Tiefe Hirnstimulation verhindert im Mausmodell epileptische Anfälle

© Universitätsklinikum Freiburg / AG Haas
Bei einer langsamen Stimulation des Hippocampus blieben im Mausmodell die epileptischen Anfälle aus.

Experimenteller Ansatz zeigt neue Wege für die Therapie von Menschen mit medikamentenresistenter Epilepsie

Source: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Published: 17.02.2021

Epileptische Aktivität, ausgehend von einer oder mehreren erkrankten Hirnregionen im Bereich des Schläfenlappens, ist schwer einzudämmen. Viele Patientinnen und Patienten mit einer sogenannten Schläfenlappenepilepsie sprechen häufig nicht auf die Behandlung mit anti-epileptischen Medikamenten an, und die betroffenen Hirnareale müssen deshalb operativ entfernt werden. Leider verschafft dieser Eingriff nur etwa einem Drittel der Patienten Anfallsfreiheit, sodass die Entwicklung alternativer Therapieansätze von großer Bedeutung ist. Wissenschaftler*innen um die Neurobiologin Prof. Dr. Carola Haas, Forschungsgruppenleiterinan derKlinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und des Forschungszentrums BrainLinks-BrainTools, haben einen neuen Therapieansatz zur Prävention epileptischer Anfälle bei Schläfenlappenepilepsie erforscht. Sie zeigten bei Mäusen, dass sich mit einer niederfrequenten Stimulation bestimmter Hirnareale die epileptische Aktivität komplett beenden ließ. Statt mit Strom stimulierten die Forscher*innen die Zellen mit Licht. Dafür hatten sie zuvor ein lichtsensitives Molekül in die Zellen eingeschleust, das eine besonders präzise Stimulation erlaubt. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Dezember 2020 im Fachmagazin elife.

„Sobald wir die Hirnregion mit einer Frequenz von einem Hertz stimulierten, waren die epileptischen Anfälle verschwunden. Dieser Effekt war über mehrere Wochen stabil“, sagt Haas. Eine Gewöhnung, wie sie bei einer medikamentösen Therapie auftreten kann, fand nicht statt. Die Hirnregion wurde täglich eine Stunde stimuliert.

Schaltkreise und Zellen identifiziert

Bei einer Schläfenlappenepilepsie ist oft der Hippocampus krankhaft verändert und stellt meist den sogenannten Fokus der epileptischen Aktivität dar. In früheren Studien konnte auf Grundlage präziser genetischer Markierungstechniken bereits das Fasersystem und dessen synaptische Kontakte zwischen Schläfenlappen und Hippocampus dargestellt werden, welche bei einer Schläfenlappenepilepsie typischerweise erhalten bleiben. Die Forscher*innen nutzten dieses Fasersystem, um die Aktivität des Hippocampus unter dem Einsatz lichtabhängiger Proteine spezifisch und zeitlich präzise zu manipulieren. Bei der Messung der Hirnströme zeigte sich, dass eine rhythmische Aktivierung des erkrankten Hippocampus mit einer niedrigen Frequenz von einem Hertz die epileptische Aktivität unterdrückt und deren Ausbreitung verhindert.

Haas und ihre Kolleg*innen wiesen nach, dass die anti-epileptische Wirkung größtenteils auf die wiederholte Aktivierung der überlebenden Körnerzellen im Anfallsfokus zurückführen ist. Einzelzell-Untersuchungen bestätigten die Vermutung, dass die Körnerzellen aufgrund der Stimulation weniger erregbar sind und sich der epileptische Anfall dadurch weniger leicht ausbreitet. „Es ist auch möglich, dass wir einen weitgreifenden Netzwerkeffekt haben, da sich die Stimulation über die Schaltkreise des Hippocampus ausbreiten kann“, so Haas. In der Zukunft möchte das Team, zusammen mit der Medizinphysik des Universitätsklinikums Freiburg, das gesamte Gehirn während der Stimulation mittels Magnetresonanztomografie beobachten. Mit dieser Technik ließen sich weitere Hirnregionen identifizieren, die von der Stimulation betroffen sind. Entsprechende Erkenntnisse darüber könnten Aufschluss darüber geben, wie diese miteinander verbunden sind und welche weiteren Konsequenzen eine Stimulation hat.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Temporallappen

Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe

Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-​Sprachzentrum.

Körnerzellen

Körnerzellen/-/granule cells

Relativ kleine Nervenzellen, die in Cortex (Großhirnrinde), Hippocampus, Riechkolben und Kleinhirn vorkommen. Sie können genauso hemmend wie erregend sein. Im Cortex liegen sie primär in Schicht IV. In der Rinde des Kleinhirns stellen sie 99% der Zellen und bilden die Parallelfasern.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Originalpublikation

Hippocampal low-frequency stimulation prevents seizure generation in a mouse model of mesial temporal lobe epilepsy; DOI: 10.7554/eLife.54518 https://elifesciences.org/articles/54518

No votes have been submitted yet.

License Terms

This content is available under the following conditions of use.

BY-NC-SA: Namensnennung, nicht kommerziell, Weitergabe unter gleichen Bedingungen