René Descartes – Vater der Leib-Seele-Theorie

René Descartes
René Descartes
Author: Susanne Donner

Der französische Philosoph René Descartes glaubte, dass das Gehirn als oberste Instanz den Körper steuert. Er vertrat die Theorie von Leib und Seele als getrennten Einheiten. Und prägte so, wie wir bis heute über Geist und Körper denken.

Scientific support: Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart

Published: 02.05.2016

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze
  • René Descartes erkennt, dass der menschliche Körper vom Gehirn gesteuert wird.
  • Den Körper stellt er sich als mechanisch funktionierende Maschine vor.
  • Er teilt den Menschen in Leib und Seele ein und glaubt, dass beide über die Zirbeldrüse im Gehirn miteinander wechselwirken.
  • Bewegungen kämen dadurch zustande, dass der gasförmige Lebensgeist durch die Nerven zu den Muskeln gepumpt wird und diese kontrahieren lässt.
  • Gefühle, willentliche Handlungen und bewusste Wahrnehmungen sind jedoch nur möglich, weil es im Gehirn das Seelenorgan, die Zirbeldrüse, gibt.

Eines kann man mit Bestimmtheit sagen: Anecken wollte der französische Philosoph René Descartes mit seiner Theorie vom Menschen nicht. Und doch fielen seine Denkanstöße so sehr aus der Zeit, dass sie die Philosophie, die Mathematik wie auch die Naturwissenschaften über seinen Tod hinaus prägten.

Descartes gilt als Begründer des Rationalismus und auch als geistiger Vater der Zweiteilung von Körper und Seele in getrennte Entitäten, die jedoch miteinander wechselwirken. Ein Bild, das bis heute im Sprachgebrauch und im Denken vieler Menschen fortbesteht, etwa wenn Ärzte nach psychischen und physischen Beschwerden untergliedern und den wechselseitigen Einfluss als „psychosomatisch“ bezeichnen. Aber auch geläufigen Redewendungen wohnt das dualistische Verständnis inne: Wir reden uns beispielsweise etwas von der Seele oder es lastet uns etwas auf der Seele, ohne dass es dafür eine körperliche Entsprechung gäbe.

Der Sohn eines Gerichtsrates, der 1596 in Frankreich geboren wurde und 1650 in Stockholm starb, lebte zu Beginn der Neuzeit – und somit in einer Epoche, in der die Menschen stark religiös verhaftet und die Naturwissenschaften noch wenig ausdifferenziert waren. So mancher gelehrte Zeitgenosse musste diese Konstellation bitter büßen. Etwa Galileo Galilei, der wegen seiner Schriften in einem Inquisitionsprozess zum Tode verurteilt wurde. Mithilfe eines verbesserten Fernrohrs hatte der Astronom Beweise geliefert, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, wie die katholische Kirche zu jener Zeit behauptete.

Das Urteil dürfte Descartes gehörig schockiert haben: Die Schriften Galileis, der auch die Bewegungsgesetze der Physik begründete, und somit auch dessen mechanistisches Weltbild waren Descartes bekannt, wie in Briefen dokumentiert ist, und regte ihn dem britischen Philosophen Gilbert Ryle zufolge dazu an, ähnliche Mechanismen auch beim Menschen zu vermuten. Descartes veröffentlichte eines seiner zentralen Werke, „Abhandlung über den Menschen“, zeitlebens nicht – aus Angst, dem Klerus zu missfallen. So zumindest deutet es Jack Rochford Vrooman in seiner Descartes-​Biografie. Die Abhandlung wurde erst posthum gedruckt.

Brunnen oder Orgel?

Schon vor Descartes betrachtete man den Körper als Sitz der unsterblichen Seele. Aber man maß ihm kaum Bedeutung bei und schon gar nicht wähnte man beide in Interaktion miteinander. Der Körper galt als bloße Hülle und wurde deshalb lange Zeit kaum ausgiebiger untersucht oder obduziert. Ab dem 12. Jahrhundert behinderte die Kirche blutige Operationen und Autopsien an den Hochschulen. Nichtsdestotrotz setzten sich einzelne Wissenschaftler immer wieder über diese Richtlinie hinweg. Schließlich führte der Anatom Andreas Vesalius sogar öffentliche Obduktionen durch. Das Gehirn aber stellten sich viele Gelehrte im Einklang mit der Vorstellung der christlichen Kirche und ausgehend von Galen als eine Art Römischen Brunnen vor, als ein Kanalsystem, das aus einer Zisterne mit dem luftigen Lebensgeist gespeist wird, schildert der Neurobiologe Robert-​Benjamin Illing vom Universitätsklinikum Freiburg. Dies war eine der ersten bedeutsamen, aber nicht die einzige Metapher für die Funktionsweise des Gehirns. „Descartes hat diese Vorstellung des Römischen Brunnens erst einmal sehr wortreich dargestellt, um sie dann zu zerpflücken“, sagt Illing einem Interview mit Deutschlandradio Kultur.

Denn er zweifelt bald an dieser Vorstellung. Wie soll ein träger Brunnen die blitzschnelle Wahrnehmung erklären: das Hören, Sehen und Tasten in Bruchteilen von Sekunden? Und wie das Tempo menschlicher Bewegungen? Descartes sieht den menschlichen Körper vielmehr als Maschine, die vom Gehirn koordiniert wird. Diese Welt des Körperlichen, die er „res extensa“ nennt, bestehe aus kleinsten Teilchen und habe eine definierte Ausdehnung. Sie könne kein Denken hervorbringen, nur Aktion und Reaktion.

Auch das Gehirn erscheint ihm als mechanisches Gerät. Er beschreibt es wie eine Orgel: So wie die Luft durch das Musikinstrument geführt wird, gelangt der luftige Lebensgeist vom Gehirn über die Nerven in den Körper – ähnlich einem zarten Wind, angetrieben von Herz und Arterien. Nur so seien vielfältige und differenzierte Wahrnehmungen und körperliche Reaktionen gleichsam den unterschiedlichen Tönen des Instrumentes möglich. Im Unterschied zum Brunnen mit seinen Vorratsgefäßen, die sich erst langsam füllen, könne die Orgel deutlich schneller reagieren.

Die Nerven stellt sich Descartes als hohl und mit Ventilen versehen vor. In Armen und Beinen des Körpers verschmelzen sie dann mit den Muskeln. Der gasförmige Lebensgeist lässt so die Muskeln hart werden und pumpt gewissermaßen die Gliedmaßen auf. Weil jede Regung seiner Theorie zufolge also auf eine Bewegung von Gas, nämlich des Lebensgeistes, zurückgeht, nannten Zeitgenossen Descartes und seine Anhänger mit einer gewissen Prise Ironie auch „Balonisten“.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

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Ein Seelenorgan im Kopf

In diesem mechanischen Menschenbild hatte für Descartes aber auch die Seele als eine Art Gegenpart Platz. Sie, die Welt des Gedanklichen, „res cogitans“, habe keine umrissenen Grenzen im Raum und sei immateriell. Aber sie sorge für Gefühle, bewusste Wahrnehmungen, Nachdenken und willentliche Handlungen. Und natürlich galt sie ihm, dem Gottesfürchtigen, als unsterblich. Jedoch glaubte er, nur Menschen würden über sie verfügen. Tiere sah der Philosoph als reine Maschinen an.

Anders als seine Vorgänger glaubte Descartes an eine Interaktion zwischen Leib und Seele und vermutete den Ort dieser Wechselwirkung im Gehirn, in der so genannten Zirbeldrüse. Diese hatten schon Gelehrte vor ihm beschrieben, etwa der griechische Anatom Galen, der die zapfenförmige Zirbeldrüse korrekt im Zwischenhirn verortete. Er hielt sie allerdings für ein Ventil, das den Gedankenstrom der Seitenventrikel koordiniere. Sich auf diese Vorarbeiten stützend vermutete auch Descartes die Zirbeldrüse unter dem Gehirn etwa in der Mitte des Kopfes, ohne sie jedoch je gesehen zu haben. Denn er sezierte nur hin und wieder Tierköpfe, die in seinem Verständnis als seelenlose Wesen keine Zirbeldrüse benötigten. Tatsächlich weiß man inzwischen, dass er falsch lag: Auch Tiere besitzen das Organ. „Mit der Idee von der Zirbeldrüse hat Descartes ein Paradigma geschaffen, nämlich, dass das Seelenorgan ein Teil des Gehirns ist“, urteilt der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner von der ETH Zürich.

Diencephalon

Zwischenhirn/Diencephalon/diencephalon

Zum Diencephalon (Zwischenhirn) gehören unter anderem der Thalamus und der Hypothalamus. Gemeinsam mit dem Großhirn bildet es das Vorderhirn. Im Diencephalon finden sich Zentren für Sensorik, Emotion und zur Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Hunger und Durst.

Was von Descartes geblieben ist

Heute gilt die Zweiteilung von Leib und Seele in der Hirnforschung als überholt. Auch ein Interaktionszentrum im Gehirn konnte nie entdeckt werden. Die balonistische Theorie ist seit langem durch das Verständnis von der Nervenreizleitung über elektrische Erregung abgelöst.

Schon zu Lebzeiten Descartes machte sein Zeitgenosse Giovanni Borelli im Übrigen ein Experiment, das heute als unethisch gelten würde, aber die Idee vom luftigen Lebensgeist in Frage stellte. Er hielt ein Tier unter Wasser, wobei dieses sich mit heftigem Gezappel gegen das Ertrinken wehrte. Um zu prüfen, ob die Aktivierung der Muskeln durch eine luftige Substanz erfolgt sei, sezierte Borelli das Tier unter Wasser. Es stiegen keine Gasblasen auf. Borelli schloss daraus, scheinbar naheliegend, aber ebenso falsch, dass der Lebensgeist eher flüssig sei. Auch ein anderer Aspekt des Descartschen Verständnisses des Geistes gilt heute als veraltet: Er hielt jedes Denken für einen bewussten Vorgang. Neurologen wissen aber inzwischen, dass die allermeisten Gedankengänge uns selbst verborgen bleiben.

Und trotzdem: Noch immer wird das Gehirn in weiten Teilen als oberster Regent des Körpers angesehen, genau wie bei Descartes – wenn auch autonome Reaktionen des peripheren Nervensystems, wie sie etwa beim Musizieren oder Tanz zu beobachten sind, mehr und mehr Beachtung erfahren. Über 150 Jahre hatte das Konzept des Dualismus von Leib und Seele und einer Schnittstelle im Gehirn Bestand. Auch ermöglichte es die wissenschaftliche Untersuchung des Körpers, stellte aber den göttlichen Ursprung der Seele nicht in Abrede.

Descartes war das wichtig. Deshalb wäre es für den französischen Philosophen wohl besonders niederschmetternd gewesen, hätte er erfahren, dass sich die Kirche nach seinem Tod gegen ihn wandte: 1663 – ein Jahr nach der posthumen Veröffentlichung seines Werkes „Abhandlung über den Menschen“ setzte der Vatikan Descartes Schriften auf den Index der verbotenen Bücher. Die Kirchenvertreter fanden seine Denkanstöße zu revolutionär. Er regte zu stetem Zweifel an: „Ich denke, also bin ich“, so definierte er den Menschen. Dieses ständige Hinterfragen kann man so verstehen, dass es der Idee des Glaubens entgegensteht. Die Vertreter der katholischen Kirche stießen sich jedoch dem Philosophen Hans-​Peter Schütt vom Karlsruher Institut für Technologie zufolge auch daran, dass Descartes Philosophie zufolge das Brot und der Leib Christi der Welt des Körperlichen angehörten, was der biblischen Wandlung des Brotes in den Leib Christi widersprach.

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