Question to the brain
Wird das Gehirn eigentlich auch müde?
Published: 07.05.2016
Schlaf ist lebenswichtig. Merkt man Müdigkeit auch im Gehirn? Wird das Hirn auch müde?
The editor's reply is:
Prof. Dr. med. Christoph Nissen , Ärztlicher Leiter des Schlaflabors und der Forschungsgruppe Schlaf und Plastizität, Uniklinikum Freiburg: Alle Menschen und Tiere kennen Müdigkeit. Aber Müdigkeit ist ein Begriff, der sich auf der Ebene des Erlebens oder Verhaltens abspielt. Das Gehirn selbst kennt den Begriff der Müdigkeit nicht. Es gibt aber Veränderungen auf molekularer Ebene, die auf der Verhaltensebene Müdigkeit vermitteln. Neurobiologisch betrachtet ist Müdigkeit ein komplexer Vorgang. Man geht etwa davon aus, dass sich mit zunehmender Wachdauer molekulare Substanzen in unserem Gehirn anreichern, die Müdigkeit hervorrufen. Welche Substanzen das genau sind, ist unklar, aber bei Menschen und bei Tieren ist Adenosin ein wichtiger Kandidat. Adenosin ist ein Botenstoff des Gehirns, der mit zunehmender Wachdauer ansteigt. Und das Koffein in Kaffee zum Beispiel ist ein so genannter Adenosin-Rezeptor-Antagonist. Der blockt die Wirkung von Adenosin, was erklären könnte, warum uns Koffein munterer macht.
Wenn wir schlafen, geschieht das nur auf der Verhaltensebene: Unser Bewusstsein ist dann abgeschaltet. Das Gehirn bleibt weiterhin aktiv, wenn auch anders als im Wachzustand. Es finden schlaftypische elektrophysiologische und molekularbiologische Vorgänge statt, die ganz fein aufeinander abgestimmt sind. Einige Gehirnareale sind dann weniger aktiv als andere. Aber es gibt ebenso Bereiche, die im Schlaf aktiver sind als im Wachzustand – das limbische System zum Beispiel. Diese Areale in der Mitte des Gehirns, die eine Bedeutung für die Gefühlsregulation haben, sind im REM-Schlaf besonders aktiv. Der REM-Schlaf (engl. Rapid Eye Movement) ist eine Schlafphase, die mit besonders lebendigen Träumen in Verbindung gebracht wird. Man nimmt an, dass dies der oft gefühlsbetonten Wahrnehmung von Träumen zugrunde liegt. Hingegen sind in dieser Schlafphase andere Areale, die eher der kognitiven Kontrolle dienen, wie der präfrontale Cortex, weniger aktiv, was den traumtypischen Verlust von Steuerungsfähigkeit und die Bizarrheit von manchen Träumen erklären könnte. Diese Muster von Gehirnaktivitäten wechseln sich in den verschiedenen Schlafstadien in ganz charakteristischer Weise ab. Auch der Energieverbrauch des Gehirns ist im Schlaf aufgrund der erhöhten Aktivität in einigen Arealen teilweise höher als im Wachzustand.
Der Schlaf hat vermutlich viele Funktionen für unser Gehirn. Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass Schlaf die Reorganisation von neuronalen Netzwerken begünstigt. Das Gehirn, genauer gesagt die Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die Synapsen, passen sich ständig neu an, an die Umgebung und an Außenreize. Das Gehirn nimmt eine Information auf und speichert diese, indem es sich anpasst und Neuverknüpfungen bildet. Es stärkt die wichtigen Verknüpfungen und schwächt die, die nicht so wichtig sind. Im Schlaf findet dann ein „Reset“ statt, das ist wie eine Art „Großreinemachen“. Besonders beim Lernen ist das wichtig, damit das Gehirn wieder neue Informationen aufnehmen kann. Das erklärt auch, warum diese Prozesse gestört sind, wenn man chronische Schlafstörungen hat.
Aufgezeichnet von Maike Niet