Keine Angst mehr vor der Angst – Ein Leitfaden für Angehörige

Angst ist eine sehr nützliche, normale Emotion. Allerdings kann sie für Menschen manchmal zu einem Problem werden. Was können Sie tun, wenn ein Familienmitglied an einer Angsterkrankung leidet? Eine Menge!

Scientific support: Prof. Dr. Matthias J. Wieser

Published: 01.11.2016

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze
  • Angst ist eine wichtige Emotion in unserem Leben, kann allerdings in manchen Fälle zu einem Problem werden.
  • Angst ist grundsätzlich etwas Positives, sie kann allerdings bei manchen Menschen zu einem Problem werden. In diesem Falle kann eine Angsterkrankung vorliegen.
  • Klassischerweise werden Panikstörungen (mit oder ohne Agoraphobie), soziale Phobien, generalisierte Angststörungen sowie spezifische Phobien zu den Angsterkrankungen gezählt. Während sich alle auf unterschiedliche Weise äußern, ist ihnen allen gemein, dass sie zu einer großen Einschränkung der Lebensqualität führen und sowohl für Betroffene als auch für Angehörige extrem belastend sein können.
  • Betroffene schämen sich oft für ihre Erkrankung und zögern nicht selten über Jahre, bevor sie sich professionelle Hilfe suchen. Daher ist es wichtig, dass sie von Angehörigen und Freunden die notwendige Unterstützung erhalten. Oft kann ein Gespräch mit einem Hausarzt oder Psychotherapeuten erste Erleichterung verschaffen.
  • Angsterkrankungen lassen sich sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch effektiv behandeln. Wichtig ist dabei, sich auf die Therapie einzulassen und keine sofortigen Wunder zu erwarten.
  • Angsterkrankungen sind oft sowohl für Betroffene als auch für Angehörige mit großer psychosozialer Belastung verbunden. Achten Sie bei aller Fürsorge für Ihren Angehörigen auch auf sich selbst und suchen Sie sich gegebenenfalls Hilfe von einem Experten.
  • Stellen Sie Ihr Leben aufgrund der Erkrankungen Ihres Angehörigen nicht ein. Seien Sie weiterhin aktiv, treffen Sie sich mit Freunden und gehen Sie Ihren Hobbys nach. Was Ihnen guttut, tut auch Ihrem Angehörigen gut.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Frau G. arbeitet in einem mittelständischen Betrieb, wo sie die Verantwortung für ca. 30 Mitarbeiter trägt. Ihre Arbeit ist oft von Hektik und Stress geprägt, zum Mittagessen kommt sie nur selten. Bei der Arbeit stand sie immer unter Strom und auch das Abschalten zu Hause fiel ihr immer schwerer. Das fiel letztendlich auch ihrer Familie auf. Eines Tages bemerkte Frau G., dass ihr Herz sehr schnell schlug, dass sie zitterte und ihr übel war. Am Anfang passierten diese Anfälle nur alle paar Wochen und hörten nach 10 bis 15 Minuten wieder auf. Dann begannen sie aber, sich zu häufen; beinahe täglich erlebte Frau G. panikartige Angstzustände, die so stark waren, dass ihr oft schwarz vor Augen wurde. Das Haus konnte sie nur noch mit großem Unbehagen verlassen, und an Arbeiten war gar nicht mehr zu denken.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Wenn die Angst zum Problem wird

Angst spielt in unserem Leben eine zentrale Rolle und ist eine Emotion, die jedem Menschen gut bekannt ist. Angst hilft uns dabei, Gefahren zu vermeiden und uns möglichst sicher durch unser Leben zu bewegen. Dies ist gesunde, positive Angst. Allerdings kann es bei manchen Menschen zu einer derart übersteigerten Angst kommen, dass die Lebensqualität und das tägliche “Funktionieren” schwer beeinträchtigt sind. Der fiktive Fall von Frau G. macht deutlich, wie gravierend dies teilweise verlaufen kann. Hier ist es sinnvoll, sich professionellen Rat einzuholen, denn es kann eine Angsterkrankung vorliegen.

Oft geht diese Hand in Hand mit anderen psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen oder Suchterkrankungen, und wird von Betroffenen aus Scham oft jahrelang verheimlicht. Werden sie nicht frühzeitig behandelt, verlaufen Angsterkrankungen nicht selten chronisch. Das heißt, sie dauern lange an und sind nur schwer zu behandeln. Eine Folge ist, dass angstauslösende Orte und Situationen oft gemieden werden, und die Betroffenen sich immer stärker aus dem Alltagsleben zurückziehen.

Oft können Angehörige und Freunde nicht verstehen, “was das Problem ist”. Das verstärkt häufig die Symptome und führt zu weiteren Spannungen und Konflikten. Daher ist es wichtig, dass Sie sich über das Wesen der Krankheit informieren.

Depression

Depression/-/depression

Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.

Wie kann man eine Angsterkrankung erkennen?

Klassischerweise werden Panikstörungen (mit oder ohne Platzangst), soziale Phobien, generalisierte Angststörungen sowie spezifische Phobien zu den Angsterkrankungen gezählt. Bei der Panikstörung kommt es zu unerwarteten panikartigen Anfällen, die zum Beispiel mit Atemnot, Herzklopfen oder Benommenheit einhergehen können, was oft und verständlicherweise das Vermeiden bestimmter Situationen / Orte zur Folge hat (Agoraphobie). Soziale Phobien sind durch starke Angst vor öffentlichen und zwischenmenschlichen Situationen charakterisiert, weswegen diese vermieden oder nur unter größten Anstrengungen ausgehalten werden können. Während generalisierte Angststörungen in der Regel Sorgen über viele verschiedene Dinge beinhalten, kommt es bei spezifischen Phobien zu starker Angst vor bestimmten Situationen / Objekten, wie zum Beispiel Tieren oder Höhen.

Wie kommt es zu Angsterkrankungen?

Angsterkrankungen sind oft das Ergebnis von negativen Erfahrungen, die sich verselbstständigt haben. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass Sie Bus fahren und plötzlich starkes Herzklopfen, Zittern und Übelkeit erleben. In Ihrem Kopf interpretieren Sie dies als Zeichen eines nahenden Herzinfarktes und steigen so schnell wie möglich aus dem Bus aus. Jetzt geht es Ihnen besser und Sie beruhigen sich, allerdings steigt nun in der Folge Ihre Angst vor einer weiteren Busfahrt, so dass Sie diese vermeiden. Somit findet kein Umlernen statt, was im Endeffekt dazu führt, dass Ihre Angst vor einem Verlassen des Hauses sich chronifiziert – und eine Angsterkrankung entsteht.

Welche Behandlungen gibt es?

Angststörungen lassen sich sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch behandeln. Welche Therapie am besten passt, entscheidet ein Experte unter Berücksichtigung von körperlichen Faktoren, anderen Medikamenten oder persönlicher Präferenz. Für Sie als naher Angehöriger ist es ratsam, dass Sie zumindest am Anfang der Therapie involviert sind – dies kann ein Gefühl des Miteinander aufbauen und den Patienten emotional entlasten.

Neben Medikamenten hat sich in der Vergangenheit insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie stellt das Erkennen von angstkonservierenden bzw. angstauslösenden Gedanken dar. Auf diese Weise wird zusammen mit dem Patienten ein grundlegendes Verständnis der Erkrankung erarbeitet. Im Weiteren wird der Patient sukzessive mit den angstauslösenden Reizen konfrontiert und angeleitet, sich seiner Angst zu stellen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Was können Sie für Ihren Angehörigen tun?

Wenn Sie die Vermutung haben, dass jemand in Ihrer Familie an einer Angsterkrankung leidet, sollten Sie Ihren Angehörigen ermutigen, zu einem Arzt zu gehen. Oft schämen sich Menschen für ihre Ängste aus Gründen, die von Hilflosigkeit bis Selbstablehnung reichen, und haben entsprechend Probleme, sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen. Dabei ist dies das größte Hindernis für eine Heilung! Seien Sie in Gesprächen in jedem Fall verständnisvoll und haben Sie ein offenes Ohr für Befürchtungen oder Bedenken. Zeigen Sie Verständnis für die Ängste Ihres Angehörigen, aber betonen Sie auch, dass die Erkrankung Sie und andere ebenfalls belastet. Geteiltes Leid kann in diesem Fall wirklich halbes Leid sein.

Vermitteln Sie Ihrem Angehörigen, dass eine Angsterkrankung oft nicht allein durch ein Zusammenbeißen der Zähne in den Griff zu bekommen ist. Machen Sie deutlich, dass Angsterkrankungen sich sehr gut behandeln lassen. Informieren Sie sich über das Krankheitsbild und sprechen Sie zusammen mit Ihrem Angehörigen offen über die Krankheit. Oft kann das beiden Seiten helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen, und das Verhalten des jeweils anderen verständlich machen.

Überlassen Sie Ihrem Angehörigen die Entscheidung, ob und wann er Ihre Hilfe in Anspruch nehmen möchte, und respektieren Sie seine Autonomie. Verzichten Sie in jedem Fall auf altkluge Ratschläge oder eine übertriebene Einmischung in das Leben Ihres Angehörigen. Dies kann oft als Bevormundung aufgefasst werden und Ihren Angehörigen verletzen sowie Vertrauen zerstören. Unterstützen Sie ihn stattdessen mit Rat und Tat, wo er es möchte!

Ohr

Ohr/Auris/ear

Das Ohr ist nicht nur das Organ des Hörens, sondern auch des Gleichgewichts. Unterschieden werden das äußere Ohr mit Ohrmuschel und äußerem Gehörgang, das Mittelohr mit Trommelfell und den Gehörknöchelchen sowie das eigentliche Hör– und Gleichgewichtsorgan, das Innenohr mit der Gehörschnecke (Cochlea) und den Bogengängen.

Vergessen Sie nicht, dass Sie Angehöriger sind, nicht Therapeut.

Unternehmen Sie mit Ihrem Angehörigen Ausflüge oder tun Sie gemeinsam Dinge, die ihm Spaß machen und die er selbst meistern kann. Dies kann verloren gegangenes Selbstvertrauen wiederherstellen und Ihren Angehörigen zu weiteren Aktivitäten ermutigen. Gehen Sie auf Ängste und Befürchtungen ein, aber nehmen Sie ihm nicht alle angstauslösenden Tätigkeiten ab. Das kann Angsterkrankungen und erlebte Hilflosigkeit oft nur noch weiter verstärken. Diskutieren Sie mit Ihrem Angehörigen auch, wie Sie sich verhalten sollen, wenn es zu einer Angstattacke kommt. Das kann dabei helfen, Konflikte und Enttäuschungen im Voraus zu vermeiden. Wenn Ihr Angehöriger in Ihrer Gegenwart eine Angstattacke erlebt, ermutigen Sie ihn aber in jedem Fall, die Angst zu ertragen und sich nicht abzulenken oder die Situation zu verlassen. Machen Sie dabei deutlich, dass Sie dies nicht aus Gleichgültigkeit oder Boshaftigkeit tun, sondern um ihn dabei zu unterstützen, den Teufelskreis der Angst zu vermeiden.

Was können Sie für sich tun?

Angsterkrankungen sind nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Angehörigen und Familien oft eine extreme Belastung. Achten Sie deswegen auch auf Ihre eigene körperliche wie mentale Gesundheit (und die Ihrer eigenen Angehörigen) und nehmen Sie gegebenenfalls selbst Hilfe in Anspruch. Wenn Sie merken, dass Sie nicht mehr schlafen oder essen können oder spüren, dass Sie permanent angespannt sind, wird es Zeit, sich an einen Psychotherapeuten oder Arzt zu wenden.

Zudem gibt es deutschlandweit Selbsthilfegruppen für Angehörige von Patienten mit Angsterkrankungen, wo Menschen ihre Erfahrung austauschen und sich gegenseitig unterstützen können. Wenn es im Zuge der Erkrankung zu Konflikten in der Beziehung kommt, kann auch eine Paar- oder Familientherapie ratsam sein.

Vernachlässigen Sie Ihre eigenen Hobbys nicht und tun Sie auch weiterhin Dinge, die Ihnen Freude bereiten. Gönnen Sie sich selber auch nötige Auszeiten. Treffen Sie Freunde, gehen Sie ins Kino, treiben Sie Sport – was Ihnen guttut, tut Ihrem Angehörigen ebenfalls gut.

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