Question to the brain
Viele Menschen mit Schizophrenie hören Stimmen. Wieso?
Published: 18.06.2016
Ein Symptom bei Menschen, die mit Schizophrenie diagnostiziert wurden, sind oft akustische Halluzinationen. Wie kann man sich vorstellen, was dabei im Kopf passiert?
The editor's reply is:
Prof. Dr. med. Dr. phil. David Linden , Institute of Psychological Medicine and Clinical Neurosciences, Cardiff University: Wir beginnen erst langsam, die Mechanismen dieses relevanten Problems zu verstehen. Forscher gehen davon aus, dass bis zu einem Prozent der Bevölkerung an Schizophrenie leidet – und von diesen Menschen bis zu 70 Prozent an akustischen Halluzinationen. Es gibt Patienten, die hören ein Leben lang befehlende oder sonstige Stimmen, andere nur in einer akuten Phase.
Wo diese im Gehirn entstehen, wissen wir von wenigen evidenten Fällen, in denen das Hören von Stimmen direkt durch elektrische Stimulationen induziert wurde. Der kanadische Hirnchirurg Wilder Penfield untersuchte rund tausend Patienten mit Gehirnerkrankungen präoperativ und kartierte die Funktion des klinisch relevanten Areals. Durch die elektrische Stimulation der verschiedenen Areale konnte er in unter hundert Fällen Einbildungen von bekannten Stimmen und Melodien hervorrufen. Eines der Ergebnisse war, dass Halluzinationen im Temporallappen nachweisbar sind. Inwieweit Penfields Erkenntnisse auf Schizophrenie-Patienten zutrifft, ist im Einzelfall noch unklar.
Tatsächlich findet man bei diesen Patienten eine Aktivität im auditorischen Cortex, der zum Temporallappen gehört, auch ohne dass die auditive Stimulation verändert wurde. Kollegen und ich haben das mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) in Frankfurt Ende der 1990er Jahre mit herausgefunden. Obwohl Stimmenhören ein häufiges Phänomen ist, ist die Zahl geeigneter Studienteilnehmer klein. Trotzdem sprechen die Studien dafür, dass eine dysregulierte Aktivität, eine Form von Spontanaktivität, gemessen werden kann. Doch woher stammt diese Aktivität?
Dazu gibt es verschiedene Theorien: Dadurch, dass sich Synapsen im kindlichen Gehirn im Laufe der Adoleszenz zurückbilden, kommt es zu einem Ungleichgewicht der Nervenzellen, was wir „pruning“ nennen. Ob das aber halluzinative Phänomene erklärt, kann man nicht direkt nachweisen, da die Synapsenstruktur komplex und durch nichtinvasive Verfahren kaum zu analysieren ist.
Vorstellbar wäre zum anderen eine Art lokaler Entgleisung der Aktivität, ähnlich einem epileptischen Anfall. Dagegen spricht, dass die Dysregulation zum Teil lange anhält und man keine epileptischen Anfallsmuster nachweisen kann.
Denkbar wäre auch, dass unsere innere Sprache, eine Ursache sein könnte. Die Vermutung: Wer mit sich selbst in Gedanken spricht, simuliert innere Sprach– und Hörprozesse. Bei Gesunden könnte hier eine Gegenregulation vorliegen, die verhindert, dass diese Sprache hörbar wird. Wenn nun dieser Vorgang gestört ist, die Suppression des auditorischen Cortex also nicht mehr funktioniert, könnte die innere Sprache doch hörbar werden, meist als besonders lebhafte Wahrnehmung. Der Patient könnte früher oder später die Quelle der Stimmen nicht mehr unterscheiden.
Auf neuronaler Ebene ist das aber schwer nachzuweisen. Derzeit konzentrieren sich die Forscher bei ihren Untersuchungen auf die Sprachareale: das Broca-Areal, die höheren Hörareale, das Wernicke-Areal, den primären auditorischen Cortex. Auch Faserverschaltungen der Hirnrindenareale stehen im Fokus, möglicherweise weist der Fasertrakt Fasciculus arcuatus im Krankheitsfall Anomalien auf.
Manche Forscher schätzen übrigens, dass mehrere Prozent der Bevölkerung regelmäßig Stimmen ohne direkten Krankheitswert hören. Halluzinationen können auch durch Medikamente oder Drogen ausgelöst werden. Viele Kinder scheinen halluzinationsähnliche Erlebnisse zu erfahren, die bis ins Erwachsenenalter anhalten können.
Aufgezeichnet von Martina Gauder
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.