Ein Aus-Schalter für die Aggression

© RUB, Marquard
Zwei Autorinnen der Studie: Pauline Bohne (links) und Melanie Mark

Wie aggressives Verhalten entsteht, ist bislang nur unzureichend verstanden. Forschende haben nun ein entscheidendes Puzzlestück entdeckt.

Source: Ruhr-Universität Bochum - Verhaltensneurobiologie

Published: 22.07.2022

Eine Verbindung im Gehirn, die für aggressives Verhalten entscheidend ist, haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) mit Kollegen aus Bonn bei Mäusen gefunden. Entscheidend ist der sogenannte P/Q-Typ-Kalziumkanal, der auf den Botenstoff Serotonin reagiert. Dass Serotonin eine Schlüsselrolle bei der Emotionsregulation spielt, ist schon länger bekannt. Aber wie genau aggressives Verhalten entsteht, ist bislang nicht verstanden. Schalteten die Forschenden die Serotonin-vermittelte Verbindung zwischen zwei bestimmten Gehirnregionen aus, verhielten sich die Mäuse weniger aggressiv. Das Team um Pauline Bohne und Prof. Dr. Melanie Mark berichtet über die Ergebnisse in der Zeitschrift „Journal of Neuroscience“, online veröffentlicht am 19. Juli 2022.

Serotonin

Serotonin/-/serotonin

Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-​Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.

Verbindung zwischen Hirnregionen sichtbar gemacht

Das RUB-Team der Arbeitsgruppe Verhaltensneurobiologie untersuchte mit einem Kollegen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn einen tief im Gehirn liegenden Kern, den dorsalen Raphe-Kern. Wie die Arbeiten belegten, entsendet dieser Kern Nervenfasern, die auf den Botenstoff Serotonin reagieren, zum ventromedialen Hypothalamus. Diese machten die Forscherinnen mit grün fluoreszierenden Tracerstoffen sichtbar.

dorsal

dorsal/-/dorsal

Die Lagebezeichnung dorsal bedeutet „zum Rücken hin“ gelegen. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung senkrecht zur neuralen Achse, also nach oben zum Kopf oder nach hinten.
Bei Tieren ohne aufrechten Gang ist die Bezeichnung einfacher, dort bedeutet sie immer zum Rücken hin. Durch den aufrechten Gang des Menschen knickt das Gehirn im Bezug auf das Rückenmark ab, wodurch dorsal zu „oben“ wird.

Kern

Kern/-/nucleus

Der Kern ist in einer Zelle der Zellkern, der unter anderem die Chromosomen enthält. Im Nervensystem ist der Kern eine Ansammlung von Zellkörpern – im zentralen Nervensystem als graue Masse, ansonsten als Ganglien bezeichnet.

Serotonin

Serotonin/-/serotonin

Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-​Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.

Hypothalamus

Hypothalamus/-/hypothalamus

Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.

Aggressionen an- und abgeschaltet

In weiteren Versuchen entfernten die Forschenden den P/Q-Typ-Kalziumkanal bei männlichen Mäusen aus dem dorsalen Raphe-Kern. Die Hirnaktivität in diesem Kern sowie in dem verbundenen ventromedialen Hypothalamus nahm zu – und auch das aggressive Verhalten der Tiere.

Über genetische Modifikation brachten die Forschenden dann einen veränderten Rezeptor in die Zellen des dorsalen Raphe-Kerns derselben Tiere ein – als Ersatz für den zuvor entfernten P/Q-Typ-Kalziumkanal. Den modifizierten Rezeptor konnten sie mit einem chemischen Molekül hemmen, das normalerweise nicht in Mäusen vorkommt. Mithilfe dieses Moleküls konnten die Forschenden die Aktivität des modifizierten Rezeptors und somit die Aktivität der Nervenzellen im dorsalen Raphe-Kern langsam herunterfahren. So brachten sie das Serotonin-Signal zum Schweigen, das der dorsale Raphe-Kern normalerweise an den ventromedialen Hypothalamus sendet. Auf diese Weise zähmten sie die zuvor aggressiven Mäuse, die sich nun wieder normal verhielten.

dorsal

dorsal/-/dorsal

Die Lagebezeichnung dorsal bedeutet „zum Rücken hin“ gelegen. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung senkrecht zur neuralen Achse, also nach oben zum Kopf oder nach hinten.
Bei Tieren ohne aufrechten Gang ist die Bezeichnung einfacher, dort bedeutet sie immer zum Rücken hin. Durch den aufrechten Gang des Menschen knickt das Gehirn im Bezug auf das Rückenmark ab, wodurch dorsal zu „oben“ wird.

Kern

Kern/-/nucleus

Der Kern ist in einer Zelle der Zellkern, der unter anderem die Chromosomen enthält. Im Nervensystem ist der Kern eine Ansammlung von Zellkörpern – im zentralen Nervensystem als graue Masse, ansonsten als Ganglien bezeichnet.

Hypothalamus

Hypothalamus/-/hypothalamus

Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

dorsal

dorsal/-/dorsal

Die Lagebezeichnung dorsal bedeutet „zum Rücken hin“ gelegen. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung senkrecht zur neuralen Achse, also nach oben zum Kopf oder nach hinten.
Bei Tieren ohne aufrechten Gang ist die Bezeichnung einfacher, dort bedeutet sie immer zum Rücken hin. Durch den aufrechten Gang des Menschen knickt das Gehirn im Bezug auf das Rückenmark ab, wodurch dorsal zu „oben“ wird.

Aggression als Begleiterscheinung psychischer Erkrankungen

„Die Studie belegt, dass der P/Q-Typ-Kalziumkanal eine wichtige Rolle im Serotonin-System für Aggressionen spielt“, sagt Pauline Bohne. „Er ist somit ein potenzieller Ansatzpunkt, um gewalttätiges Verhalten zu therapieren.“ Als Begleiterscheinung von psychischen Erkrankungen – etwa Angststörungen, Impulskontrollstörungen oder kindlicher bipolarer Störung – wird vermehrt aggressives Verhalten beobachtet. „Menschen mit solchen Erkrankungen, die sich aggressiv verhalten, sind nicht nur eine Gefahr für das Personal in den Kliniken, sondern auch für sich selbst“, so Melanie Mark. „Oft verlängert die Behandlung der Aggression den Klinikaufenthalt und auch die Kosten dafür.“

Originalpublikation

Pauline Bohne, Achim Volkmann, Martin K. Schwarz, Melanie D. Mark: Deletion of the P/Q-type calcium channel from serotonergic neurons drives male aggression in mice, in: Journal of Neuroscience, 2022, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.0204-22.2022

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