Demenz und Schlaganfall: Wider den Funktionsverlust von kleinen Hirngefäßen
Eine neue Studie identifiziert molekulare Faktoren, die Kleingefäßerkrankungen begünstigen – und einen Wirkstoff, der gestörte Gefäßfunktionen wiederherstellen kann.
Published: 15.12.2025
Forschende des LMU Klinikums haben aufgeklärt, wie Erkrankungen kleiner Blutgefäße im Gehirn entstehen. Die sogenannte zerebrale Kleingefäßerkrankung kann zu weit verbreiteten Folgen führen wie Durchblutungsstörungen, Blutungen und oft schweren Schlaganfällen und gilt als eine der Hauptursachen für eine Demenz. Die Ergebnisse der Wissenschaftler wurden jetzt im Fachblatt Nature Neuroscience veröffentlicht.
Angesichts der Häufigkeit dieses ernsten und lebensgefährlichen Leidens - Schlaganfälle zum Beispiel sind die häufigste Ursache für langfristige Behinderungen und die zweithäufigste Todesursache - ist es erstaunlich, „dass die Medizin bisher vergleichsweise wenig über die zellulären und molekularen Mechanismen bei der Entstehung der zerebralen Kleingefäßerkrankung wusste“, sagt LMU-Professor Martin Dichgans vom Lehrstuhl für Translationale Schlaganfall- und Demenzforschung, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) des LMU Klinikums München und künftig Sprecher des Exzellenzclusters SyNergy.
Denn es ist einerseits kaum möglich, die winzigen Adern im menschlichen Gehirn direkt zu untersuchen. Andererseits „standen bisher kaum geeignete experimentelle Modelle zur Verfügung, mit denen sich im Reagenzglas oder auch im Organismus untersuchen lässt, was genau auf zellulärer oder molekularer Ebene bei Kleingefäßerkrankungen passiert“, sagt Dominik Paquet, Professor für Neurobiologie am ISD.
Doch in den vergangenen Jahren haben die Münchner Wissenschaftler Endothelzellen sowohl in Mäusen als auch in einem aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) entwickelten menschlichen Modell genetisch so verändert, dass sie bestimmte Proteine nicht mehr produzieren können. Endothelzellen bilden die innerste Schicht der Gefäßwände, an denen das Blut entlangfließt: und sie sind der Schauplatz, an dem die Erkrankung häufig beginnt.
Durch die gezielte Ausschaltung des Foxf2-Gens – eines von den Forschern zuvor identifizierten Risikogens für Schlaganfall – fehlt den Zellen das entsprechende Protein, was zu einer Verschlechterung der Funktion von kleinen Hirngefäßen führt, vor allem zu einer Störung der Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor schädlichen Einflüssen schützt. „Damit“, erklärt Martin Dichgans, „ist das Fehlen von Foxf2 ohne Zweifel eine der grundlegenden Ursachen der zerebralen Kleingefäßerkrankung.“
Demenz
Demenz/Dementia/dementia
Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.
Therapiemöglichkeiten für gestörte Signalwege
Nun ist Foxf2 ein Transkriptionsfaktor, der viele weitere Gene aktiviert – unter anderem, wie die Münchner Forschenden herausfanden, das Gen Tie2 und dessen nachgeschaltete Gene im sogenannten Tie-Signalweg. Ein in Endothelzellen normal aktiviertes Tie2-Gen beziehungsweise ein normal arbeitender Tie2-Signalweg sind entscheidend daran beteiligt, die Gefäße gesund zu halten.
Ohne Tie2 steigt zum Beispiel das Risiko für Entzündungsreaktionen in den Endothelzellen größerer Gefäße, das wiederum fördert Arteriosklerose („Arterienverkalkung“) und das Schlaganfall- und Demenz-Risiko. „Wir haben unsere Ergebnisse auf verschiedenen molekularen Ebenen abgesichert“, sagt Dichgans. „Und wir konnten ihre Relevanz für den Menschen auch in Experimenten mit unserem neuentwickelten menschlichen Blutgefäßmodell bestätigen“, sagt Paquet.“
Die Forschenden haben außerdem eine Therapie gegen die gestörte Funktion der kleinen Hirngefäße getestet, die auf ihren neuen Erkenntnissen beruht. Der Medikamenten-Wirkstoff AKB-9778 aktiviert spezifisch Tie2. „Durch die Behandlung konnten wir nicht nur den Tie2-Signalweg normalisieren, sondern auch die gestörte Gefäßfunktion wiederherstellen“, sagt Neurologe Dichgans. Mit dieser Therapie könnte eventuell auch das Risiko für Schlaganfall und Demenz gesenkt werden.
„Ich würde jetzt gerne verkünden, dass wir schon eine Studie mit Patienten vorbereiten, in denen dieser Wirkstoff geprüft wird“, sagt Dichgans, „aber es ist augenblicklich nicht ganz einfach an die Substanz heranzukommen, weil sie gerade in klinischen Studien für den Einsatz bei Augenerkrankungen geprüft wird.“ Die Forschenden suchen nun nach verwandten Wirkstoffen, die sich für die klinische Erprobung bei Kleingefäßerkrankungen eignen könnten.
Demenz
Demenz/Dementia/dementia
Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.
Originalpublikation
Katalin Todorov-Völgyi et al.: The stroke risk gene Foxf2 maintains brain endothelial cell function via Tie2 signaling.. Nature Neuroscience 2025