Question to the brain

Warum wächst der Sehnerv beim Goldfisch nach, bei uns nicht?

Questioner: Ingo H. aus Dortmund via Mail

Published: 19.01.2015

Ich habe gelesen, dass beim Goldfisch der Sehnerv nachwachsen kann. Warum klappt das beim Goldfisch, aber nicht beim Menschen?

The editor's reply is:

Antwort von Prof. Claudia Stürmer, Universität Konstanz:

Diese Frage beschäftigt mich im Grund genommen schon seit 1975 – seit meiner Diplomarbeit. Damals durchtrennte ich zusammen mit Kollegen beim Goldfisch Sehnerven, um zu untersuchen wie die Axone, die Nervenzellfortsätze, wieder wachsen und den richtigen Nervenzellverbund im Sehzentrum des Gehirns finden. Gleichzeitig stellte sich aber auch die Frage: Warum wachsen die Axone überhaupt? Und warum bei Säugetieren wie dem Menschen nicht? Dafür hat man seither verschiedene zellbiologische Ursachen gefunden, und wir entdecken auch heute noch immer mehr Details. Zwar forscht man mittlerweile vorwiegend mit Zebrafischen, aber das Prinzip ist das gleiche wie beim Goldfisch.

Einen der ersten entscheidenden Hinweise fanden Kollegen in den Nervenzellen der Netzhaut. Sie sind die Ursprungszellen, von denen aus sich die Axone des Sehnervs ins Gehirn erstrecken. Durchtrennt man den Sehnerv, vergrößern sich diese Zellen beim Fisch und kurbeln die Produktion von speziellen Proteinen an, die sie für das Wachstum der Axone benötigen.

Bei Säugetieren passiert das nicht oder nur in sehr geringem Umfang. Bei diesen wird das Axonwachstum sogar noch zusätzlich unterdrückt. Die Gliazellen, die das Nervengewebe umgeben, schütten hemmende Substanzen aus. Einen Hemmstoff, dem eine besonders wichtige Rolle zukommt, hat Martin Schwab von der Universität und der ETH Zürich, Nogo getauft. Blockiert man Nogo mit Hilfe von Antikörpern, findet auch bei Säugern in geringem Umfang Axonwachstum statt.

Auch der Fisch besitzt Gliazellen, die sogar ein Protein herstellen, das mit Nogo eng verwandt ist. Nach allem was wir bisher wissen, wirkt es aber nicht hemmend. Das ergeben auch Tests, bei denen man in der Zellkulturschale Nervenzellen von Ratten mit Gliazellen aus dem Fisch zusammenbringt. Mit meinem Kollegen Mathias Bähr von der Universität Göttingen zeigten wir, dass es unter diesen Bedingungen zum Wachstum von Axonen kommt. Umgekehrt regenerieren Goldfisch-​Axone nicht, wenn sie von Ratten-​Gliazellen umgeben sind, die das hemmende Protein produzieren.

Mittlerweile haben wir auch einige Moleküle näher untersucht, die beim Fisch nach einer Verletzung der Axone hochreguliert werden. Eine entscheidende Rolle spielen zwei Eiweißmoleküle. Diese beiden Proteine werden bei erwachsenen Säugetieren nur von wenigen Neuronen produziert. In unseren Experimenten zeigte sich: Blockiert man die Herstellung dieser Proteine beim Fisch, unterdrückt man damit auch die Regenerationsfähigkeit des Sehnervs. Gemeinsam mit Mathias Bähr wiesen wir auch den umgekehrten Effekt nach: Dreht man beim Säuger die Gene für die beiden Proteine mit Hilfe eines molekularbiologischen Tricks hoch, kommt es zu einer leichten Steigerung der Axon-​Regeneration.

Offensichtlich, ging die Regenerationsfähigkeit des Sehnervs bei Säugetieren im Laufe der Evolution verloren. Warum – darüber kann man nur spekulieren. Martin Schwab vermutet, dass die immer größer werdende Komplexität des Gehirns mehr Stabilität der Nervennetzwerke forderte. Dafür wurden die hohe Plastizität und Regenerationsfähigkeit geopfert.

Antwort aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

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Website Claudia Stürmer, Universität Konstanz

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