Ein Spaziergang fürs Gehirn

© Emma Simpson / Unsplash
Wer regelmäßig an der frischen Luft ist, tut seinem Gehirn und seinem Wohlbefinden etwas Gutes.

Studie zeigt, dass sich Zeit im Freien positiv auf unser Gehirn auswirkt

Source: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Published: 15.07.2021

Wer regelmäßig an der frischen Luft ist, tut seinem Gehirn und seinem Wohlbefinden etwas Gutes. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Die Längsschnittstudie ist in der Fachzeitschrift The World Journal of Biological Psychiatry erschienen.

Während der Corona-Pandemie wurden Spaziergänge zu einer beliebten und regelmäßigen Freizeitbeschäftigung. Dass sich diese Angewohnheit nicht nur gut auf unser allgemeines Wohlbefinden auswirkt, sondern auch auf unsere Gehirnstruktur, deutet eine neurowissenschaftliche Studie an. Sie zeigt, dass das menschliche Gehirn bereits von kurzen Aufenthalten im Freien profitiert. Bisher wurde angenommen, dass uns Umwelten nur über längere Zeiträume beeinflussen.

Die Forscher*innen untersuchten sechs gesunde, in der Stadt lebende Personen mittleren Alters über ein halbes Jahr lang regelmäßig. Insgesamt wurden über 280 Scans von ihren Gehirnen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) gemacht. Der Fokus der Untersuchung lag auf den letzten 24 Stunden, die die Teilnehmenden vor der Aufnahme im Freien verbrachten. Zusätzlich wurden sie nach ihrer Flüssigkeitsaufnahme, der Menge an koffeinhaltigen Getränken, dem zeitlichen Umfang ihrer Freizeit und körperlichen Aktivität befragt, um zu überprüfen, ob diese Faktoren den Zusammenhang zwischen Zeit im Freien und dem Gehirn verändern. Um saisonale Unterschiede einbeziehen zu können, wurde auch die Sonnenscheindauer in dem Studienzeitraum berücksichtigt.

Die Gehirnscans zeigen, dass die Zeit, die die Studienteilnehmenden im Freien verbrachten, in einem positiven Zusammenhang mit der grauen Substanz im rechten dorsolateral-präfrontalen Kortex stand. Beim dorsolateral-präfrontalen Kortex handelt es sich um den oben (dorsal) und seitlich (lateral) gelegenen Teil des Stirnlappens in der Großhirnrinde. Dieser Teil des Kortex ist an der Planung und Regulation von Handlungen und an der sogenannten kognitiven Kontrolle beteiligt. Zudem ist bekannt, dass viele psychiatrische Störungen mit einer Reduktion der grauen Substanz im präfrontalen Bereich des Gehirns einhergehen.

Die Ergebnisse blieben auch bestehen, wenn die anderen Faktoren, die den Zusammenhang zwischen der verbrachten Zeit im Freien und der Gehirnstruktur alternativ erklären könnten, konstant waren. Die Forscher*innen führten zur Überprüfung statistische Berechnungen durch, um den Einfluss von Sonnenscheindauer, Anzahl der Stunden an Freizeit, körperlicher Aktivität und Flüssigkeitsaufnahme auf die Ergebnisse zu überprüfen. Die Berechnungen belegten, dass Zeit im Freien unabhängig von den anderen Einflussfaktoren einen positiven Effekt auf das Gehirn hatte.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich unsere Gehirnstruktur und unsere Stimmung verbessern, wenn wir Zeit im Freien verbringen. Es ist anzunehmen, dass sich dies auch auf die Konzentration, das Arbeitsgedächtnis und die Psyche insgesamt auswirkt. Dies untersuchen wir in einer aktuell laufenden Studie, in der die Probanden zusätzlich Denkaufgaben lösen müssen und zahlreiche Sensoren tragen, die beispielsweise die Lichtmenge messen, der sie am Tag ausgesetzt sind“, sagt Simone Kühn, Leiterin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Erstautorin der Studie.

Die Ergebnisse belegen demnach die bereits angenommenen positiven Effekte des Spazierengehens auf die Gesundheit und erweitern sie um die konkreten positiven Auswirkungen aufs Gehirn. Da die meisten psychiatrischen Erkrankungen mit Defiziten im präfrontalen Kortex in Verbindung gebracht werden, ist dies von großer Bedeutung für den Bereich der Psychiatrie.

„Diese Erkenntnisse bieten neurowissenschaftliche Unterstützung für die Behandlung von psychischen Störungen. So könnten Ärztinnen und Ärzte einen Aufenthalt an der frischen Luft als Teil der Therapie verschreiben, ähnlich wie es bei Kuren üblich ist“, sagt Anna Mascherek, Postdoc in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Co-Autorin der Studie.

In den aktuell laufenden weiterführenden Studien möchten die Forscher*innen zudem untersuchen, wie sich grüne Umgebungen im direkten Vergleich zu städtischen Räumen auf das Gehirn auswirken. Um nachvollziehen zu können, wo genau die Studienteilnehmenden ihre Zeit draußen verbringen, wollen die Forscher*innen GPS-Daten (Global Positioning System beziehungsweise Globales Positionsbestimmungssystem) nutzen und weitere Einflussfaktoren, wie Verkehrslärm oder Luftverschmutzung miteinbeziehen.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Graue Substanz

Graue Substanz/-/gray matter

Als graue Substanz wird eine Ansammlung von Nervenzellkörpern bezeichnet, wie sie in Kerngebieten oder im Cortex (Großhirnrinde) vorkommt.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

dorsal

dorsal/-/dorsal

Die Lagebezeichnung dorsal bedeutet „zum Rücken hin“ gelegen. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung senkrecht zur neuralen Achse, also nach oben zum Kopf oder nach hinten.
Bei Tieren ohne aufrechten Gang ist die Bezeichnung einfacher, dort bedeutet sie immer zum Rücken hin. Durch den aufrechten Gang des Menschen knickt das Gehirn im Bezug auf das Rückenmark ab, wodurch dorsal zu „oben“ wird.

lateral

lateral/-/lateral

Eine Lagebezeichnung – lateral bedeutet „zur Seite hin“ gelegen. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung im rechten Winkel zur neuralen Achse, also nach rechts oder links.

Frontallappen

Frontallappen/Lobus frontalis/frontal lobe

Der frontale Cortex ist der größte der vier Lappen der Großhirnrinde und entsprechend umfassend sind seine Funktionen. Der vordere Bereich, der so genannte präfrontale Cortex, ist für komplexe Handlungsplanung (so genannte Exekutivfunktionen) verantwortlich, die auch unsere Persönlichkeit prägt. Seine Entwicklung (Myelinisierung) braucht bis zu 30 Jahren und ist selbst dann noch nicht ganz abgeschlossen. Weitere wichtige Bestandteile des frontalen Cortex sind das Broca-​Areal, welches unser sprachliches Ausdrucksvermögen steuert, sowie der primäre Motorcortex, der Bewegungsimpulse in den gesamten Körper aussendet.

Arbeitsgedächtnis

Arbeitsgedächtnis/-/working memory

Eine Form des Kurzzeitgedächtnisses. Es beinhaltet gerade aufgenommene Informationen und die Gedanken darüber, also Gedächtnisinhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht werden. Das Konzept beinhaltet nach Alan Baddeley eine zentrale Exekutive, eine phonologische Schleife und ein visuell-​räumliches Notizbuch.

Originalpublikation

Kühn, S., Mascherek, A., Filevich, E., Lisofsky, N., Becker, M., Butler, O., Lochstet, M., Mårtensson, J., Wenger, E., Lindenberger, U., & Gallinat, J. (2021). Spend time outdoors for your brain: An in-depth longitudinal MRI study. The World Journal of Biological Psychiatry. Advance online publication. https://doi.org/10.1080/15622975.2021.1938670

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