn sind ihnen auch die Ergebnisse von Hökelmanns Team, die in mehreren Doktorarbeiten erschienen sind. Die Tänzer stehen kognitiv viel besser da als die Unsportlichen aus einer Vergleichsgruppe und sogar etwas besser als die Ausdauersportler. 

Die Arbeiten der Magdeburger Sportwissenschaftlerin stechen aus der Studienlandschaft zum Thema Sport fürs Gehirn heraus. Oft studieren Forscher den Effekt von Bewegung ganz pauschal – ohne die Art des Trainings und die Rahmenbedingungen zu erörtern. Das geht soweit, dass einige, darunter etwa der Hirnforscher Stefan Schneider vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Sporthochschule Köln, sagen: „Es spielt gar keine Rolle, welche Bewegung, Hauptsache, es macht Spaß.“ 

Klar ist: Sport wirkt auf ganz unterschiedliche Weisen positiv auf das Gehirn und die gesamte Gesundheit. Es ist gewissermaßen ein potentes Kombinationsmedikament. 

Mehr Köpfchen dank Bewegung

Bewegung erhöht langfristig den Spiegel des Botenstoffes BDNF (brain derived neurotrophic factor) im Blut von Jung und Alt. Hökelmann konnte das sowohl bei den Ausdauersportlern als auch bei Tänzern nachweisen. BDNF sorgt dafür, dass neue Nervenzellverbindungen geknüpft und bestehende Synapsen geschützt werden. Es beugt einem Abbau der Nervenzellen vor. Dieser Effekt ist schon in jungen Jahren wichtig: Nach einer Stunde moderaten bis intensiven Trainings klettert der BDNF-Spiegel bei Jugendlichen deutlich. Und Forscher der Universität Arizona wiesen im Gehirn junger Langstreckenläufer mehr Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen nach. Im Detail sind diese Zusammenhänge aber noch nicht verstanden. Beispielsweise gibt es keine Beweise dafür, dass die BDNF-Spiegel von Sportlern höher wären als bei Nicht-Sportlern. Dies scheint nur unmittelbar nach einer Belastung der Fall zu sein.

BDNF scheint wie ein Dünger für das Nervenzellwachstum. Das könnte auch der Grund sein, weshalb körperliche Fitness mit einem größeren Hirnvolumen einhergeht, wie eine Studie der Universität Greifswald ergab. Die positive Beziehung galt auch für wichtige Hirnareale: So war beispielsweise der Hippocampus bei den sportlichen Probanden tendenziell größer.

Außer BDNF scheint es noch weitere Mechanismen zu geben, wie Sport das Nervenwachstum anregen kann. So entdeckten Forscher um Magdalena Götz von der Ludwig-Maximillians-Universität München und Benedikt Grothe vom Helmholtz Zentrum München, dass bestimmte neurale Stammzellen offenbar das Schwappen der Flüssigkeit in einem zentralen Hohlraum (Ventrikel) unseres Gehirns erspüren können – und sich daraufhin vermehren. Durch Joggen und andere bewegungsintensive Sportarten könnte man demnach die Ventrikelflüssigkeit in Schwung bringen und dort ansässige vermehrungsfähige Nervenstellen stimulieren.

Bewegung ist ein Powernap für das Logikzentrum

„Sport hat jedoch auch einen unmittelbaren, oft missachteten Effekt auf die Kognition. Menschen können sich direkt nach dem Training besser konzentrieren und sind leistungsfähiger“, berichtet Schneider von seinen Studien. Dies läge daran, dass Bewegung eine Pause für den präfrontalen Cortex bedeute. Dieser Hirnteil, der an der Planung und beim logischen Denken eine wichtige Rolle spielt, erhält demnach eine Auszeit, die den Menschen dann wieder leistungsfähiger machen könnte.

Ulmer Forscher um Ralf Reinhardt brachten 2008 noch eine weitere These in Umlauf. Sie hatten knapp 80 Erwachsene entweder dreimal pro Woche ein Ausdauertraining praktizieren oder ihrem gewohnten Alltag nachgehen lassen. Nach siebzehn Wochen war das räumliche Vorstellungsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit der Sportlichen besser als bei den Inaktiven. Die Ulmer erklärten das mit einem verzögerten Abbau des Hormons Dopamin beim Bewegen. Dopamin ist gewissermaßen der Treibstoff des Lernens und für die Motivation. Bei zu niedrigen Dopaminspiegeln hängen wir durch, sind lust- und antriebslos. Dieser Zusammenhang würde auch die häufig gemachte Beobachtung erklären, dass intensiver Sport Menschen mit Phobien und Depressionen ähnlich guttut wie ein Medikament, denn bei beiden Erkrankungen mangelt es am Botenstoff Dopamin. 

Die gute Botschaft von Herz und Leber

Der kognitive Boost nach der Bewegung könnte aber auch von anderen Organen herrühren. Wenn Menschen Sport treiben, produziert der Herzmuskel vermehrt bestimmte Peptidhormone, so genannte natriuretische Peptide. Dabei handelt es sich um kleine Eiweißschnipsel mit Hormonwirkung. Ihr Gehalt kann sich infolge des Trainings verdrei- bis vervierfachen. Sie vermindern den Blutdruck und lindern Angstgefühle. Noch dazu regt Sport die Gefäßneubildung an, wodurch alle Körpergewebe, auch das Gehirn, besser durchblutet und mit Nährstoffen versorgt werden. 

Sogar die Leber spielt eine Rolle, wie Forscher um die Anatomin Alana Horowitz von der Universität California in San Francisco im Juli 2020 im Fachblatt Science darlegten. Sie ließen ältere Mäuse trainieren und übertrugen deren Blutplasma anschließend passiven Mäusen mit alterndem Gehirn. Mit der Blutspende konnten sie die positiven Effekte des Sports übertragen. In den Empfängermäusen wuchsen frische Nervenzellen und in Tests auf Merk- und Reaktionsfähigkeiten schnitten sie besser ab. Horowitz konnte das auf verschiedene Substanzen aus der Leber zurückführen, die das Organ im Zuge des Sportprogramms bildete.

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Potente Therapie gegen den geistigen Abbau

„Je genauer wir schauen, umso mehr Wirkmechanismen finden wir“, sagt Schneider. „Die letzte Veröffentlichung zu der Frage ist sicher noch nicht erschienen.“ 2017 etwa wies ein US-amerikanisches und brasilianisches Autorenteam in einer Übersichtsarbeit darauf hin, dass Sport die Art und Weise verändere, wie Gene im Hippocampus abgelesen werden. Der Effekt des Sports schreibt sich sozusagen ins Erbgut – als epigenetische Modifikationen, die mitbestimmen, welche Gene wie häufig abgelesen werden. Das vermag auch zu erklären, warum die positive Wirkung von Sport sogar über Generationen weitervererbt wird. War Oma sportlich, so wird das epigenetisch in die Keimzellen ihrer Kinder eingeschrieben.  

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist klar, dass regelmäßige Bewegung eine der wirksamsten Maßnahmen gegen den natürlichen altersbedingten Verlust der geistigen Wendigkeit ist, und außerdem mit einem geringen Risiko für Demenzerkrankungen einhergeht. 

Spaß, Geselligkeit und Bewegungsvielfalt

Sport bedeutet auch soziale Teilhabe – jedenfalls außerhalb von Lockdown-Phasen. Menschen begegnen sich, reden, gehen nach dem Training einen Kaffee trinken. „Der soziale Austausch ist genauso wichtig. Wenn Menschen vereinsamen, führt das regelrecht in die Neurodegeneration“, betont Schneider. Sein Credo ist demnach: „Macht Sport, gemeinsam, nicht alleine, und am liebsten das, was Freude macht. Wenn man sich zum Training quält, bringt es wenig und man hält es kaum lange durch.“

Es ist nicht egal, wie man sich bewegt, ergänzt Hökelmann dagegen. Für das Gehirn ist es besser, der Sport spricht möglichst viele Sinneskanäle an. Beim Tanz ist das die Musik, das aufeinander Rücksicht nehmen über visuelle Informationen und die Koordination von Kopf über Rumpf bis Fuß. „Wichtig ist auch, dass Bewegungen nicht nur automatisiert ausgeführt werden wie auf dem Fahrrad oder beim Schwimmen, sondern das immer neue Bewegungsmuster ausprobiert und erlernt werden“, führt die Sportwissenschaftlerin aus. Deshalb umfasste der Tanzunterricht Jazz Dance, Swing und andere Tanzstile in zunehmend schwierigeren Choreografien. Dieses Training war dem Ausdauertraining überlegen. Die weiße Substanz der Probanden legte in MRT-Aufnahmen deutlich stärker zu, ebenso der Botenstoff BDNF. Die Gedächtnis- und Lernfähigkeit der Tanzsportgruppe war besser verglichen mit den Ausdauersportlern. „Die Teilnehmer bemerken die Veränderungen sogar selbst“, erzählt Hökelmann. „Sie sagen uns, dass sie sich Dinge wieder besser merken können.“ Kein Wunder also, dass die Senioren im Magdeburger Experiment mit dem Tanzen gar nicht mehr aufhören wollten.

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