Verklumpte Proteine lassen Blutgefäße des Gehirns versteifen

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Jonas Neher HIH

Ablagerungen eines Proteins namens „Medin“, die praktisch bei allen älteren Erwachsenen vorkommen, verringern die Elastizität von Blutgefäßen und sind daher ein Risikofaktor für vaskuläre Demenz. Fachleute des DZNE und des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung (HIH) an der Universität Tübingen berichten darüber im Wissenschaftsjournal PNAS. Die Forschenden sehen diese Ablagerungen als Ansatzpunkte künftiger Therapien. Ihre Befunde beruhen auf Studien an Mäusen und der Analyse menschlicher Gewebeproben.

Source: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Hertie Institute für klinische Hirnforschung

Published: 11.09.2020

Nahezu alle Menschen ab dem Alter von 50 Jahren weisen in den Wänden ihrer Blutgefäße bekanntermaßen winzige Klumpen des Proteins Medin auf. „Diese Ablagerungen sind offenbar eine Begleiterscheinung des Alterungsprozesses. Man findet sie vorwiegend in der Aorta und anderen Blutgefäßen des Oberkörpers, einschließlich des Gehirns. Im Rahmen unserer Studie war es nun besonders überraschend, dass wir Medin-Ablagerungen nicht nur in Hirngewebeproben verstorbener Menschen, sondern auch in alten Mäusen nachweisen konnten, obwohl Mäuse eine sehr beschränkte Lebensspanne haben“, so Dr. Jonas Neher, Leiter der Studie und Wissenschaftler am DZNE-Standort Tübingen und am HIH.

Medin gilt als problematisch, denn es zählt zu den „Amyloiden“, eine Gruppe von Molekülen, die häufig mit krankhaften Vorgängen einhergehen - wie zum Beispiel das „Amyloid-Beta“, das an der Alzheimer-Erkrankung beteiligt ist. „Es wird schon länger angenommen, dass sich Medin-Aggregate ungünstig auf die Funktion von Blutgefäßen auswirken und zu Gefäßerkrankungen beitragen können. Zu dieser Vermutung passen jüngste Befunde. Demnach finden sich bei älteren Erwachsenen mit vaskulärer Demenz mehr Medin-Ablagerungen im Vergleich zu gesunden Personen“, sagt Neher.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Träge Gefäße

Allerdings gab es trotz dieser Verdachtsmomente bislang keine klaren Belege dafür, dass die Eiweißklumpen tatsächlich schädlich sind. Einem Team von Forschenden um Neher ist dieser Nachweis nun gelungen – ermöglicht durch ihre Erkenntnis, dass auch Mäuse mit dem Alter Medin-Ablagerungen ausbilden. Ihre Studie beruht auf einer Kooperation mit Fachleuten aus Frankfurt, München, Liverpool und London.  „Wir haben untersucht, wie schnell sich Blutgefäße des Gehirns ausdehnen können. Dazu haben wir normale Mäuse mit solchen verglichen, die genetisch bedingt kein Medin herstellen und daher auch keine Medin-Ablagerungen entwickeln“, so Neher. Am Menschen seien solche Studien schwer durchführbar, meint er: „Fast alle älteren Erwachsenen haben Medin-Aggregate. Deshalb gibt es kaum Möglichkeiten, annähernd gleichaltrige Personen mit und ohne Aggregate zu vergleichen.“

Das Team um Neher beobachtete, dass normale Mäuse – analog zum Menschen – mit zunehmendem Alter immer größere Mengen an Medin-Partikeln in den Blutgefäßen aufweisen. „Insofern scheint die Maus die Situation beim Menschen in angemessener Weise nachzubilden“, sagt Neher.

An Mäusen stellten die Forschenden außerdem fest, dass wenn das Gehirn aktiv wird und mehr Blutzufuhr benötigt, sich Gefäße mit Medin-Ablagerungen langsamer ausdehnen als solche ohne Medin. „Hirngefäße mit Medin scheinen weniger elastisch zu sein und reagieren deswegen träger.“ Die Fähigkeit der Gefäße, sich rasch auszuweiten, sei jedoch wichtig, um den Blutfluss zu regulieren und das Gehirn optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen, so der Forscher. „Ist diese Fähigkeit beeinträchtigt, kann das weitreichende Folgen für die Organfunktion haben.“ Medin-Ablagerungen scheinen also dazu beizutragen, dass im höheren Alter die Blutgefäße schlechter funktionieren. „Und das ist wahrscheinlich nicht nur im Gehirn so, denn die Ablagerungen treten ja auch in anderen Blutgefäßen des Körpers auf und könnten somit nicht nur zur vaskulären Demenz sondern auch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.“

Über welche Mechanismen die Medin-Partikel auf die Blutgefäße einwirken, kann Neher nicht mit Bestimmtheit sagen. Er hat jedoch eine Vermutung: „In der Gefäßwand verlaufen Fasern, die es den Blutgefäßen erlauben, sich zu dehnen und zusammenzuziehen. Da die Protein-Ablagerungen in der Gefäßwand stecken, stören sie möglicherweise die Funktion dieser elastischen Fasern.“

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

vaskulär

vaskulär/-/vascular

Der Begriff bezeichnet Gefäße im Körper, in denen Flüssigkeiten wie Blut oder Lymphe zirkulieren. Im engeren Sinne fassen Mediziner das Netzwerk aus Venen, Arterien und Kapillaren als „vaskuläres System“ zusammen. Wenn das vaskuläre System – etwa in Folge eines Schlaganfalls – blockiert ist, gelangt weniger Blut ins Gehirn. Es wird also mit weniger Sauerstoff und anderen Nährstoffen versorgt. Dies kann zur Beeinträchtigung kognitiver Funktionen und zur Ausprägung einer „vaskulären Demenz“ führen. Nach degenerativen Demenzerscheinungen wie Alzheimer bildet die vaskuläre Demenz die zweithäufigste Form dieser Krankheitsgruppe.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Therapeutisches Ziel

Medin geht auf noch ungeklärte Weise aus einem größeren Protein hervor, das unter anderem an der Gefäßbildung beteiligt ist. „Würde es gelingen, dieses Vorläufermolekül mit Medikamenten zu stabilisieren, könnte man die Produktion von Medin beeinflussen. Alternativ dazu könnte man auch den Abbau der Medin-Aggregate stimulieren. Das könnte helfen, die Gesundheit der Gefäße und des Gehirns im Alter zu bewahren. Derlei Wirkstoffe gibt es bislang aber nicht“, so Neher. „Wichtig ist daher, dass man Medin als Risikofaktor sieht, den beinahe jeder älterer Erwachsener in sich trägt. Obwohl Medin einen wirklich großen Teil der Bevölkerung betrifft, findet es in der Therapie-Forschung bisher nur wenig Beachtung. Unsere Daten deuten darauf hin, dass es mehr in den Fokus rücken sollte.“

Originalpublikation

Medin aggregation causes cerebrovascular dysfunction in aging wildtype mice.
Karoline Degenhardt, Jessica Wagner et al.
PNAS - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (2020).
DOI: 10.1073/pnas.2011133117

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