Vom Wolf zum Menschenversteher

Menschenversteher, Copyright: NL
Orono
Author: Michael Simm

Mehr als 30.000 Jahre lang haben Menschen und Hunde sich gemeinsam entwickelt. Dabei haben Hunde besser als jedes andere Haustier gelernt, uns zu durchschauen. Und zu manipulieren – die Erziehung ist hier wohl gegenseitig.

Published: 14.02.2020

Difficulty: easy

Das Wichtigste in Kürze
  • Zu keinem anderen Tier haben Menschen ein ähnlich inniges Verhältnis wie zum Hund.
  • Hunde besitzen noch immer viele Eigenschaften des Wolfes, von dem sie abstammen.
  • Im Zuge der Domestikation wurden über etwa 35.000 Jahre vom Menschen nicht nur Tiere mit besonders nützlichen Eigenschaften ausgewählt, sondern auch jene Hunde, die bei ihren Besitzern positive Gefühle hervorrufen können.
  • Hunde können nicht nur die Mimik und die Gestik von Menschen sehr gut deuten, sondern sie erkennen auch dessen Emotionen.
  • Neuere Forschungen sprechen dafür, dass Hunde auch die Perspektive und die Überlegungen von Menschen nachvollziehen können und basale Elemente einer „Theory of Mind“ haben. 

Emotionen

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Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Mehr als eine Milliarde Hunde gibt es auf der Welt. Und die meisten Besitzer sind fest davon überzeugt, dass dieses eine Wesen sie besser verstehen kann als jedes andere – die meisten Menschen eingeschlossen. Kein Wunder, dass dem treuen Begleiter von jeher auch besondere geistige Fähigkeiten nachgesagt werden. Diejenigen, „… welche mit dem Menschen verkehren oder, besser gesagt, sich ihm hingegeben haben mit Leib und Seele, beweisen tagtäglich, daß ihre Geistesfähigkeiten eine Ausbildung erlangt haben wie die keines anderen Tieres. Dieser Verstand hat die Hunde auf das innigste mit den Menschen verbunden und stellt sie über alle übrigen Tiere“, heißt es beispielsweise noch 1950 in der Volksausgabe von Brehms Tierleben.

Lassie lässt grüßen. In der gleichnamigen Fernsehserie aus den 1960er-Jahren rettet die intelligente Collie-Hündin ihr Herrchen Timmy immer wieder aus Gefahren, bringt einen Dieb zu Strecke und schlägt reihenweise Ganoven in die Flucht. Doch auch in der Realität retten Hunde Erdbeben-Opfer, erschnüffeln Drogen und bringen neuerdings sogar Terroristen zur Strecke: Wenn man Donald Trump glauben darf, war es ein Belgischer Schäferhund, der kürzlich bei einem Militäreinsatz in Syrien Abu Bakr al-Baghdadi in einen Tunnel jagte, wo der Chef der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) sich schließlich selbst in die Luft sprengte. Der Hund wurde nur leicht verletzt, sei fast genesen und bereits wieder im Dienst, verlautete kurz darauf Generalstabchef Mark Milley.

Komplexe Wechselwirkung von Evolution, Domestikation und Ontogenese

Schwieriger als das Sammeln von Anekdoten ist es, die geistigen Leistungen von Canis lupus familiariswissenschaftlich zu erforschen und aus den Beobachtungen die richtigen Schlüsse zu ziehen – erklärt Professor Ludwig Huber, Leiter des mehrheitlich aus Drittmitteln finanzierten Clever-Dog-Lab am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Drei Aspekte seien dabei eng verwoben: Die Abstammung des Hundes vom Wolf, also dessen biologisches Erbe; die Entwicklung zum Haustier (Domestikation) mit dem wechselseitigen Einfluss zwischen Hund und Mensch; sowie die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten (Ontogenese) des Tieres, also insbesondere die Aufzucht.

Die meisten Experten dachten bislang, dass Wölfe intelligenter als Hunde seien und Probleme besser lösen könnten. Experimente von Hubers Kollegin Dr. Zsófia Virànyi zum sozialen Lernen scheinen dies zu bestätigen. Zum Beispiel brachte sie einem Haushund bei, per Knopfdruck einen Futterbehälter zu öffnen. Im Experiment ließ sie sowohl Wölfe als auch Hunde diesen Haushund beim Öffnen der Kiste beobachten. Die Wölfe lernten durch reines Beobachten binnen Sekunden, die Kiste im ersten Versuch zu öffnen. Die Hunde nicht. Sie tapsten um die Kiste herum, schnüffelten hier und schnüffelten dort, doch das mit dem Knopf hatten sie trotz Vorbild nicht gelernt und scheiterten an dieser einfachen Aufgabe. „Das muss aber nicht bedeuten, dass Hunde dümmer sind als Wölfe“, erläutert Huber. Vielmehr hätten Hunde gelernt, sich in vielen Dingen auf den Menschen zu verlassen.

Der Trick mit dem Hundeblick

Wenn Frauchen glaubt, dass ihr Hund sie versteht, bekommt der Vierbeiner leichter sein Leckerli. Über unzählige Generationen wurden deshalb wahrscheinlich jene Hunde bevorzugt zur Weiterzucht ausgewählt, die menschliche Gesten und Mimik verstehen – oder zumindest so tun. Ein beliebter „Trick“ ist dabei der Hundeblick. Wie Forscher um Juliane Kaminski von der University of Portsmouth zeigen konnten, haben Hunde einen speziellen Muskel entwickelt, der es ihnen erlaubt, die inneren Augenbrauen stark anzuheben. Sie wirken dann kindlich und traurig zugleich, was den Menschen zum Füttern animiert, so Kaminski. Wölfen fehlen dazu Muskel und Talent, denn sie haben lediglich ein paar Muskelfasern, mit denen sich die inneren Augenbrauen kaum kontrollieren lassen. Wozu auch? Als „Selbstversorger“ in freier Wildbahn brauchen die Wölfe niemanden, der sie füttert und hätten daher vom Hundeblick keinen evolutionären Vorteil.

Aber woher weiß man, dass Hunde menschliche Emotionen wirklich „verstehen“? Trotz zahlreicher Versuche war diese Frage bis vor kurzem höchst umstritten. Möglich wäre ja auch, dass ein Hund beispielsweise lernt, das Entblößen der Zähne bei seinem Herrchen zu erkennen, und dieses Lächeln mit guter Laune zu verbinden. Erst mit einem ausgeklügelten Experiment konnte Hubers Team solche Zweifel beseitigen. Die Forscher präsentierten dazu 15 Bilder-Paare von Menschen mit jeweils einem glücklichen und einem wütenden Gesichtsausdruck. Die Hunde bekamen dabei allerdings nur die obere oder die untere Gesichtshälfte zu sehen. Manche bekamen eine Belohnung, wenn sie mit der Schnauze auf Bildhälften mit freundlichen Gesichtern drückten, andere Hunde wurden dagegen für die Auswahl zorniger Gesichtshälften belohnt.

Ein Sinn für menschliche Emotionen

Später erkannten die Hunde den antrainierten Gesichtsausdruck auch dann, wenn die andere Hälfte des zuvor gezeigten Gesichtes präsentiert wurde. Oder dessen linke Hälfte, während sie zuvor nur die obere oder untere Hälfte gesehen hatten. Selbst bei neuen Gesichtern lagen die Vierbeiner meistens richtig und erkannten den zuvor erlernten Gesichtsausdruck sowohl wenn die gleiche Gesichtshälfte präsentiert wurde, als auch die andere Hälfte des neuen Gesichtes. Damit war gezeigt, dass die Hunde eben nicht nur auf einfache Reize wie Zähne oder Stirnrunzeln reagierten. Vielmehr waren sie in der Lage, die Emotionen der nur teilweise sichtbaren Gesichter zu erkennen, sich daran zu erinnern, und dieses Wissen schließlich auch auf neue, fremde Gesichter anzuwenden.

Darf man daraus schließen, dass Hunde uns verstehen? Oder wissenschaftlich formuliert: Haben sie eine „ Theory of Mind “ [https://www.dasgehirn.info/suche?text=Theory+of+mind], die sie befähigt, die geistigen Vorgänge einer anderen Art zu erfassen? Hubers Team näherte sich dieser Frage mit einer Variante des „Rater-Wisser“-Experiments. Bereits bekannt war, dass Hunde einem Hinweis auf Futter eher folgen, wenn sie glauben, dass der Fingerzeig von einem Menschen kommt, der das Versteck kennt, als bei einem Menschen, der das Versteck nicht kennt. In der neuen Variante schauten die beiden menschlichen Informanten in die gleiche Richtung. Da sie sich aber an verschiedenen Stellen im Raum befanden, konnte nur einer von beiden tatsächlich sehen, wo das Futter versteckt war. Auch in dieser Versuchsvariante bevorzugten die Hunde den „Wisser“ gegenüber dem „Rater“. Damit lieferten sie einen überzeugenden Beweis, dass sie buchstäblich die Perspektive von Menschen einnehmen und daraus schließen können, was diese sehen und was nicht, und demzufolge, wem man vertrauen kann und wem nicht.

Alternative Erklärungen werden mit solchen Experimenten Zug um Zug ausgeschlossen, und die Überzeugung der allermeisten Hundehalter auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt: In annähernd 30.000 Jahren gemeinsamer Evolution haben Mensch und Hund ein einzigartiges Verhältnis entwickelt, was auch zu der Frage führt, wer hier eigentlich wen domestiziert hat. Eine Antwort liefert  Kurt Kotrschal, emeritierter Professor der Universität Wien, Buchautor und Mitbegründer des „Wolf Science Center“, wo man seit 12 Jahren die Intelligenzleistung und das Sozialverhalten von Wölfen und Hunden erforscht:   „Ohne die Beziehung zu einem Hund ist der Mensch psychisch nicht vollständig“. Der Mann ist selbstverständlich  Hundebesitzer - ebenso wie Huber,   Virànyi, Kaminski und die meisten anderen Forscher auf diesem Gebiet.

Zum Weiterlesen:

  • Clever-Dog-Lab; URL: https://www.vetmeduni.ac.at/de/messerli/forschung/forschung-kognition/hundeartige/hunde-clever-dog-lab/ [Stand 10.1.2020].

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